Stress ohne Relevanz

Popkultur Youtube hat Shindys Video „Stress ohne Grund“ gelöscht – wegen eines Gastauftritts von Bushido. Er zeigt sich in alter Manier gewaltbereit und homophob

Dabei hatte er doch gerade versucht, sich in der gesellschaftlichen Mitte anzusiedeln, den Integrationspreis für „äußerst“ gelungene Integration erhalten, sich in seiner Autobiografie von 2008 als verantwortungsvoller Künstler gezeigt, Nähe zur Politik gesucht, ein Praktikum beim CDU-Abgeordneten Christian Freiherr von Stetten absolviert und sich schon als Bürgermeister Berlins gesehen. Familien auf seinen Konzerten. Auftritte mit Peter Maffay. Ein Film, „Zeiten ändern dich“, mit Deutschlands Vorzeigeschauspielern Hannelore Elsner und Moritz Bleibtreu. Auf dem besten Wege, in der gesellschaftlichen Mitte massentauglich zu werden. „Vom Bordstein bis zur Skyline“, so der Titel seines ersten Albums. Oder aus dem Gangsta-Milieu ins gutbürgerliche Milieu mit Haus und Garten in Berlin-Lichterfelde.

Dann der jähe Absturz durch Verbindungen zum so genannten „Abou-Chaker“-Clan, einer palästinensisch-libanesische Großfamilie, die der organisierten Kriminalität verdächtigt wird. Wie auch immer diese Geschichte zu interpretieren ist, inwiefern hier medial mafiöse Strukturen beschworen worden sind oder tatsächlich existierten. Fakt ist: Bushidos Sucht nach Anerkennung hatte erst einmal Schaden gelitten. Dann muss man es halt wieder mit der kleinen Schwester der Anerkennung versuchen, genau so, wie einst seine Karriere begonnen hatte: Mit der hilflosen Suche nach Aufmerksamkeit.

Kalkulierte Provokation findet Widerhall

Und wie eifrig alle auf den Zug aufgesprungen sind. Wie viel mehr Prominenz kann man einem langweiligen Lied, ohne überraschende Momente, noch auf der Silbertafel servieren? Die Berliner Staatsanwaltschaft hat schon ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch die in der Passage von Bushido unter anderem attackierten Bundestagsabgeordneter Serkan Tören und Berlin-Bürgermeister Klaus Wowereit klagen nun – mehr Werbung geht nicht. Sie schaffen und nähren ihren Alptraum erst selbst – und profitieren davon medial ebenfalls. Bushido jedoch dürfte sich am meisten freuen: „1,2 Millionen Klicks in unter 48 Stunden. Das wird alles super“, so seine einfache Einschätzung der Lage in einem Interview bei N24.

Sich über die inhaltlichen Entgleisungen aufzuregen, ist es nicht wert. Es werden Erinnerungen an seine Aggro-Berlin-Zeiten wach, damals gehörte Provokation zum Programm . Das war ziemlich ungewohnt, wuchtig – und mitunter durchaus witzig. Doch Bushidos Part in „Stress ohne Grund“ist einfach nur schwach gereimt. Ohne überraschende Momente. Eine berechnende Aktion. Was hat er denn künstlerisch vollbracht? Attacken gegen C-Prominenz wie Oliver Pocher? Er vertickt Elektronik so – wie Media Markt? Er findet seine Gegner so – wie Google Maps?

Einfach abwenden

Dann die Zeile „Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz“ und die Frage, ob es sich um einen Mordaufruf handelt? Da geht auch schon die Diskurs-Maschine los: Persönlichkeitsrechte der in dem Lied angesprochenen Personen oder die künstlerische Freiheit wahren? Experten werden herangezogen. Freunde, die sich abwenden. Rapperkollegen, die zum Coup gratulieren. „Ich bin der Meinung, dass Menschen, die jeden Tag Rap hören, wissen, wie man damit umzugehen hat“, so Bushidos lapidarer Kommentar. Und die Zeile „du wirst in Berlin in deinen Arsch gefickt wie Wowereit“ wird sowohl als individuelle Beleidigung, als auch der Homosexuellen als Gruppe verstanden. Aufruf zu Hass und Gewaltdelikten? Volksverhetzung? Der Skandal ist perfekt. Dabei ist dieser Text nichts weiter als reinste Provokation. Und hat seinen wirkmächtigsten Punkt natürlich in seinen schwulenfeindlichen Äußerungen. Leider.

Wie es wünschenswert gewesen wäre, dieses Werk einfach beiseite liegen zu lassen – so lohnt nun, sich davon abzuwenden. Und einen erfrischenden Ausflug in ein Rap-Milieu zu unternehmen, bei dem die von Bushido so durchschaubar eingesetzten homophoben Äußerungen ad absurdum geführt werden. Die zeigen, dass Rap-Musik keineswegs mit vermeintlichen Gangsta-Klischees spielen muss. Vornehmlich amerikanische Gay-Rapper, die sich langsam ins Zentrum der Rap-Szene schieben. Die weltweite Konzerte geben, mit mitunter hochsexualisierten Texten und extrovertierten Auftritten. Und das trotz einer betont maskulinen Musikszene. Ein kleine Kostprobe gefällig: Mykki Blanco, Cakes da Killa, Le1f, Zebra Katz, Frank Ocean, aber auch weibliche Künstler wie die sich als pansexuell beschreibende Angel Haze.

Da lässt sich ein Bushido schon wieder leicht vergessen.

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Geschrieben von

Baran Korkmaz

Stipendiat am Bildungswerk Kreuzberg und derzeit Praktikant beim Freitag.

Baran Korkmaz

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