Die Dilettanten aus dem Westen

Ukraine Sowohl die Politik als auch die Presse im Westen wirken gerade wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen, der mit der ganzen Situation heillos überfordert ist

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Natürlich ist es immer leichter zu kritisieren als selber zu machen, aber im Moment kann man nicht anders als festzustellen, dass sowohl die Politik als auch die Presse im Westen wirken wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen, der mit der ganzen Situation heillos überfordert ist. Beim Flughafen BER werden „nur“ Steuermillionen verschleudert, weil es da anscheinend nur Vetternwirtschaft unter Dilettanten gibt. Im Fall der Ukraine geht es jedoch um ein ganzes Land, dessen Menschen und sogar um Weltpolitik und eine politische Spannung zwischen den Großmächten, die zu einem Krieg führen kann.

Dass jetzt die Politik völlig aus dem Konzept geraten scheint, weil ihnen auffällt, dass die von ihnen tatkräftig unterstützten, um nicht zu sagen aufgebauten Oppositionsführer in Kiew alle nicht so das wahre Abbild der behaupteten Demokratie und freiheitlichen Bewegung sind, überrascht doch. Dass es besonders im Westen des Landes starke rechtsnationale, antisemitische bis faschistische Kräfte gibt, ist nicht erst seit dem Umsturz bekannt. Auch dass die Russen das nicht so einfach hinnehmen werden, hätte vorher sonnenklar sein müssen. Die besondere Bedeutung der Krim für Russland hätte eine Praktikantin in ein paar Stunden Recherche herausfinden können. Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass Putin die nicht so einfach loslassen wird und das auch gar nicht kann, ohne innen- und außenpolitisch seine Position völlig zu verlieren.

Man hätte es wissen können

Dass die Ukraine insgesamt eine enorme geostrategische Bedeutung hat, ist auch nichts Neues – das ist seit dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er klar. Eigentlich brauch man da nur mal einen Blick auf die Karte zu werfen und gucken, wo das Land liegt. Ein Erstklässler hätte bemerkt, dass das heikel wird, wenn man mit ihm ein Spiel namens „Wie weiten wir den westlichen Macht- und Wirtschaftsraum gen Osten aus“ gespielt hätte. Bei den US-amerikanischen und europäischen Kommissionen, die die Unterstützung der Opposition in der Ukraine geplant haben, sollte man davon ausgehen, dass da Experten am Tisch saßen – aus Politik, Wirtschaft und Militär. Darunter dürften auch Osteuropakennerinnen gewesen sein. Ist denen wirklich nichts aufgefallen? Einige haben sich ganz offensichtlich instrumentalisieren lassen, und haben diejenigen, die auf die faschistische Gefahr in der Oppositionsbewegung hinwiesen pauschal als moskaugesteuert diskreditiert. Gab es wirklich niemanden, der die Gefahren gesehen und benannt hat?

Das passte alles in den erschreckend gleichgeschalteten Pressetenor besonders in Deutschland, wo seit Mitte Dezember, kurz nach dem Abwenden Janukowitschs vom EU-Angebot, bis zur Einsetzung der Übergangsregierung kaum ein kritisches Wort zu finden war. Stattdessen waren alle überregionalen Blätter voll auf Anti-Janukowitsch-Linie, die teilweise die Kriterien von Propaganda erfüllte. Der Mann, der vorher noch ein Verhandlungspartner der EU war, mutierte quasi über Nacht zum gewissenlosen Diktator. Die Swoboda wurde ignoriert oder als „normale“ Partei einfach unter die „demokratische Opposition“ subsummiert. Es wurde generell mit zweierlei Maß gemessen. Dass eine Regierung sich von einem wütenden, bald auch extrem gewaltbereiten Mob innerhalb einer Großdemonstration bedroht fühlt und Polizei auffährt wäre in jedem Land der Welt so. Niemand fragte: Wie hätte man in Berlin oder Washington auf so eine Situation reagiert? Überhaupt gab es keinen nennenswerten Versuch einer kritischen, sachlichen Berichterstattung, stattdessen klare und eindeutige Parteinahme für eine Seite. Jede Form von wirklichem Journalismus blieb aus: Kaum sachliche Hintergrundberichte, die die politische Situation für jede erklärten, für die die Ukraine bis dato ein unbeschriebenes Blatt war. Keine Reportagen jenseits des Blicks aus dem Hotelfenster am Maidan, keine Betrachtungen des Position der anderen Seite.

Wenig Gegenstimmen

In den sozialen Netzwerken liefen die Leserinnen daraufhin Sturm, bezichtigten die deutsche Presse nicht zu Unrecht der Propaganda und versuchten sich zwangsläufig selbst – oft nicht sehr gelungen – in Ukraine-Expertise. Neben denen, die wirklich verstehen wollten, tummelten sich gleich auch noch diverse Astroturfer beider Seiten, die die jeweilige Propaganda unterbrachten. Denn in Zeiten des Internets kann man kaum verhindern, dass sich Leute auch wo anders informieren – allerdings fehlt vielen die Fähigkeit, Quellen zu beurteilen und kritisch zu hinterfragen. Das nutzten nicht nur Verschwörungstheoretiker, sondern auch die russische Seite, die versuchte, ihre Position darzustellen. Zwar mit ebenso lautstarker und einseitiger Propaganda, aber von russischen Staatsmedien ist im Gegensatz zu einer westlichen Presse, die sich für ihre Freiheit und Unabhängigkeit rühmt, auch nichts anderes zu erwarten. Andererseits war es auch falsch, alles, was von den Russen kam, als reine Propaganda abzutun und überhaupt nicht für voll zu nehmen.

Bei einem wirklich journalistisch und unabhängig arbeitenden Medium wie Democracy Now! wurde bereits zu Beginn der Eskalation der Krise in Kiew ein Russland-Experte befragt, der die russische Sicht darstellte, ohne Putin-Propaganda zu betreiben (und man hörte sich auch den Nuland-Leak weiter an als "Fuck the EU"). Jetzt – in den letzten Tagen – gibt es auch deutsche Stimmen, die Verständnis für die russische Seite aufbringen. Dabei lagen die Fakten auch die ganze Zeit auf der Hand, auch für jene, die keine Freunde der Kremel-Führung sind. Allerdings noch immer nur in Nischenlättern wie Cicero, Nachdenkseiten oder Vice, von denen zumindest die beiden letzteren von Anfang an kritisch waren. In den gängigen überregionalen Tageszeitung brach dafür gestern Hysterie aus, als man eine mehrere Tage alte Meldung der Russen aufnahm. Diese hatten ein mitgeschnittenes Telefonat zwischen dem estnischen Außenminister Paet und der EU-Außenbeauftragten Ashton veröffentlicht, in dem Paet berichtete, eine ukrainische Ärztin hätte ihm gesagt, die Schusswunden durch Scharfschützen seien sowohl bei Janukowitsch-Anhängern als auch Gegnern der gleichen Art gewesen, also von den gleichen Waffen verursacht. Die Russen stellte die ukrainische Opposition unter Verdacht, besonders, da es keine Aufarbeitung der Vorfälle gab. Aber die westliche Presse übernahm nur die unbewiesene Behauptung und fragte nach ihrem Wahrheitsgehalt. Journalistisch wäre eine eigene Recherche gewesen, und die Fragestellung hätte lauten müssen: Warum geht die (Swoboda-geführte) Justiz in der Ukraine den Vorwürfen nicht nach? Warum hat Paet das nicht öffentlich gemacht und eine Untersuchung gefordert?

Qualitätsjournalismus Fehlanzeige

Ist hier eine Aufklärung nicht erwünscht oder sind bei der vorgeblich professionellsten Presse nur völlig unfähige Menschen beschäftigt? Genau wie die Politiker scheinen die Medien von den neuesten Entwicklungen völlig überrascht und irritiert. Dabei waren die Sachen alle relativ gut vorauszusehen bzw. gibt es klares Handwerkszeug, wie man vorgeht. Fast scheint es, als sei man auf die eigene Propaganda reingefallen. In Russland werden sich die Machtstrategen fragen, warum man sich von einem derart dilettantisch agierenden Westen die ganze Zeit auf der Nase rumtanzen ließ. Das stärkt die falsche Seite.

Im Moment verhält sich Putin deutlich staatsmännischer als die westlichen Politiker. Im übrigen auch - zumindest in der Geste - deutlich kompromissbereiter. Er hatte vor der Eskalation Ende vergangenen Jahres vorgeschlagen, dass sich Vertreter aller drei Seiten - Russland, EU und Ukraine - an einen Tisch setzen. Dass das erst jetzt geschehen wird (hoffen wir es zumindest), hat die EU verbockt, die sich wiederum zu sehr von ihren US-amerikanischen Bündnispartnern, die wiederum ihr ganz eigenes Interesse haben, zu sehr beeinflussen ließ.

Diejenigen, die in der ganzen Farce am meisten verloren haben, sind jedoch jene Ukrainer/innen, die auf dem Maidan friedlich wirklich für Freiheit, Demokratie und ein besseres Leben gekämpft haben. Für sie interessiert sich nämlich schon lange niemand mehr.

Update:

"Auszug aus einem EU-Papier vom 13.12.12: "[Die EU] erklärt sich besorgt wegen der zunehmenden nationalistischen Stimmung in der Ukraine, die zum Ausdruck kommt in der Unterstützung für die Partei „Swoboda“ (Freiheit), welche dadurch als eine der beiden neuen Parteien in die Werchowna Rada eingezogen ist; weist darauf hin, dass rassistische, antisemitische und ausländerfeindliche Auffassungen im Widerspruch zu den Grundwerten und Grundsätzen der EU stehen, und appelliert daher an die demokratisch gesinnten Parteien in der Werchowna Rada, sich nicht mit der genannten Partei zu assoziieren, sie nicht zu unterstützen und keine Koalitionen mit ihr zu bilden"

Jetzt sitzt Merkel mit denen am Verhandlungstisch, um noch schnell das Assoziierungsabkommen zu unterschreiben, bevor das nächste Mal rechtmäßig gewählt wird (Foto aus dem Tagesspiegel vom 6.3.2014 - rechtsaußen neben Premierminister Jazeniuk der stellvertretende Ministerpräsident der Übergangsregierung, Swoboda-Parteichef Oleg Tjagnibok.)

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Popkontext

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