Searching for Sugarman

Dokumentarfilm Als vor über 30 Jahren zwei geniale Platten von ihm erschienen, interessierte sich niemand für den Singer-Songwriter Rodriguez. Jetzt gewann eine Doku über ihn den Oscar.

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Seine Geschichte klingt mehr nach einem Märchen als die der fiktiven NDW-Band Fraktus, die derzeit ebenfalls in den Kinos zu sehen ist: der Detroiter Musiker Sixto Rodriguez hatte Anfang der 70er Jahre zwei Alben aufgenommen. Trotz großen Potentials beachtete sie niemand. Das Label ließ ihn fallen und Rodriguez ging wieder seiner Arbeit als Bauarbeiter nach. Was er fast 40 Jahre lang nicht wusste: Er war ein Star an den Peripherien der westlichen Welt, nicht nur in Australien (wo er 1979 / 80 sogar tourte), sondern vor allem in Südafrika, wo zur Hochzeit der Apartheid in den 70ern und auch in den 80ern kaum ein ausländischer Musiker auftrat.

Auf obskuren Umwegen war seine Platte in den Apartheidstaat gelangt. Die junge weiße Mittelschicht hier litt, anders als die schwarze Mehrheitsbevölkerung, aber auch unter der autoritären Regierung, denn das Land war kulturell abgeschottet. Es wurde boykottiert, keiner der von ihnen verehrten Popstars kam ins Land, eine falsche Textzeile und die Platte kam auf den Index. So geschah es auch bei Rodriguez, dessen Alben, nachdem sie sich auf Kassette verbreitet hatten, von südafrikanischen Plattenfirmen lizenziert worden waren und sich zu Hunderttausenden verkauften (ohne dass allerdings ein Cent beim Künstler ankam). Allein die Textzeile “Ich frage mich, mit wem du Sex hattest” rief die Zensurbehörden auf den Plan, nicht zu reden von offen politischen Songs wie dem “Anti Establishment Blues”. Das machte Rodriguez noch populärer, er wurde Teil des Soundtracks der Anti-Apartheid-Bewegung, die auch von Weißen ausging, die die Rassentrennung und die restriktive Politik ablehnten. Rodriguez Alben standen nicht nur neben denen der Beatles und der Stones, und er war nicht nur berühmter als Elvis, sondern seine Songs spielten bei der Armee eine ähnliche Rolle wie die Songs von Hendrix und den Doors einst bei den US-Truppen im Vietnamkrieg.

Nur wusste man nicht mehr über ihn als das, was auf den Plattenhüllen stand – bis das Gerücht aufkam, er hätte sich auf die ein oder andere spektakuläre Weise umgebracht. Auch als Anfang der 90er die erste CD-Veröffentlichung der Platten verlegt wurde, hatte der Autor der Linernotes und langjährige Rodriguez-Fan Stephen Segerman keine Ahnung, wer dieser Rodriguez denn nun war und rief dazu auf, mehr über ihn, den vermeintlich Toten, herauszufinden. Das las ein gleichgesinnter Landsmann, der sich nun auf die Suche nach Rodriguez machte. Und diese Suche beschreibt der Film, auf dem Weg werden diverse kulturelle Aspekte – Apartheid, der Aufstieg und Niedergang Detroits, die US-Folkszene und Rassismus – angerissen, die die abenteuerliche Suche nach dem unwahrscheinlichen Superstar und der Geschichte seiner Alben ausmachen.

Über Rodriguez, dessen Biografie nur in grob angedeutet wird, erfahren wir vor allem etwas als Person: Er ist ein unglaublich bescheidener, fast krankhaft zurückhaltender Mann, eine ehrliche Haut, vorsichtig mit Anderen, aber eine Seele von Mensch, sobald er Vertrauen gefasst hat. Seine drei Töchter hat er in Museen und auf Ausstellungen mitgenommen, um ihnen die Welt zu vermitteln, er selbst hat neben seiner Arbeit Philosophie studiert und mehrfach für politische Ämter kandidierte, u.a. für das Bürgermeisteramt seiner Heimatstadt. Der Film ist aus der Perspektive der Fans erzählt, die nach ihrem Star fahnden: Auch wenn man das Weitere eigentlich schon weiß und der Clou bereits im Trailer verraten wird, ist sie spannend aufgebaut, so wie die Suchenden sie erlebten, von dem Nichts ausgehend bis zum ersten Konzert von Rodriguez in Südafrika, bei dem die Begeisterung der Fans auch den Zuschauenden die Tränen in die Augen treibt. Auch die Kameraführung sind eindrucksvoll: Sonnenuntergänge in Kapstadt, mit Rodriguez’ Musik unterlegt, sind gegen dramatische Aufnahmen aus Detroit geschnitten.

Wir lernen die Produzenten kennen, die Rodriguez damals, mit dem Rücken zum Publikum spielend, in einer schäbigen Detroiter Kaschemme im berühmt-berüchtigeten Cass Corridor aufgabelten, wo er quasi der lokale Troubadour des Armeleute-Viertels war, das ein künsterisch fruchtbarer Schoss war. Sie waren von ihm angetan und können bis heute nicht fassen , dass die Alben, deren Wortgewalt sie mit Dylan vergleichen, gefloppt sind. Hier fällt allein Ex-Motown-Mann Clarence Avant, der bis heute die Hand auf Rodriguez Katalog hat, als dem einzigen Nichtweißen unter den Plattenfirmenleuten auf, dass die mangelnde Aufmerksamkeit neben anderen Aspekten auch etwas mit Rodriguez mexikanischer Migrationsgeschichte und seiner dunklen Hautfarbe zu tun haben könnte (sein Vater war von der damals noch blühenden Autoindustrie nach Detroit gelockt worden). Die Folkszene gab sich zwar antirassistisch, aber die Stars waren weiß (siehe auch Terry Callier).

“Es war die tollste Geschichte, die erstaunlichste wahre Geschichte, die ich je gehört hatte, fast eine archetyoisches Märchen,” sagte der schwedische Regisseur Malik Bendjelloul gegenüber der New York Times “Es ist eine perfekte Geschichte, mit einem menschlichen Teil, einem musikalischen Aspekt, einer Wiederauferstehung und einer Detektivgeschichte.” Der Grund, warum er die Story ergatterte und kein südafrikanischer Filmemacher sie längst umgesetzt hatte, war nach seiner Aussage, dass sie in Südafrika viel zu bekannt war, um als etwas Besonderes zu erscheinen. Auch Rodriguez selber zeigte sich am Anfang wenig umgänglich: “Sie haben doch genug Leute in ihrer Doku, da brauchen sie doch mich nicht,” soll er gesagt haben. Auch im Interview für den Film, zu dem er sich überreden ließ, zeigt er sich sehr wortkarg. Erst bei der Präsentation des Werkes auf verschiedenen Festivals fasste er etwas mehr Vertrauen in seine neue Starrolle und auch das Team und wurde vergleichsweise gesprächiger. Um so erstaunlicher ist, dass er sein eigentliches Handwerk, die Musik, noch beherrscht wie ein Profi und ohne mit der Wimper zu zucken perfekt mit diversen Backingbands bei Auftritten in großen Hallen oder der US-Fernsehikone David Letterman spielt, als habe er sein Leben lang nichts anderes getan. Sogar seine Stimme hat sich in den 40 Jahren kaum verändert, auch wenn sein Körper ansonsten den Preis für die harte physische Arbeit verlangt, mit der er seinen Lebensunterhalt verdient hat.

Zum Film, der auch in deutschen Kinos läuft, ist eine CD erschienen und über Import ist die DVD auch bereits erhältlich – nur leider gibt es noch keine Konzerttermine von Rodriguez in Europa. Und nach denen sehnt man sich nach dem Film.

Zuerst veröffentlicht auf Popkontext.de Da gibt es auch mehr Videos und Musik.

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