Sie gehört einer Bürgerinitiative an, die sich gründete, um einen Stadtpark als Freiraum in ihrem Wohngebiet zu erhalten. Ein Investor suchte sich diese grüne Oase für seine Baupläne aus. Auch wenn der Bau noch längst nicht genehmigt ist, findet sich das Bezirksamt nun nicht mehr bereit, die bewilligten Gelder auszugeben, um neue Beete und Wege anzulegen und den Spielplatz umzugestalten. Seitdem verkommt der Park. Um den Ärger der Anwohner eine Richtung zu geben, fanden sich einige Leute in einer Bürgerinitiative zusammen. Im Bezirksamt versuchten sie zunächst dafür zu sorgen, dass der Park gepflegt wird. Doch ihre Argumente verhallten. "Solche Bürokraten!", schimpften die einen und überlegten, wie sie sich wehren könnte
nten. "Das hat alles keinen Sinn!", meinten die anderen und zogen sich frustriert zurück. "Was kann ich tun, um meinen Wunsch, den Park zu bewahren, Gewicht zu verleihen, ohne zu rebellieren oder zu resignieren?", fragte die Frau in der Werkstatt "Politik jenseits von Feindbildern".Seit dem Frühjahr treffen sich um die 20 Frauen und Männer regelmäßig in Berlin. Manche sind gerade erst erwachsen geworden, andere bereits im Rentenalter. Ihre Gesichter, Frisuren, Kleider verraten - sie gehören unterschiedlichsten Subkulturen an. Einige sind bereits seit Jahrzehnten in der Friedensbewegung aktiv oder arbeiten an Projekten in der Dritten Welt mit. Andere gehören autonomen Gruppen an oder wollen auch mit Hartz IV selbstbestimmt leben. So verschieden ihr Kontext ist, sie alle kennen die Erfahrung, wenn andere am längeren Hebel sitzen. Es werden Argumente ausgetauscht. Jeder beharrt darauf, Recht zu haben, ohne dass eine Annäherung geschieht. "Was können wir tun, um nicht Kraft zu verlieren, sondern unsere Energie zu bewahren und weiter zu gehen mit unserer politischen Vision - so verschieden sie auch aussehen mag?" Diese Frage bewegt die Teilnehmer der offenen Gruppe.Sie fühlen sich der Idee der "Gewaltfreien Kommunikation" von Marshall Rosenberg verbunden. In der Nachfolge von Carl Rogers entwickelte der amerikanische Psychologe in den zurückliegenden 40 Jahren dieses Modell, in dem es vor allem darum geht, die Gefühle und Bedürfnisse der Menschen zu beachten. Die scheinbar einfache Methode beschreibt, was jemanden in einer bestimmten Situation bewegt, was er braucht und was zu tun er die anderen konkret bittet. Auf dieser Grundlage können Menschen Empathie und tragfähige Beziehungen entwickeln. "Allerdings sind wir es gerade in der politischen Auseinandersetzung gewohnt, anders zu reden", erklärt Reinhard Schänke, einer der Begründer der Werkstatt. "Wir reihen schnell sachliche Argumente aneinander, die im Gegensatz zu dem stehen, was unser Gegenüber äußerte, verlieren so den Kontakt zu ihm und sehen ihn als Feind." Anders ist es, so die Erfahrung der Teilnehmer der Werkstatt, bei persönlichen Konflikten - wenn also über die verschiedenen Bedürfnisse gesprochen wird. Auf dieser Ebene gibt es keinen Widerspruch, höchstens verschiedene Prioritäten. Unabhängig von politischer Gesinnung oder gesellschaftlicher Stellung kennen alle Menschen das Bedürfnis nach Selbsterhaltung und Liebe, nach Zugehörigkeit, Sinn und Integrität. Allerdings gehen sie unterschiedliche Wege, sie durchzusetzen. Dadurch geraten sie in Konflikte miteinander, letztlich entstehen so auch Kriege. "Deshalb ist für uns auch eine hochpolitische Angelegenheit, zu lernen, sich über die Bedürfnisse miteinander zu verständigen, auch in politischen Kontexten", betont Reinhard Schänke. Noch befindet sich die Werkstatt "Politik jenseits von Feindbildern" im Entwicklungsstadium. Im Rollenspiel nahm die Frau aus der Bürgerinitiative für die Parkerhaltung die Position des Bezirksamtsmitarbeiters ein. Sie entdeckte, dass er die knappen Gelder aus dem Etat des Bezirksamtes nicht unnütz ausgeben wollte und sich vor den Bürgern rechenschaftspflichtig fühlte, sollte doch im Park gebaut werden. Außerdem wünscht er sich, dass seine und die Tätigkeit seiner Mitarbeiter von den Bürgern auch anerkannt wird. Gefangen in ihrem Feindbild konnte die Frau diese berechtigten Anliegen ihres vermeintlichen Gegenspielers nicht erkennen. Nach dem Übungsabend beschloss sie, eine Gelegenheit zu suchen, dem Mann informell noch einmal neu zu begegnen. Ebenfalls lernte sie, nicht auf den Lösungsvorschlägen ihrer Bürgerinitiative zu beharren, sondern gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, die Bedürfnisse beider Seiten zu befriedigen.Oft ist es eine Herausforderung, sich in seinen Widersacher einzufühlen, wenn man sich selbst bedrängt oder in Not sieht, beschreibt Reinhard Schänke das Herangehen in der Werkstatt. "Deshalb ist es zunächst notwendig, sich seiner eigenen Feindbilder bewusst zu werden und sich von ihnen zu verabschieden. Die Menschen reagieren sehr unterschiedlich. Der eine kann es nicht ertragen, wenn sich jemand auf sein Amt beruft und meint, er hätte keine Zeit oder müsse sich an seine Vorschriften halten. Ein anderer wird wütend, wenn Unternehmensführer Beschäftigte entlassen und sich gleichzeitig höhere Bezüge sichern. Eine Dritte fühlt sich hilflos zu sehen, wie ungleich der Reichtum zwischen der ersten und der dritten Welt verteilt ist. Das verengt die Sicht und blockiert unsere politischen Aktivitäten. "Frieden beginnt in uns selbst", schreibt dazu Marshall Rosenberg. "Damit meine ich nicht, dass wir uns zuerst von all unseren inneren gewaltvollen Erfahrungen befreien müssen, bevor wir nach außen auf die Welt schauen oder auf einer höheren Ebene am sozialen Wandel mitwirken können. Was ich meine, ist, dass wir diese Dinge gleichzeitig tun müssen." Handelt es sich bei der gewaltfreien Kommunikation um ein weichgespültes Weltbild, das Energie abzieht, wenn es um die knallharte Durchsetzung von gesellschaftlichen Interessen geht? Durchaus nicht, meinen die Teilnehmer der Werkstatt. Dieser Ansatz lädt vielmehr ein, klar und verständlich ein Anliegen zu formulieren. Anschließend machen sie deutlich, wie ihr Gegenüber konkret dazu beitragen kann, es zu realisieren. "Es ist wie das Erlernen einer vollkommen neuen Sprache", fasst Reinhard Schänke zusammen. Das braucht Übung und Unterstützung durch Gleichgesinnte. Dass es möglich ist, mit gewaltfreier Kommunikation auch Frieden zu stiften und Veränderungen zu bewirken, wissen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Marshall Rosenberg selbst. Das von ihm gegründete Center for Non-Violent Communication führt seit 1984 Konfliktlösungs-, Friedens- und Versöhnungsarbeit in mehr als 30 Ländern durch und unterstützt gegenwärtig beispielsweise auch die Ausbildung von Mediatoren für Tibet und Mexiko. Die Werkstatt ist zu erreichen unter gfkpol@gmx.de.Literaturtipp: Marshall B. Rosenberg: Das Herz gesellschaftlicher Veränderung. Wie Sie Ihre Welt entscheidend umgestalten können. Junfermann 2004, 7,90 EUR
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