Wenn sich Amerikas Kulturbehörde NEA - das National Endowment for the Arts - mit dem Pentagon und dem Waffenkonzern Boeing zusammen tut, um neue Kriegsliteratur zu fördern, dann spricht daraus der Zeitgeist der Ära Bush: Militante Provokation, verpackt mit der blau-weiß-roten Patriotismusschleife.
"Operation Home Coming" - Schreiben über die Kriegserfahrung", heißt das von der NEA konzipierte und von Boeing mit 250.000 Dollar gesponserte Literaturprojekt. Es bietet Militärpersonal - aktiven Soldaten wie Veteranen - Schreib-Workshops an, die von bekannten Schriftstellern, Publizisten und Historikern geleitet werden, Tom Clancy, Tobias Woolff und Bobbie Ann Mason zum Beispiel. Seit Ende 2004 werden diese Seminare auf US-Militärbasen veranstaltet mit bisher mehr als 800 Teilnehmern. Die besten Erzählungen, Essays und Gedichte sollen im Frühjahr 2006 in einer Anthologie erscheinen und an Schulen und Bibliotheken verteilt werden.
NEA-Direktor Dan Gioia hat als Einführung für Home Coming eine Hochglanzbroschüre verfasst, in der er mit Inbrunst an Homer und Sophokles erinnert und den Bogen zu amerikanischen Kriegsautoren wie Kurt Vonnegut, James Jones und Norman Mailer schlägt, zu deren Bestsellern Schlachthaus Nr. 5, Verdammt in alle Ewigkeit oder Die Nackten und die Toten.
Das Wichtigste an der Operation ist für den von George Bush zum Leiter der Kulturbehörde berufenen Dan Gioia, dass Irak-Soldaten eine Stimme bekommen. Man könne Amerikas Geschichte nicht erzählen, ohne über Amerikas Kriege zu schreiben. "Viele Leute glauben, sie hätten kein Recht, ihre Geschichte zu erzählen. Operation Home Coming will versuchen, diesen Soldaten die Erlaubnis zu geben, über ihre Erfahrungen zu sprechen, denn ihre Geschichten sind wichtig."
Bestsellerautor Tom Clancy verrät den potenziellen Kriegschronisten das Geheimnis ihres Erfolges. Wer ein Buch schreiben wolle - dröhnt Clancy - brauche nur einen Computer, um "das verdammte Buch zu schreiben".
Seargent Carl Clegg hatte im Irak genügend Computer zur Verfügung. Er gehörte einem der militärischen Geheimdienste an und betrachtete seine zahlreichen E-Mails nach Hause als erste literarische Fingerübungen. Clegg ist Autor eines Essays, der beschreibt, was er in den Zeitungen vermisst: "Seit Kriegsende sind unsere Konvois bombardiert worden. Nicht mit explodierender Munition, sondern mit Freudenschreien. Die lokale Bevölkerung, vor allem die Kinder, sprinten die 50 Meter vom Straßenrand auf uns zu und benutzen die wenigen englischen Worte, die sie in ihren gerade wieder aufgebauten Schulen gelernt haben - Hallo!, oder Mister, Mister. Und Sätze wie Saddam Esel. Ali Baba und Amerika gut. Diese wundervollen Leute bejubeln uns."
Army-Spezialist Colby Buzzell hat weniger glorreiche Eindrücke niedergeschrieben: "Ich bin eingezwängt in einen Wachturm über der Stadt Mossul. Wehe, wenn man keine volle Packung Zigaretten für den Turm mitnimmt. Eine Zigarette nach der anderen, bis die Lunge schmerzt und es einem übel wird vom vielen Nikotin im Blut. Gewöhnlich denke ich darüber nach, was ich tun werde, wenn ich die Army hinter mir habe, und ich frage mich, ob dieser böse Traum je enden wird."
Spezialist Colby Buzzell zieht es vor, seinen Text außerhalb der Workshops vorzulesen. Ihn stört die Präsenz seiner Vorgesetzten. Er weiß nicht, ob und wann er wieder in den Irak abkommandiert wird. Von den Workshop-Leitern ist zwar versprochen worden, kein Beitrag solle zensiert werden, aber nachdem zuletzt eine ganze Reihe kriegskritischer Irak-Blogger vom Pentagon zum Schweigen gebracht wurde, hat Buzell seine Zweifel an Operation Home Coming und steht damit nicht allein.
Im Poetry Magazin wird in diesen Tagen ein heftiger Streit um Sinn und Zweck der Workshops ausgetragen. Die heftigste Kritik stammt von der Schriftstellerin Eleanor Wilner. Die Soldaten-Prosa und das Pentagon bezeichnet sie als unheilige Allianz. Seit 30 Jahren unterrichte sie Literatur, schreibt Wilner, angesichts der zunehmenden Kriegsgräuel beobachte sie das Pentagon-NEA-Projekt mit Fassungslosigkeit und Abscheu: die Sponsoren, der Kontext, das Timing - schlimmer könne es nicht kommen. Workshops in ein Militärcamp, für Soldaten, die noch aktiv seien und unter Kommando stünden oder Gewalt und Trauma der Kampfhandlungen gerade den Rücken gekehrt hätten - warum würden die zur Niederschrift aufgefordert. Warum lasse man ihnen nicht Zeit? Tolstoi und andere Klassiker der Kriegsliteratur hätten ihre Erfahrungen verarbeitet und Jahre später aufgeschrieben. Eine Irak-Anthologie aus dem Boden stampfen, damit sie ja schnell an Schulen und Bibliotheken verteilt werden könne, riecht für Wilner nach Propaganda.
Dan Gioia weist einen solchen Vorwurf zurück: "Ich halte Operation Home Coming in keiner Weise für Propaganda. Wahrscheinlich wird es in der Anthologie etwas geben, das jeden Leser stört, egal welche politische Richtung er vertritt, weil das der realen Lage entspricht. Wir aber zielen auf die Wahrheit der Geschehnisse, wie sie von den Einzelnen Moment für Moment erlebt wurden."
Im Online-Magazin Intervention meldet sich der Vietnam-Veteran und Poet Kevin Bowen zu Wort, der seit 1997 Workshops für einstige Vietnam-Kämpfer an der Universität von Massachussetts leitet: "Wenn man über die Selbsthilfe und den therapeutischen Wert des Schreibens hinaus schaut, lässt sich leicht erkennen, dass dieses Projekt dazu dienen soll, einen offiziellen Lesekanon über die ersten Kriege des 21. Jahrhunderts zu schaffen. Hübsch verpackt und fertig für Massenabwurf und Schulgebrauch."
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