Viel Feind - viel Ehr. Susan Sontag, Amerikas streitbarer Essayistin und Erfolgsautorin, hat es an intellektuellen Gegnern nie gefehlt. Doch plötzlich von der ganzen Nation quasi gehasst zu werden, das ist neu. Seit ihren dem Mainstream-Amerika unbequemen Äußerungen zu den Terror-Anschlägen des 11. September ist die Grande Dame der amerikanischen Gegenwartsliteratur in Ungnade gefallen. "Ich mag keine selbstgerechten Chauvinisten", hatte sie sich empört, "und ich bin auch nicht so glücklich mit der Stimmung, die nach dem 11. September aufgekommen ist - wo Leute der Meinung sind, dass Kritik an der Regierung unpatriotisch ist. Ich habe den erstaunlichsten, scheinheiligsten Blödsinn anhören müssen: Über den Kampf zwischen Zivilisation und Barbararei ...wir gegen sie ... gut gegen böse ... Gott gegen Satan. Es tut mir leid, aber ich lehne diesen Sprachgebrauch ab."
Diese als unpatriotisch empfundenen Töne sind der Schriftstellerin nicht verziehen worden. Dass sie ihre "9-11" Position inzwischen abgemildert hat, interessiert höchstens literarische Insider. Dass sie für ihren historischen Roman In America im Jahr 2000 den National Book Award bekommen hat, ist auch schon wieder vergessen. Amerika hat Susan Sontag, die langjährige PEN-Präsidentin und unermüdliche Menschenrechtsaktivistin in die Nestbeschmutzerecke gestellt. Dementsprechend gering ist die Aufmerksamkeit, die ihrem 70. Geburtstag geschenkt wird.
Die Schriftstellerin scheint sich nicht daran zu stören. Sontag hat sich gerade von einer zweiten Krebserkrankung erholt und lässt Publicityquerelen nicht an sich heran kommen. Die Zahl 70 sei eh keine Zäsur für sie, hat sie wissen lassen. Sie fühle nicht, was andere Menschen in diesem Alter zu fühlen scheinen. Sie lebe heute nicht anders als vor 30 oder 40 Jahren. Damals pendelte sie rastlos zwischen New York und Paris, im Schlepptau ihren 1951 geborenen Sohn David. Heute lebt Sontag vergleichsweise ruhig in einem Penthouse im New Yorker Stadtteil Chelsea. Tür an Tür mit der Starfotografin Annie Leibowitz, ihrer um 17 Jahre jüngeren Lebensgefährtin. Susan Sontag sei wie die Zeile eines Bob-Dylan-Songs, hat ein Kritiker einmal geschrieben. Er meint den Refrain aus dem Song Back Pages "I was so much older then, I´m younger than that now - Damals war ich soviel älter, als ich mich heute fühle".
Der Mythos ewiger Jugend hat auch Sontags berühmte Zeitgenossinnen Jane Fonda und Gloria Steinem umwoben. Als Fonda die 50 erreichte und Steinem 60 wurde, mochte das ebenfalls keiner glauben. Obwohl das Geheimnis dieser feministischen Superstars nicht schwer zu entziffern ist, denn ihr zeitloses, forever young-Image verdanken sie ihrer permanenten, grandiosen Selbstinszenierung und einer perfekten Vermarktung .
Auch Susan Sontags Imagepflege sei hohe Kunst, sagen die Literaturprofessoren Carl Rollyson und Lisa Paddock, Autoren einer spannenden vor zwei Jahren erschienenen unautorisierten Biografie der Schriftstellerin. Sontag habe sich sozusagen selbst erfunden, sagt Rollyson. Mit Schönheit und Selbstbewusstsein gesegnet habe sie von Anfang an alles daran gesetzt, bekannt und berühmt zu werden. Zuerst als Kulturkritikerin, deren Essays über Ästhetik, Aids und Fotografie heute zum kulturellen Kanon des 20. Jahrhunderts gehören, später als Filmemacherin, Romanschriftstellerin und Theaterregisseurin. Ihr Drang, sich mitzuteilen, so Rollyson, habe Susan Sontag zu einer Art öffentlicher Institution werden lassen: "Sie hat sich sozusagen selbst erfunden, sie war fest entschlossen, unbedingt eine öffentliche Rolle zu spielen. Dass sie zu einer öffentlichen Institution geworden ist, sieht man daran, wie oft ihr Name in den vergangenen 20 Jahren in der New York Times aufgetaucht ist, im Zusammenhang mit all den Leuten, die Sontag zitiert haben. Am Ende unserer Biografie haben wir eine Sammlung mit Zitaten über sie, aus Filmen, Büchern und allen möglichen anderen Quellen."
Als "Der Paganini der Literaturkritiker" wird Susan Sontag da bezeichnet oder als "The dark Lady of American Letters". "Unser Erasmus" hat der Freund und Schriftsteller Carlos Fuentes sie bewundernd genannt. "The Literary Pinup" bezieht sich auf Sontags dunkle Schönheit, auf den glamourösen Sex-Appeal den die Porträts auf ihren Buchumschlägen ausstrahlen. Diese Bilder wurden von Starfotografen wie Richard Avedon aufgenommen. Sie machten das neuentdeckte Talent in den sechziger Jahren als "Natalie Wood der amerikanischen Avantgarde" bekannt.
Die ersten Schritte in Richtung Avantgarde tat Sontag bereits im Kindesalter. Am 16. Januar 1933 wurde sie in New York als Susan Lee Rosenblatt in eine jüdische Mittelstandsfamilie geboren. Die ersten Jahre verbringt die Tochter eines in China arbeitenden Pelzhändlers und einer Lehrerin in der Obhut der Großeltern. Das mit Asthmaanfällen geplagte Wunderkind Susan darf die ersten beiden Klassen überspringen. Als Siebenjährige bringt sie die ersten Texte zu Papier. Gedichte, Abenteuer- und Reisegeschichten. Sie sei schon als Kind gern auf Reisen gegangen, zumindest in Gedanken, sagt Sontag. An ihre Kindheit erinnert sie sich als eine lange währende Gefangenschaft . Gefangen im Zustand des "Andersseins": "Kindsein missfiel mir, weil ich nicht tun konnte, was ich wollte. Ich war ruhelos und wünschte mir zu reisen, Europa und die Welt zu sehen, Ich war ein aufgewecktes, wissbegieriges Kind, wollte lesen, schreiben und so schnell wie möglich erwachsen werden."
Zur emotional abweisenden Mutter hat Sontag zeitlebens ein distanziertes Verhältnis. Im Alter von fünf verliert sie den Vater. Es bleiben die Bücher. Die Biografie von Marie Curie beeindruckt sie so stark, dass sie beschließt, Chemikerin zu werden, oder Ärztin. Sie sehnt sich nach noblen Aufgaben, sieht auch die Literatur als etwas Erhabenes. Als Teenager an der North Hollywood Highschool in Los Angeles verschlingt sie Thomas Manns Zauberberg und lädt sich beim berühmten Exilautor zur Teestunde ein. Biograf Rollyson: "Sie war ein frühreifes Kind, eine Leseratte wie so viele Schriftsteller im Kindesalter. Schon im Gymnasium schrieb sie Geschichten, Gedichte und Theaterstücke, schrieb für die Schülerzeitung und zeigte ein leidenschaftliches Interesse für Musik und Tanz. Fast alle ihre künstlerischen Interessen stammen aus der Schulzeit."
Als Schülerin entdeckt sie Schostakowitch, Bartok und die Literaturzeitschrift Partisan Revue. 1948 beginnt sie im Alter von 15 ihr Studium an der Universität von Chicago. Zwei Jahre später trifft sie dort den Soziologie-Dozenten Phillipp Rieff. Nach zehn Tagen wird geheiratet. Die beiden Highlights der Ehe, heißt es später in den britischen Medien, seien der 1952 geborene Sohn David und die bemerkenswerte Tatsache, dass Susan Sontag wohl die einzige Frau und Mutter in der kalifornischen Geschichte sei, die auf Unterhaltszahlungen für ihren Sohn verzichtet habe. Leisten kann sie sich das eigentlich nicht, aber sie will den Sohn allein erziehen, will unabhängig und ihrem Ex-Ehemann gegenüber zu nichts verpflichtet sein.
Erst nach der Scheidung hat ihr literarisches Leben begonnen. Sontags erster Roman The Benefactor wird von den Kritikern 1963 mit Wohlwollen auf genommen. Mit einem Schlag bekannt macht sie dann der ein Jahr später erscheinende kulturkritische Essay Notes on Camp mit dem Untertitel Reflexionen zur Dandy Aesthetik. Camp fesselt die Leser, weil Sontag Neuland beschreitet, als sie high brow and low brow art mit gleicher Aufmerksamkeit bedenkt - also die elitäre klassische Kultur der Popkultur nicht überordnet. Über die Bedeutung der Kunst der Gegenwart, über Happenings und Undergroundkunst, die Bedeutung von Fotographie oder Pornographie ist vor Susan Sontag so noch nicht nachgedacht worden. Sontag habe auch in ihrem nächsten und besten Essaysammelband Against Interpretation Dinge zum Thema gemacht, die vorher literarisch selten verarbeitet wurden, manche Entwicklungen geradezu prophetisch vorwegnahmen und das amerikanische Bewusstein in der Folge stark beeinflussten, sagt ihr Biograf. Ihr Timing sei oft unglaublich gewesen: "Sie ist geworden, was sie ist, weil sie ein unglaubliches Gespür für Timing hat. Sie hat ihren Essay über Camp genau zur rechten Zeit herausgebracht, gerade als die Sixties in der kulturellen Wahrnehmung zu dem wurden, was wir heute die sechziger Jahre nennen. Sie schreibt über Science Fiction wenige Jahre bevor es Collegekurse über Science Fiction gibt. Sie macht Pornografie zum Thema, rätselt ob die Form Legitimation hat, wieder und wieder trifft sie ins Schwarze mit ihren Fragen."
Lisa Paddock, Rollysons Co-Autorin, bewundert den Mut und die innere Stärke der Susan Sontag: "Durch schiere Willenskraft hat sie es vermocht, sich in der Gesellschaft einen Platz als eine öffentlich anerkannte Intellektuelle zu verschaffen, etwas, das es eigentlich gar nicht mehr gibt. In dieser Funktion schreibt sie dann Leitartikel nicht nur über das jüngste literarische Ereignis, sondern auch über George Bushs Reaktion auf "9-11" oder was sich in Sachen Irak tut. Ganz ähnlich hat sie reagiert, als sie als junge Frau an Brustkrebs in einem schlimmen Stadium erkrankte - was hat sie gemacht? Obwohl sie zu der Zeit so gut wie kein Geld hatte, fand sie Leute, die es ihr ermöglichten nach Frankreich zu gehen, wo sie sich einer experimentellen Chemotherapie unterzog, die anderen Leuten viel zu riskant war. Sie hat überlebt und weitergemacht, und dazu hat meines Erachtens eine Menge Mut gehört."
Die Erfahrungen ihrer ersten Krebserkrankung hat Sontag 1978 in dem tabubrechenden Buch Krankheit als Methapher beschrieben. Darin attackiert sie die Mode gewordene Haltung, Krankheit als Metapher für Schuld und Strafe anzusehen. Unter dem Eindruck der weltweit grassierenden Aids-Seuche überarbeitet und erweitert sie das Buch und veröffentlicht es 1988 neu mit dem Titel Aids and Its Metaphors. Über ihren oft zitierten Mut, mit Krankheit und Krebs umzugehen, Unglück in etwas Gutes zu verwandeln, schreibt sie, das sei keine besondere Leistung, sondern eine Frage der Einstellung und der verfügbaren Energien: "Mir geht es gut. Ich bin zum zweiten Mal Krebspatientin, und es ist ein neuer Krebs, keine Metastasen von vorher. Mir liegt daran, die Leute zu ermutigen, sich eine gute Behandlung zu suchen. Ich hatte eine sehr gute Behandlung, die allerdings sehr schmerzhaft war, mich letzten Endes aber geheilt hat. Heute können die meisten Krebsarten geheilt werden, wenn man rechtzeitig behandelt wird. Mir ist es wichtig, darüber öffentlich zu sprechen und das Tabu zu brechen, das besonders mit Krebs verbunden ist. Krebs ist eine Krankheit wie jede andere, allerdings eine ziemlich ernste Krankheit."
So wie sie ihren Krebs nicht einfach hingenommen, sondern bekämpft hat, so vehement und unermüdlich engagiert sich Susan Sontag seit Jahrzehnten auch auf der politischen Ebene. Sie gehörte schon zu den Gründungsmitgliedern der Anti-Vietnamkriegsbewegung, unterstützte als PEN-Präsidentin Salman Rushdies Rechte, legte sich zu Solidarnosc-Zeiten aber auch mit der amerikanischen Linken an, als sie Kommunismus als Faschismus bezeichnete und wurde beschuldigt, einen Vorwand für Selbstinszenierung gesucht zu haben, als sie 1992 in Sarajewo Becketts Theaterstück Warten auf Godot aufführen ließ. Susan Sontag über ihre Art Aktivismus: "Streng genommen ist Aktivismus etwas, was ich als Bürger und Mensch tue. Es hat nichts mit der Schriftstellerin zu tun. Ich hoffe, dass ich auch nach Sarajewo gegangen wäre, ohne Schriftstellerin zu sein, denn wegen der Schriftstellerei bin ich nicht dort hin gegangen. Ich wollte in der Stadt arbeiten und leben - so glaube ich, muss ich es angehen, das Wichtige und für mich Richtige zu tun."
Welche Rolle kann jemand wie Susan Sontag im terrorbesessenen, sich Schritt für Schritt zum Überwachungsstaat entwickelnden Amerika heute noch spielen? Biograf Rollyson meint dazu: "Ihre Bedeutung liegt, glaube ich, darin, dass sie artikulieren kann, was ein großer Teil der amerikanischen Intellektuellen immer noch denkt und sagt. Ich denke da an ihre Kritik an Präsident Bush und Amerikas Reaktion auf den Terroranschlag auf das World Trade Center ... ihre Kritik am Selbstmitleid der Amerikaner. Ob man ihren Standpunkt nun teilt oder nicht - Susan Sontag ist zur Stelle, ist weiterhin eine intellektuelle Provokateurin."
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