Culture Clash: Shangaan Electro im Berghain

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Männer in eigenwilligen Clownskostümen, an Po und Bauch ausgepolstert, Frauen in traditionellen Röckchen schütteln ihre Hinterteile heftig zu atemberaubend schneller elektronischer Musik mit afrikanischem Rhythmus. Auch wenn die Bewegungen durch die starke Betonung auf den Unterleib extrem sexuell erscheinen, ist das Ganze offenbar ein Spaß für die ganze Familie, denn unter den Tänzer/innen sind sowohl Kinder als auch ältere Semester. Youtube-Videos waren mehrere Jahre die einzigen Dokumente, die diesen neuen südafrikanischen Tanzstil in die Welt hinaustrugen und schnell mehrere Tausend Clicks bekamen.

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Cover der Hones Jon's Compilation

Das umtriebige Londoner Label Honest Jon’s wurde aufmerksam und veröffentlichte vor einem Jahr eine Compilation namens Shangaan Electro: New Wave Dance Music From South Africa. Labelchef Mark Ainley und Mark Ernestus (Ex Basic Channel) hatten darauf 12 Tracks zusammen getragen, die zwischen 2006 und 2009 im Studio des Produzenten Nozinja in Johannesburg aufgenommen wurden. Mit dieser Compilation wurde man auch im Westen auf diesen Musikstil aufmerksam, dem bisher nur im Nordosten Südafrikas und in Johannesburg und anderen Enklaven des Tsonga-Volks gefrönt wurde.

Nozinja, bürgerlich Richard Hlungwani, ist ein Angehöriger dieser Tsonga – oder auch Shangaan – genannten Ethnie, die vorrangig in Mosambik und in angrenzenden Teilen Südafrikas lebt und in dem Ruf steht, ein außergewöhnlich freundliches Völkchen zu sein. Geboren und aufgewachsen ist er in Giyani, unter dem Apartheid-Regime Hauptstadt des Gazankulu-Homelands der Tsonga, heute in der heißen, ländliche geprägten Provinz Limpopo.

Hlungwani zog nach Soweto, dem legendären Viertel Johannesburgs, in das in das in den 60ern viele der Nichweißen aus der Innenstadt der größten Stadt Südafrikas, speziell des multikulturellen Vergnügungsviertels Sophiatown, abgeschoben wurden, wo er ein paar Läden betrieb. Kein Mitglied der jungen, hippen urbanen Avantgardeszene Südafrikas wie z.B. Spoek Mathambo, sondern ein molliger Geschäftsmann mittleren Alters, begann er 2005, Musik zu machen. Wo andere auf die Musik des Westens, vor allem HipHop und Pop, schauten, bezog sich der Quasi-Expat in der Vielvölkermetropole auf die Musik seiner Heimat – und motzte die traditionelle Musik seiner Vorfahren elektronisch auf. Die schon vorhandene Hybrid-Version Shangaan Disco beschleunigte er von 110 Beats per Minute auf über 180, weil es dem Tanzstil der Leute entsprochen hätte und sie erst bei diesem Tempo richtig in ihrem Element seien. Moderne Shangaan-Musik wird normalerweise mit Bass und Lead-Gitarre gespielt – darauf verzichtete Hlungwani völlig, sondern setzte auf Keyboards, elektronische Beats und eingespielte Marimba-Klänge. Darüber legte er sparsam eingespielte, hochgepitchte Voice-Samples auf Englisch.

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Shangaan Traditioneller Tanz / Foto: Wikipedia / User Laura_SA

Es ist kein Zufall, dass sich nicht Kassetten oder CDs, sondern DVDs als Hauptmedium für den Vertrieb des neuen Stils erwiesen – denn der Tanz ist ebenso wichtig wie die Musik. Auch hier setzte Hlungwani nicht auf moderne westliche Vorbilder, den in Afrika omnipräsenten Hip Hop wie beim Kwaito, sondern neben den traditionellen Tsonga-Tänzen auf Pantsula. Das Zulu-Wort beschreibt den Tanzstil auf den Punkt – es heißt so viel wie „wie eine Ente“, oder mit „ausgestrecktem Hinterteil“ laufen. Dieser Stil war besonders in den 80ern unter den Tsotsis, den schwarzen Ghetto-Kleinkriminellen und Vorreitern der subversiven Underground-Kultur, in den Townships populär und hatte in seiner phantasievollen Ausschmückung Parallelen zum US-amerikanischen Breakdance.

Für eine seiner Bands, die Tshetsha Boys, entwickelte Hlungwani bunte, ein bisschen unheimlich wirkende Clownskostüme und Masken, die auch ein wenig an die alten Ritualverkleidungen der Tsotsa erinnern, und inzwischen zum Markenzeichen des Shangaan Electro geworden sind. Die Idee kam ihm aus sehr prosaischen und rein marktwirtschaftlichen Gründen, wie der inzwischen mit mehreren südafrikanischen Grammys geehrte Produzent, Manager und Vertriebsleiter freimütig zugibt – man wollte Kinder ansprechen, um so auch deren Familien zu erreichen.

Hlungwani gibt sich nicht damit zufrieden, in seiner Heimat populär zu sein. Mit der Veröffentlichung der Compilation auf Honest Jon’s und dem Interesse von Veranstaltern in Europa und den USA, die seiner Musik erst den Namen “Shangaan Electro” verpassten, sah er die Chance, diese in die Welt hinauszutragen. Hier wird sie allerdings nicht als Mainstream-Pop rezipiert, sondern ist ein Nischenprodukt für aufgeschlossene Musikfreund/innen. So findet die einzige Deutschland-Show seiner derzeitigen Europatour in Berlin nicht in der Betonmehrzweckhalle namens O 2-Arena statt, oder im für Außereuropäisches zuständigen Haus der Kulturen der Welt, sondern im hippen Tempel der elektronischen Musikkultur, dem Berghain, ausgerichtet vom avantgardeorientierten Club Transmediale. Mastermind Hlungwani, der unter seinem Künstlernamen Nozinja auftritt, hat ein Best Of seiner Künstler/innen dabei: Die Tshetsha Boys, Tiyiselani, Nkata Mawewe und natürlich seine besten Shangaan-Tänzer/innen.

Termin:
30. Juni 20 Uhr

Ort:
Berghain
Am Wriezener Bahnhof
10243 Berlin

Ankündigung des Berghain

Originaltext bei Popkontext.de
















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Popkontext

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