Pechschwarze Rauchsäulen über Balad

USA Kriegsveteranen klagen wegen toxischer Müllverbrennungen auf ihren einstigen Basen im Irak und in Afghanistan, doch die US-Regierung tut sich schwer mit Entschädigungen

Sie sind zurück aus Bagdad oder aus Kandahar. Vom Feind unversehrt. Doch für Tausende, vielleicht Zehntausende amerikanischer Veteranen ist der Krieg nicht zu Ende. Sie leiden an Krankheiten, die ihr Leben drastisch verändern und nichts mit den tatsächlichen Kämpfen oder deren Folgen wie posttraumatischem Schlachtfeld-Stress zu tun haben, sondern mit der toxischen Müllverbrennung (Open Pits Burning) auf den US-Basen.

GIs aus 43 Bundesstaaten sind gegen die Betreiber der Müllfeuer – die Pentagon-Zulieferer Halliburton und Kellog Brown Roots (KBR) – vor Gericht gezogen. Sie beschuldigen die Unternehmen, die Feuer fahrlässig und illegal betrieben zu haben. Die Veteranen leiden an Allergien, akuter Atemnot, Leukämie, verätzten Lungen, Herzbeschwerden, multipler Sklerose und Krebserkrankungen.

Irak-Veteran David De Batto: „Ich war von April bis Oktober 2003 den Müllfeuern von Balad ausgesetzt, der gigantischen Basis nördlich von Bagdad. Das größte der fünf permanent brennenden Feuer reichte über mehrere Fussballfelder. Hier wurden seit Anfang des Krieges täglich an die 200 Tonnen Müll verbrannt. Alles, was man sich nur vorstellen kann: Elektromüll, Hunderttausende von Plastikflaschen, alte Reifen, Tierkadaver, chemische Waffen, medizinische Abfälle, alte Autos, amputierte Körperteile, Styropor, Drähte und Kabel“.

Joshua Tanton, Afghanistan-Veteran, ergänzt, „während meiner Stationierung in Qualat hab ich oft Müll ins Feuer gekippt. Da war alles dabei, vom täglichen Abfall über Lithium und Alkaline-Batterien bis zu zerfetzten Körperteilen. Es brannte rund um die Uhr, so lag ständig schwarzer Rauch über uns. Jedes Mal, wenn ich nach Kandahar musste, war ich erst einmal drei Tage krank. Das kam vom Rauch und Gestank der Fäkalien. Ich warne die Veteranenbehörde: Wehe, ihr kehrt das wieder unter den Teppich wie damals Agent Orange!”

Belag auf der Zunge

Es sei tragisch, wenn Amerikas Soldaten vom Feind unversehrt aus dem Irak und Afghanistan zurückkehrten, jedoch lebensbedrohliche Krankheiten mitbrächten, die mit der Müllverbrennung auf den eigenen Basen zusammenhingen, meint die demokratische Kongressabgeordnete Carol Shea Porter aus New Hampshire. Anfangs war sie skeptisch, doch die Massenklagen und ein Appell der Nationalen Lungen-Gesellschaft, offene Feuer bei der Army zu verbieten, haben sie davon überzeugt, das etwas geschehen muss. Porter hat zusammen mit ihrem New Yorker Parteikollegen Tim Bishop Ende 2009 ein Gesetz eingebracht, das vom Pentagon die Installation von Verbrennungsöfen verlangt.

Angesichts der stetig wachsenden Zahl sich krank meldender und vor Gericht ziehender Veteranen sieht Tim Bishop eine Neuauflage des Agent-Orange-Skandals aus der Zeit nach dem Vietnamkrieg heraufziehen. US-Soldaten und Generationen von Vietnamesen wurden damals vom Dioxin- haltigen Entlaubungsmittel Agent Orange – fabriziert von den Chemiekonzernen Monsanto und Dow Chemicals – vergiftet, verkrüppelt und getötet. 1984, elf Jahre nach dem Abzug, gewannen 291.000 GIs ihren Prozess gegen Monsanto und Partner. Ihnen wurden 180 Millionen Dollar zuerkannt, doch 1994 die Zahlungen gestoppt. Von den 2,4 Millionen US-Soldaten, die zwischen 1965 und 1973 in Vietnam stationiert waren, erhielten dadurch nur 60.000 eine Wiedergutmachung. Der Abgeordnete Tim Bishop warnt die Administration in Washington: „Wir müssen verhindern, dass die Open Pits zum Agent Orange des Irak- und Afghanistan-Feldzuges werden.“

Robert Miller, Facharzt am Medical Center der Vanderbilt Universität in Tennessee, behandelt mehr als ein Dutzend Veteranen, die dem Rauch der Müllfeuer ausgesetzt waren. „Ich glaube, es gibt keinen Zweifel, da wurden Gifte freigesetzt. Fast alle Veteranen, die zu mir kamen, waren zu Beginn ihrer Zeit im Irak und in Afghanistan Top-Athleten. Die sind zwei Meilen in 13 Minuten gelaufen – nach ihrer Rückkehr bekamen sie Atemnot beim Treppensteigen. Einige von ihnen haben sich für einen Job bei der Polizei beworben und sind abgelehnt worden, weil sie den Physis-Test nicht bestanden haben.“

Bevor der Kongress sein Open-Pit-Verbot aussprach, loderten im Irak und in Afghanistan Hunderte offene Müllfeuer. Je nach Wind und Wetter stiegen pechschwarze Rauchsäulen in den Himmel. Ein Asche-Regen ging auf irakische Dörfern in der Umgebung nieder. Mikroskopisch kleine Feinstaub-Partikel, deren Konzentration den in Militäranlagen erlaubten Grenzwert oft um das Fünfzigfache überschritt, drangen durch Tür- und Fensterritzen der Soldaten-Quartiere.

„Unsere Unterkünfte lagen hinter sechs Meter hohen Mauern“, erzählt Michelle Franco, Leutnant bei der Air Force, im Zivilleben Krankenschwester. „Die Mauern schützten uns zwar vor Feind-Beschuss, aber nicht vor der Müllverbrennung. Du konntest diesen Staub als Belag auf der Zunge schmecken. Ekelhaft.“ Die 48-Jährige war gesund und voller Energie, als sie 2007 in Balad ankam. Nach fünf Monaten konnte sie ohne Inhalationsspray nicht mehr richtig atmen. Die Diagnose: Permanenter Lungenschaden. Francos Tage als berufstätige Krankenschwester sind gezählt.

Schon 2006 warnte der in Balad stationierte, vom Pentagon mit einer Umwelt-Studie beauftragte Air-Force-Ingenieur Darrin Curtis, dass der Rauch eine „akute Gesundheitsgefährdung der Soldaten“ sei. Er schrieb an seine Vorgesetzten und erhielt nie eine Antwort. Erst nachdem die Soldatenzeitung Army Times Anfang 2008 mit einer fortlaufenden Berichterstattung über Burn Pits und mysteriöse Krankheiten von Veteranen begann, brach die Army ihr Schweigen. Craig Postlewaite, Pentagon-Direktor für Gesundheitsangelegenheiten der Truppe, versuchte zu beschwichtigen. Der Rauch könne unter Umständen akute Beschwerden wie Reizungen der Augen oder Halsentzündungen auslösen, aber nur ein kleiner Teil der Soldaten sei davon betroffen. Postlewaite verwies auf Pläne, die Gesundheit heimkehrender Soldaten zu überwachen, damit eventuelle Beschwerden registriert werden könnten. „Außerdem“, so der Pentagon-Mann im Oktober 2009, „haben wir inzwischen zwei Dutzend Verbrennungsanlagen installiert. Nichts ist uns so wichtig wie die Gesundheit unserer Soldaten“.

Irakveteran David de Batto hat anderes erlebt. Niemand in Balad habe irgendwelche Schritte unternommen, um die Soldaten vor dem Rauch zu schützen. Weder der Kommandeur noch hochrangige Offiziere. „Die Gesundheit der Soldaten ist eben nicht so wichtig.“ Der für die Salt Lake Tribune schreibende Reporter Matthew LaPlante hat weitere Gründe für das Fehlen von Müllverbrennungsanlagen gefunden. In einer im Januar 2010 unter der Überschrift Sickened by Service (Krank durch Service) veröffentlichten dreiteiligen Serie seiner Zeitung schreibt LaPlante, der frühere Verteidigungsminister Rumsfeld habe an einen kurzen Krieg geglaubt. LaPlante: „Zu Beginn des Krieges mochten weder Militär noch Regierung eingestehen, dass alles länger dauern würde – dass der Sieg nicht so greifbar war wie immer behauptet. Teure Infrastruktur aufzubauen wie die Einrichtung von Verbrennungsöfen, das wurde als falsche Botschaft über die wahrscheinliche Kriegsdauer verstanden. Erst als wir alle kollektiv mit den Schultern zuckten und uns eingestanden, dass wir es wohl mit zeitraubenden Feldzügen zu tun hätten, erst dann wurden Verbrennungsöfen installiert. Aber selbst heute – sieben Jahre nach Beginn des Irak-Krieges und neun Jahre nach dem Einmarsch in Afghanistan – wird der Müll vielerorts immer noch in offenen Feuern verbrannt.“

Haltet den Mund

Nach Angaben des Magazins US World News Report gibt es im Irak derzeit 27 Müll-Verbrennungsanlagen, in Afghanistan zehn. Insgesamt sollen 74 installiert werden. Angesichts landesweit eingereichter Klagen gegen die Betreiber der Feuer hat Pentagon-Direktor Postlewaite inzwischen eingeräumt, das Open Pits Burning könne vielleicht doch langfristige Gesundheitsschäden verursachen. Er nennt sogar Zahlen: 56 Prozent der Truppen auf den derzeitigen Kriegsschauplätzen seien offenen Müllfeuern ausgesetzt gewesen, aber nur eine Minderheit habe über Gesundheitsbeschwerden geklagt.

Die Washingtoner Anwaltskanzlei Burke LLC vertritt 300 Veteranen in einer Klage gegen die Konzerne Kellog Brown Roots und Halliburton. Anwältin Elisabeth Burke kennt das Metier, zu ihren Mandaten zählen Folteropfer aus Abu Ghraib und Angehörige irakischer Zivilisten, die vom berüchtigten Blackwater-Sicherheitspersonal erschossen wurden. Burke schätzt, dass die Müllfeuer etwa 100.000 Soldaten geschädigt haben. „Es gibt mehr durch Rauch und Gift als durch Kampfhandlungen verursachte Verletzungen.“

Er habe sofort erkannt, wie gefährlich dieser Qualm war, sagt David De Batto. „Wir haben uns wiederholt beschwert bei unseren Vorgesetzten, aber da hieß es nur, wir sollten uns keine Sorgen machen, das gehöre nicht zu unseren Aufgaben. Shut up and mind your own business“ (Halt den Mund und kümmere dich um deine eigenen Sachen). De Batto will sich keiner Klage anschließen. Ihm schwant, dass wieder Studien über Studien angestellt und Gerichtsverfahren verschleppt werden, nach dem Muster der Agent-Orange-Klagen oder wie 1991 beim Golfkriegssyndrom. Auf die Frage, warum die Army nichts gelernt habe aus der Agent-Orange-Katastrophe kommt die Antwort: „Unsere Streitkräfte haben eine traurige Tradition, Kriegsveteranen zu vergessen und sich ihrer zu entledigen. Das US-Militär hat seine Lektionen, besonders seit Vietnam, nicht gut gelernt. Trotz erschöpfender After-Action-Analysen.“

Barbara Jentzsch berichtet seit Jahren für den Freitag aus den USA

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