Computer Crime

Patriot-Gesetz, Artikel 215 Wie das FBI Terroristen in Bibliotheken sucht

Sage mir, was du liest, und ich sage dir, ob du ein Terrorist bist ...", das klingt wie ein böser Witz, fasst aber treffend zusammen, was ein obskurer Artikel des Patriot-Gesetzes bestimmt, der nach dem 11. September 2001 vom US-Kongress mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde. Artikel 215 gibt dem FBI die Vollmacht, landesweit in Bibliotheken, Buchläden und Zeitungsverlagen Lesegewohnheiten von Terrorismusverdächtigen unter die Lupe zu nehmen.

Wenn sich das Bundeskriminalamt meldet und Computer-Einsicht verlangt, darf die Bibliotheksleitung niemanden davon unterrichten, nicht vorher, nicht nachher. Doch dank einer aufschlussreichen Studie der Universität Illinois tappen Millionen entsetzte Amerikaner nun nicht mehr im Dunkeln, wenn sie fragen, wie oft das FBI wohl schon bei Bibliotheken angeklopft hat und mit welchen Konsequenzen. Ein Soziologieprofessor verschickte an 1.020 Einrichtungen Fragebögen, die namentlich nicht unterschrieben werden mussten. Resultat: Von Oktober 2001 bis Januar 2002 erhielten 95 Besuch vom FBI. Jeder fünfte Bibliotheksangestellte gab zu, sein Verhalten im Anschluss an die Visite geändert zu haben: Die einen kürzten Internet-Benutzern die Zeit, die anderen hatten ein schärferes Auge für das Verhalten der Besucher. Den stärksten Observationsbedarf hatte die Bundespolizei in den Städten, deren arabisch-muslimischer Bevölkerungsanteil besonders hoch ist. Paterson und Scranton in New Jersey gehörten dazu.

Welche immensen Fahndungsmöglichkeiten eine FBI-Computersuche heute hat, erklärt ein Experte: Mark Rasch, vor kurzem noch Sicherheitsagent in der Abteilung Computer Crime des US-Justizministeriums, ist davon überzeugt, dass sich sogar Texte reaktivieren lassen, die vom Benutzer schon lange gelöscht wurden. "Das FBI kann herausfinden, welche Dateien und welche Internet-Seiten angesehen, welche Passworte benutzt wurden. Bis auf die Tausendstel-Sekunde genau wird durch das FBI bestimmt, zu welcher Zeit eine Datei angelegt und angesehen wurde."

Die hohe Kunst der Bibliotheksrecherche praktiziert die Bundespolizei nicht zum ersten Mal. Im Kalten Krieg gab es ein Gegenspionage-Projekt namens Library Awareness Program. Damals ließ Washington sämtliche Wissenschaftsbibliotheken überwachen. Es wurde an den Patriotismus der Bibliothekare appelliert, auffällig spezialisierte Ostblockleser zu beobachten. Dieses Programm wurde erst storniert, als die Presse zu viele Fälle von Übereifer und ausufernder Beschattung zutage gefördert hatte. Damals, in den siebziger und achtziger Jahren, wurde von den meisten Bibliotheken und Verlagen vorbehaltlos kooperiert, heute versteht man trotz oder gerade wegen der grassierenden Terrorhysterie unter Patrotismus oft etwas Anderes als blinde Gefolgschaft bei einem penetranten Überwachungsregime.

"Das FBI missachtet die Rechte, die es aufrechterhalten soll", empört sich Judith Krug, Leiterin der Abteilung Intellektuelle Freiheit der Amerikanischen Bibliotheks-Gesellschaft (ALA). Krug, die für ihre mutige Position nicht nur Fanpost, sondern auch jede Menge Hassbriefe und Drohungen bekommt, regt sich am meisten darüber auf, dass dem FBI die Nachforschungen so leicht gemacht werden und über der Prozedur ein Schleier der Geheimhaltung liegt.

Daran nimmt inzwischen auch der Justizausschuss des Kongresses in Washington Anstoß und bittet in einem zwölf Seiten langen Brief an Justizminister John Ashcroft um Auskunft darüber, ob und wie oft der Artikel 215 bemüht wurde, um Unterlagen in öffentlichen Bibliotheken, e-mails eines Buchladens, die Korrespondenz eines Verlages oder Abonnements einer Zeitung zu durchleuchten - ob die Auskünfte namentlich genannte Personen betreffen, ob ein Durchsuchungsbefehl von jedem oder nur von höheren FBI-Beamten ausgestellt werden kann. Ob potenzielle Informationen von großem Wert für eine laufende Untersuchung sind oder vielleicht auf anderem Wege beschafft werden könnten. Die Antwort des Justizministers war kurz und bündig: die Zahl der anberaumten FBI-Besuche sei geheim und werde über die zuständigen Kanäle - "sprich: die Mitglieder des Geheimdienstausschusses" - bekannt gegeben. Diese eher zurechtweisende als erhellende Auskunft verstand John Ashcrofts Unterstaatssekretär Viet Dinh mit einer kräftigen Dosis Patriotismus anzureichern: "Unsere Absicht ist ganz klar. Wir wollen nicht Sicherheitsbelange gegen bürgerliche Freiheiten aufrechnen, sondern friedlichen Bürgern die Sicherheit geben, diese Freiheiten auch ausüben zu können."

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