Laut dem US-amerikanischen Bürgerjournalisten und politischen Aktivisten Alexander Higgins hat die japanische Regierung die heimischen Telekommunikationsfirmen und Webseitenbetreiber/innen offiziell angewiesen, Informationen über die Atomkatastrophe von Fukushima von Webseiten zu entfernen, die nicht nicht mit den Regierungsangaben übereinstimmen. Das “Nuclear Power Safety Regulation Publicity Project”, bei dem das Ministerium für Innere Angelegenheiten und Kommunikation, die nationale Polizeibehörde, und das Handelsministerium (METI) zusammenarbeiten, wurde am 15. Juli von der Behörde für Rohstoffe und Energie des METI öffentlich ausgeschrieben und man habe die entsprechenden Anweisungen bekannt gegeben. Darüber berichtet auch die Seite UK Progressive von Dennis Campbell, die die japanische Originalfassung verlinkt. Danach seien die Vertragspartner, die Internetdienste anbieten verpflichtet, die Inhalte auf mögliche "Falschinformationen" zu prüfen und diese zu melden.
Higgens gibt an, die Ausschreibung des “Nuclear Power Safety Regulation Publicity Project” per Übersetzungstool gelesen zu haben, jedoch bisher keine korrekte englische Übersetzung dazu gefunden zu zu haben. Seinen Angaben zufolge beinhaltet das Papier die Vorgabe, dass für den Fall, dass die Betreiber/innen entsprechende Inhalte nicht von den Seiten entfernen, die Provider diese sperren müssen. UK Progressive gibt an, es würde bisher noch nichts zu konreten Konsequenzen bei Mißachtung der Vorgabe gesagt. Begründet würde die Anweisung laut Higgins mit der nationalen Sicherheit, da durch solche Informationen Unruhe unter der Bevölkerung gestiftet werden könne.
Schon seit Beginn der Katastrophe am 11. März wurde deren Ausmaß offiziell heruntergespielt und es wurden immer wieder konkrete Fälle bekannt, an denen Informationen unterdrückt wurden. So seien kritische YouTube-Videos über TEPCO und die Informationspolitik der japanischen Regierung wenige Stunden nach ihrer Veröffentlichung bereits wieder verschwunden. Bereits ein am 17. Juni beschlossenes „Computer Network Monitoring Law“ schränkte die Informationsfreiheit im Internet weiter ein. Der Polizei sei so endgültig freie Hand gegeben, die Internetaktivitäten aller Bürger/innen ohne Angabe von weiteren Gründen zu überwachen. Man kann vermuten, dass das “Nuclear Power Safety Regulation Publicity Project” bei der Umsetzung dieses Gesetzes helfen soll. Offiziell bekennt sich Japan zu Demokratie und Meinungsfreiheit. Zensur im Zusammenhang mit der Katastrophe wird damit gerechtfertigt, dass „unverantwortliche Gerüchte“ diese noch verstärken würden.
Während die offizielle japanische Regierungslinie besagt, dass die nukleare Katastrophe „vorbei“ sei, vermehren sich auch in größeren seriösen Medien in Japan und im Ausland Berichte über verseuchtes Vieh, speziell Rinder. Bauern weigern sich zum Teil, diese zu schlachten. Die radioaktive Belastung wird vielfach auf verseuchtes Futter zurückgeführt. Das verstrahlte Heu lasse Schlüsse auf die generelle Belastung der Gegend auch weit jenseits der offiziellen Evaluierungszone zu, wie die Umweltjournalistin Theodora Filis in ihrem Artikel auf UK Progressive schreibt.
Auch die Bewohner/innen der betroffenen Gegenden glauben immer weniger an die offizielle Version. So gab es am 19. Juli ein Treffen einer Bürger/inneninitiative aus Fukushima mit Regierungsvertretern, bei der eine sofortige Evakuierung und finanzielle Kompensation gefordert wurden. Die Aktivist/innen brachten auch Urin ihrer Kinder mit, dass auf die radioaktive Belastung getestet werden soll. Die Versammlung endete in einem Eklat, wie dieses Video dokumentiert. Der Vertreter der Initiative stellte auch ein Video ins Netz, in dem er um nationale und internationale Hilfe bittet, eine baldige Evakuierung voranzutreiben. Bereits Ende Juni wurden umfangreiche staatliche Gesundheitskontrollen in Fukushima angekündigt, die aber eher nahelegen, dass die Bewohner/innen als Langzeituntersuchungsobjekte zu den Auswirkungen schwacher radioaktiver Strahlung dienen sollen.
Kommentare 11
Man muss auch mal undemokratisch sein, um die Demokratie zu retten, das weißt Du doch!
Das sehe ich tatsächlich manchmal so. In dem Fall allerdings überhaupt nicht (und gehe auch davon aus, dass du das ironisch bzw. zynisch meinst). Das ist auch einer der wenigen Fälle, wo ich mal etwas offener für "Verschwörungstherien" bin, weil die offizielle Version genauso unglaubwürdig ist wie 9/11. Der letzte Satz sagt alles über den Eindruck, den ich habe: Die machen da aus der Not (eigentlich massiv evakuieren zu müssen) eine Tugend (benutzen die Menschen als Versuchskarnickel, die langsam verstrahlt werden).
@Ein Schelm
Ich bin auch keine Japanexpertin, und habe mich nur seit der Katastrophe in bestimmte Zusammenhänge eingelesen und bekomme regelmäßig Informationen über japanische / japanophile Bekannte. Zur "Konsenspresse" stand mal ein interessanter Artikel in der taz www.taz.de/!68799/ Aber hier geht es ja um Blogger/innen und Bürgerrechtler/innen, die vor allem von der Zensur betroffen sind.
Und so fremd finde ich die "Mentalität" der Japaner/innen auch gar nicht, ich glaube das ist mehr ein Klischee. Auch bei uns hätte sich die Mehrheit der Bevölkerung erstmal an die Regierungsinfos gehalten bei so einer unfassbaren Katastrophe, auch wenn es wahrscheinlich mehr öffentliche Protest gegeben hätte (gab / gibt es in Japan ja auch, nur etwas "ziviler"). Und auch das viele von ihrer "Heimatscholle" erstmal nicht weg wollen, weil die Gefahr ja unsichtbar ist, wäre hier nicht anders gewesen.
Ja, es gab kürzlich sogar die Meldung, dass die Regierung einen totalen Atomausstieg in Betracht zieht, was eine 180% Kursänderung bedeuten würde. Das wäre natürlich wunderbar, wenn das nicht nur Wahlkampf- und Beruhigungstaktik ist.
Hier zwei interessante Artikel aus der Süddeutschen zu Letzterem:
www.sueddeutsche.de/politik/atomkonzerne-in-japan-korruption-die-vom-himmel-faellt-1.1080751
www.sueddeutsche.de/politik/nach-der-katastrophe-von-fukushima-japan-denkt-ueber-atomausstieg-nach-1.1119756
Wir möchten Sie bitten, in Zukunft von persönlichen Beleidigungen abzusehen und sachlich zu diskutieren.
Viele Grüße
Sarah Rudolph
Ich habe eben noch ein paar kleine Veränderungen am Artikel vorgenommen, die aber nicht die Grundaussage verändern. Nach Rücksprache mit einem japanischen Bekannten, der sich einige Originaltexte angeschaut hat, ist es vermutlich so, dass das “Nuclear Power Safety Regulation Publicity Project” bei der Umsetzung des „Computer Network Monitoring Law“ helfen soll. Die Aussagen seien, wie im Japanischen üblich, alle sehr indirekt formuliert und laufen zunächst eher auf "freiwillige" Selbszensur hinaus. Progressive UK spricht von konkreten Vorgaben an die Betreiber, wobei es jedoch noch keine Aussagen zu Konsequenzen bei Nichtbeachtung gäbe.
Gut, Popkontext, dass Sie daran einmal erinnern. Das geht sonst im Rauschen völlig unter.
Trotz allen neuen Zweifels an der Technik und der aktuellen Krisenbewältigung, die nun sogar den Ministerpräsidenten Japans erfasste, geht weiter, was japanische Behörden und völlig damit verflochtene Energiefirmen schon lange eintrainiert haben.
Die Vertuschung geschieht durch schlichtes Nicht-Messen (es fehlen Bezugsmessungen und ausreichende Flächenprotokolle), sporadisches Messen und möglichst kleine Stichproben, sowie konsequente Nachbearbeitung der Ergebnisse.
Gerade erst vor einem Monat hat die Regional-Regierung Fukushimas begonnen, überhaupt stichprobenartig interne Radioaktivität bei Einwohnern zu ermitteln.
Allerdings mit sehr unzureichenden Methoden!
Die Bewohner wissen nichts und sollen in diesem Nichtwissen verbleiben. Private Geigerzähler nutzen nur bedingt, weil sie die eingeatmeten und geschluckten Körperdosen nicht erfassen können.
Die effektiv aufgenommenen Belastungen werden derzeit, man mag es kaum glauben, weiterhin grob abgeschätzt.
Nach einem Fragebogen zu den täglichen Aktivitäten und den gemessenen Dosen radioaktiven Iods über der Schilddrüse, errechnet man Gesamtbelastungen. Ganz selten, werden Untersuchungen zu radioaktivem Caesium und anderen längerlebigen Radionukliden (Strontium,etc.) aus den geschmolzenen Reaktorkernen durchgeführt. - Es ist beschämend, wäre aber auch hierzulande gängige Praxis, wenn es zu einem großen Unfall käme, weil der Aufwand für genaue Messungen extrem hoch ist und sich in keinem Land der Welt dafür ausreichend Messplätze zur Reihenuntersuchung finden lassen (Gamma-Ganzkörpermessung, Alpha und Beta, Blut und Urin, wenn man weiß nach welchem Radionuklid man sucht).
Hier noch ein Link zum Thema aus der Daily Yomiuri Online, vom 26 Juli: www.yomiuri.co.jp/dy/national/T110725003728.htm
Liebe Grüße und weiter, weiter
Christoph Leusch
Mich hat von Anfang an vor allem fassungslos gemacht, dass die wider besseres Wissen die Leute nicht evakuieren. Bei so einer Katastrophe hätte ich nicht mal was gegen ein gewisses Maß an Zensur gehabt, wenn es darum ginge, eine Massenpanik zu vermeiden und eine geordnete Evakuierung zu ermöglichen.
Aber dass sie es aus meiner Sicht aus rein finanziellen und vielleicht auch Machtgründen zulassen, dass die Leute da langsam verstrahlt werden und sie so tun, als wäre alles mehr oder weniger gut und das bißchen Radioaktivität völlig harmlos ist nicht hinnehmbar und aus meiner Sicht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Okay, Sarah, ich nehme die Kritik an.
Ach @goedzak, ich bin hier in der FC ja wieder erinnert worden, dass man Trolle nicht füttern soll, oder wie man hier gern sagt, nicht über jedes Stöckchen springen. Deshalb ist das so schon gut.
Und danke @Sarah, übrigens...