“Wenn Studs Terkel zuhört, reden alle”

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Heute hätte der US-amerikanische Großmeister der Oral History des Amerikanischen Jahrhunderts seinen 100. Geburtstag gefeiert.

Nur die Guten sterben jung gilt zum Glück nicht für alle – manchen ist auch ein erfülltes, langes Leben gegönnt – so wie dem US-amerikanischen Radiomoderator, Autor, Historiker und Schauspieler Studs Terkel. Seinen hundertsten Geburtstag erlebt er trotzdem nicht mehr – nachdem er noch kurz davor auch in Deutschland noch seine Memoiren Touch and Go (2007) vorgestellt hatte, starb er am 30. Oktober 2008. Ein Nachruf bezeichnete ihn als “die Seele des Mittelwestens, und ein grundehrlicher Außenseiter und Freund der einfachen Frauen und Männer”. Terkel gehörte wie der zehn Jahre jüngere Historiker Howard Zinn, oder der Musiker Woody Guthrie – zwei Monate nach Terkel geboren -, zu den wichtigsten Chronisten des “anderen Amerika” im “Amerikanischen Jahrhundert, der “einfachen Menschen” in den Vereinigten Staaten.

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Foto: Quelle: studsterkelcentenary.wordpress.com

Terkel wurde zu einer Zeit geboren, als sich die USA von einer Agrar- in eine Industrienation verwandelte und sich von einer regional- zur Weltmacht entwickelte, wurde geprägt durch die Erfahrung der Großen Depression in den 30ern, den 2. Weltkrieg, und durchlebte die Nachkriegszeit mit der wachsenden Konsumgesellschaft, der Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner und dem Kalten Krieg, den Vietnamkrieg, die mächtigen Anti-Atom-Demonstrationen der 70er, die Emanzipation der Frauen und der Homosexuellen, die Reagan-Ära, den Mauerfall und als letztes den Irakkrieg und die Finanzkrise von 2008.

Seiner Heimatsstadt Chicago ein Leben lang treu, reiste Terkel durch ganz Amerika, interviewte in Radiosendungen und für Bücher “normale” und prominente Leute seiner Zeit zu Alltagsthemen und großen politischen und sozialen Ereignissen und erstellte so eine soziale Landkarte seines Landes, machte sie zu Chronisten von historischen Perioden wie der Depression und dem Zweiten Weltkrieg, schrieb über Arbeit und “Rasse”, die Jazz-”Giganten” und er traf andere große Musiker von Bob Dylan bis Big Bill Broonzy, dessen Musik er, neben Schubert auf seiner Beerdigung gespielt haben wollte. Ein Kollege sagte einmal über Terkel: “Wenn Studs Terkel zuhört, reden alle.” Wenn man etwas über das vergangene Jahrhundert und über die USA wissen und verstehen möchte, muss man den Stimmen zuhören, die Terkel eingefangen hat. Happy Birthday!

Update: Unter dem Link unten auch das Demo eines neuen Songs von Jon Langford (The Mekons), dass er für die Feier zum 100. Geburtstag von Studs Terkel in Chicago geschrieben hat und freundlicherweise für uns in seinem Keller mit der Ukulele aufgenommen hat. Zudem gibt es weiteres Audio und Videomaterial von und über Terkel.

Zuerst erschienen auf Popkontext.de

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Popkontext

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