Natürlich geht es darum, was die Geheimdienste tun dürfen und was nicht, und darum, wer was wusste und wer nun nichts wissen will. Aber es geht im aktuellen Überwachungsskandal um mehr und um Grundsätzliches: Wenn sich die neue Weltordnung obsessiv um Fragen der Sicherheit und Ordnung dreht, wie viel Freiheit wollen wir einem ungewissen Sicherheitsversprechen opfern? Oder anders gesagt: Wie viel Restrisiko lassen wir zu? Denn schließlich darf es nicht dazu kommen, im Angesicht der terroristischen Bedrohung den Rechtsstaat auf dem Altar der Sicherheit zu opfern.
Der rechtliche und sicherheitspolitische Sog
Was aber kennzeichnet die terroristische Bedrohung? Zwischen dem potenziellen Selbstmordattentäter, der im Prinzip jeder sein kann, und dem tatsächlichen Selbstmordattentäter besteht de facto kein Unterschied mehr. Weil er weder im Raum verortet noch durch die Kontrolle des Raums bezwungen werden kann und er sich zeitlich nicht lokalisieren lässt. Dies erzeugt schließlich dieses permanente Bedrohungsszenario und „fordert zwangsläufig“ vom so genannten 'war on terror' eine präventive Operationsweise.
Doch in der präventiven Sicherheitslogik werden Menschen unter Missachtung der Unschuldsvermutung zu potentiellen Sicherheitsrisiken erklärt. Das Volk ist nicht mehr souverän, sondern potentiell verdächtig.
In den extremen Erscheinungsformen muss man nur denken an: Inhaftierungen auf Verdacht (Sicherheitsverwahrung, Guantanamo, Abu Ghraib), unfaire Gerichtsprozessen, das Außerkraftsetzen von Menschenrechten oder die Verletzung des Souveränitätsprinzips. Aber eben auch an die fast totale Erfassung persönlicher Daten und das Abhören selbst von Staaten, die sich auch der antiterroristischen Gewalt verschrieben haben.
Der politische Sog
Welchen Sog erzeugt die terroristische Bedrohung auf den Staat und die Politik? Ein Selbstmordattentat führt das Gewaltmonopol des Staates, dessen Macht sich aus der Androhung von Gewalt speist, ad absurdum. Denn die Logik der Abschreckung des Gewaltmonopols kann den Selbstmordattentäter nicht (ab)schrecken. Wie also adäquat antworten auf diese Bedrohungslage? Weil auf die Tat selber kein Zugriff möglich ist, können nur Ersatzaktionen auf diese Form des Terrors antworten (militärische, diplomatische, geheimdienstliche und wirtschaftliche Prävention), die sich aber letztlich in Zwängen und Restriktionen der eigenen Gesellschaften äußern.
Doch all diesen Ersatzaktionen ist es schlechterdings nicht möglich zu sagen, wie man richtig auf diese Bedrohung antwortet. In diese Leerstelle, wo Begriffe und Lösungen fehlen, kann Angst diese Leerstelle füllen. Und alles was Angst verringert, ist gut. Ein mehr an Sicherheit wird so zum Grundbedürfnis. Derart wird Sicherheit zum Grundprinzip staatlichen Handelns und zum einzigen Kriterium politischer Legitimation. Zynisch gesprochen könnte die Politik sogar einen Nutzen allgegenwärtiger Bedrohung und Angst ziehen. Denn die menschliche Verwundbarkeit und Ungewissheit sind ein wichtiger Daseinsgrund aller politischen Macht.
Die Krise als Normalzustand
Haben sich die vermeintlich legitimierenden Gründe für Überwachung und Außerkraftsetzung rechtsstaatlicher Normen im Zuge der Terrorbekämpfung nicht schon längst verselbstständigt und auf andere gesellschaftliche Teilbereiche ausgeweitet? Verselbstständigt, weil auch Deutschland als „Partner Dritter Kategorie“ und EU-Abgeordnete ausgespäht werden. Ausgeweitet, weil seit Jahren schon auch im (privat)wirtschaftlichen oder sozialpolitischen Rahmen Überwachungsmaßnahmen zum Handlungsrahmen geworden sind. Wir leben also in einer Zeit der dauerhaften Krise: TINA - there is no alternative.
Um abschließend auf das Ausgangsproblem der terroristischen Bedrohung und deren Auswirkungen zurückzukommen: So wie vom Selbstmordattentäter eine existenzielle Bedrohung ausgeht und kein Staat absolute Sicherheit garantieren kann – so mag sich auch der Drang nach Ordnung verstärken, um eben jene massive Unsicherheit zu bannen und Erwartbarkeiten sicherzustellen. Aber muss daher dauerhaft Krieg geführt werden für einen dauerhaften Frieden?
Denn was steht letztlich auf dem Spiel? Rechtsstaat und „Präventivstaat“ unterliegen jeweils unterschiedlichen Funktionslogiken. Jener denen der Freiheit und Autonomie, dieser denen der Sicherheitsmaximierung und instrumentellen Effizienz. Sie schließen einander aus. Die derzeitige antiterroristische Sicherheitspolitik bewegt sich innerhalb der Grauzone zwischen Rechtsstaatlichkeit und präventiver Staatsstruktur. Mit einer Tendenz zum Präventiven. Aber um die Errungenschaften der Aufklärung und der modernen rechtsstaatlichen Prinzipien wahren zu können, kann und darf ein Restrisiko faktisch nicht ausgeschaltet werden.
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