USA Eine aus allen Milieus der Vereinigten Staaten gespeiste Graswurzel-Bewegung putzt schon einmal die Waffen und wildert hemmungslos im Lager der Obama-Wähler
Sie sind keine Partei und haben auch kein konkretes Programm, aber wenn jemand Demokraten und Republikanern bei den kommenden Kongresswahlen in die Parade fahren kann, will und wird, dann sind es die erbosten Aktivisten des rechtspopulistischen Tea-Party-Movement. Amerikas neueste Graswurzelbewegung hat sich aus den Tiefen der Rezession ins Bewusstsein der Nation gebohrt. Zorngeladen und von politischer Erfahrung meist unbelastet, sucht die Bewegung nach den Schuldigen an Amerikas verheerendem Finanz- und Wirtschaftszusammenbruch.
Top-Sündenbock ist der schwarze Mann im Weißen Haus – der „Sozialist, Landesverräter und Dieb des Volksvermögens“ Barack Obama. Aber die Tea Party hat sich nicht nur auf Obama, die Demokraten und die verhasste Gesundheitsrefor
heitsreform eingeschossen, sie will auch Wall Street, korrumpierte Republikaner, die Zentralbank, Medicare und Medicaid, eigentlich den ganzen „von Eliten aufgeblähten Staat“ loswerden.Die Bewegung, die Anfang 2009, in Anlehnung an die historische Boston-Tea-Party von 1773, als patriotischer Steuerprotest von ein paar Tausend Obama-Frustrierten begann, hat sich mit der Geschwindigkeit der Schweinegrippe ausgebreitet und – abgesehen von Afro-Amerikanern – alle nur denkbaren demografischen Gruppen infiziert. Alt und jung, arm und reich, Rechtsextreme und parteipolitisch Unabhängige, Lehrer, Banker, Hausfrauen, Arbeitslose – alle stoßen ins gleiche Horn. „Uns reicht es. Wir wollen unser Land und unsere Freiheit zurück. Der Staat ist zu mächtig, die Steuern sind zu hoch.“Militante Milizen Amerikas populärster TV-Moderator, der im Murdoch-Kanal Fox auftretende faschistoide Glenn Beck, hat sich zum Sprecher der neuen Bewegung aufgeschwungen. Beck verkauft sich gern als Entertainer und Rodeo Clown, doch er macht keinen Witz, wenn er seinem gläubigen Millionenpublikum erzählt, dass Obama künstliche Krisen schaffe, um die US-Ökonomie zu zerstören und den Weg in die Diktatur zu öffnen. Becks Hirngespinste werden für bare Münze genommen und heizen die Wut im Land noch weiter an.Die Mainstream-Medien sorgen selten für Aufklärung. Sie halten sich das Phänomen Volkszorn lieber vom Leibe. Rechte Störmanöver bei den Debatten zur Gesundheitsreform in traditionellen, einst zivilisierten Bürgerforen, werden lieber reportiert als hinterfragt. Kein Wunder, dass viele Amerikaner meinen, die Tea Party habe wohl gute Gründe für ihren Zorn. Paranoia und Maßlosigkeit der Ausfälle werden einfach hingenommen. Bisher im Abseits operierende, bis an die Zähne bewaffnete Milizen sind als patriotische Verfassungsschützer auf einmal salonfähig. Dass sie schon ihre Waffen putzen und sich auf die zweite amerikanische Revolution vorbereiten verkünden sie, ohne mit der Wimper zu zucken..Obama ist für den rechten Rand der Tea Party Bewegung mal Hitler, mal Stalin, mal Sozialist, mal Kommunist. Obendrein ein Landesverräter, der den traditionellen American Way of Life zerstört. Obama hätte nie Präsident werden dürfen, heißt es, er sei ja kein gebürtiger Amerikaner. 39 Prozent der Tea-Party-Aktivisten fordern deshalb seine Amtsenthebung.Die tiefe Rezession und an die 20 Millionen Arbeitslose haben eine seit Jahren angestaute Wut auf „das verschwenderische Washington, einen korrupten Kongress und überflüssige Bundesbehörden“ explodieren lassen. Jüngste Umfragen sind in der Tendenz ähnlich. Washington wird als „ungesund“ und „dysfunktional“ gesehen. Paralysiert vom steten Parteienzank und vom Unvermögen zum Kompromiss. Und wenn sogar ein Insider wie Vizepräsident Joe Biden den Capitol- Hill-Politbetrieb als broken, kaputt, bezeichnet, wen kann es wundern, dass die Tea-Party-Bewegung als frischer Wind und von 41 Prozent der Amerikaner als positive Entwicklung empfunden wird? Obamas Umfragewerte liegen derzeit bei 48 Prozent Zustimmung, dem Kongress vertrauen gerade einmal 18 Prozent.Geldgeber und GönnerWohin die Tea Party geht, weiß sie selber nicht so genau. Doch eines steht fest: So wie niemand ein Knäuel Katzen zur Ordnung rufen kann, wird auch niemand dieses amorphe, dezentralisierte, aus Tausenden lokaler Mini-Grüppchen zusammengewürfelte Konglomerat an die Kandare nehmen oder gar vereinnahmen können. Zwar gibt es im Hintergrund potente konservative Geburtshelfer, Geldgeber und Gönner wie die ehemaligen republikanischen Mehrheitsführer im Kongress, Dick Armey und Newt Gingrich. In deren Denkfabriken Freedom Works und American Solutions for Winning the Future wird den Tea- Party-Rebellen jetzt das ideologische Unterfutter verpasst, doch geschieht das nur in Maßen.Sarah Palin, Glenn Beck und die republikanische Parteiführung genießen keine Narrenfreiheit. Sie verrenken sich zwar in voraus eilenden Liebesbezeugungen, doch selbst die politischen Novizen – so sieht sich die Mehrheit der Tea Party – haben durchschaut, dass ihre Freier sich mehr für die eigenen Zwecke interessieren: Palin für ihre politische Zukunft, Glenn Beck für Einschaltquoten, die Republikaner für Siegchancen beim Kongressvotum im Herbst .„Sarah Palin an der Spitze? Sie müsste tun, was wir ihr sagen. Sonst wird sie gefeuert!“, schrieb Keli Carender, eine junge Frau aus Seattle, gerade in der New York Times. Carender gehört zu den Gründern der Tea-Party-Bewegung. Sie trägt einen Nasenring, spielt Theater und lebt in einem Stadtteil, in dem es mehr mexikanische Läden als Coffee Shops gibt. Eigentlich doch eher der Typ Obama-Wähler, wundert man sich.Junge Leute wie Carender, tendenziell konservativ, doch nie zuvor politisch engagiert, finden sich jetzt zuhauf bei der Tea Party wieder. Carender fühlt sich durch die Wall-Street-Exzesse politisiert. Sie hat Obama zwar nicht gewählt, aber zählt sich zum großen Block der Independents, die ihre Stimme im November 2008 mehrheitlich Obama gegeben haben und es jetzt bitter bereuen. Sie favorisieren die Tea Party und werkeln schon an einer Präsidentschaftskampagne für Ron Paul.Der libertäre Republikaner aus Texas wird als Vater der Tea-Party-Denkens verehrt. Seine Fans hoffen, dass sich die Bewegung noch vor 2012 als eingeschriebene Partei formiert. Paul könnte dann Präsidentschaftskandidat der Tea Party werden, die Umfragen zufolge derzeit populärer als die Republikanische Partei zu sein scheint. Auch Amerikas Independents würden inzwischen mehrheitlich einen Tea-Party-Bewerber einem Demokraten vorziehen.Sehen die Demokraten, was sich da zusammenbraut? Beschäftigen Obama der Absturz von „Yes, we can“ und der Aufwind für „No, we won’t“? Gibt es dem Weißen Haus zu denken, wenn der rechte Medien-Mob unverhohlen die latente Gewaltbereitschaft der Amerikaner schürt und ein republikanischer Senatskandidat in Indiana seinen Freunden der Tea Party versichert: „Ich putze schon meine Waffen für die Big Show, falls die Wahl im Herbst nicht das Ergebnis bringt, das mir gefällt.“Was Barack Obama über die Tea-Party-Attacken denkt, behält er für sich. Es würde ihm augenblicklich nicht gut bekommen, mit Fox und Glenn Beck in den Clinch zu gehen. Außerdem kennt dieser Präsident die amerikanische Geschichte. Rechtspopulismus taucht da zyklisch auf. Eisenhower wurde in den fünfziger Jahren von Senator McCarthy als Kommunist beschimpft. Und Franklin D. Roosevelt war stolz darauf, „der meist gehasste Mann in Amerika“ zu sein.Das verhaltene Schweigen der Demokraten hat ein anderes Kaliber. Vielleicht ist es politisches Kalkül – wer will sich im Wahlkampf schon am heiligen Volkszorn vergreifen? Doch es verrät auch eine große Schwäche. Wer nicht den Elan und die Courage hat, die absurden und gefährlichen Verleumdungen und Verschwörungstheorien der extremen Rechten aufzudecken und zurückzuweisen, der überlässt das Feld dem Gegner und schneidet sich ins eigene Fleisch. Millionen Arbeitslose werden noch jahrelang auf neue Jobs warten müssen, heißt es in der jüngsten US-Wirtschaftsprognose. Die Tea Party wird nicht so schnell verschwinden, wie sie gekommen ist.
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