Die Braut trägt ein silberschimmerndes Samtkleid. Der Bräutigam hat seine weißen Jeans gebügelt. Der Brautbruder erscheint im Smoking und wird sogleich verwechselt. Die Verletzung der Kleiderordnung irritiert die Amtsdienerin. Doch gefasst begrüßt sie die Hochzeitsgesellschaft und stellt lächelnd die erste ernste Frage. Hat sich jemand von den Anwesenden zu Trauenden die Sache anders überlegt? Aber woher denn! Ein Seufzer, die Zeremonienmeisterin mit dem Flair einer Grundschulpädagogin, greift sich die Fernbedienung und sucht den Start-Knopf. Feierlich hebt die Hammondorgel zu dröhnen an, und Tom Waits röhrt über den schwarzen Prunkschreibtisch. Die "Swordfishtrombones" sägen krächzend durch den Altarersatz und erschüttern das steife Gestühl: "Friday's a Funeral / and Saturday's a bride / Sey's got a pistol on the register side / and the goddamn delivery trucks / they make too much noise / and we don`t get our butter / delivered no more / In the neighborhood ..."
Die Standesbeamtin mit den hübschen schwarzen Satinschleifchen an den Wildlederpumps bittet nun die erheiterte Heiratsgemeinde, sich zu erheben. Man setzt sich wieder. Und hört von Amts wegen eine ergötzliche, teils von ermahnenden Sätzen durchzogene Rede. "Missverständnisse sind es oft, die das klare Wasser des Verstehens trüben ...Unruhe und Ungeduld legen oft einen dichten Schleier über die Augen ..." Betroffen und erfahrungsgesättigt schauen sich manche der Anwesenden tief in die Augen. Andere glucksen verhalten. "Dass Sie später einmal sagen können: Wir haben die wahre Liebe erfahren", wer würde da nicht von ganzem Herzen zustimmen wollen? Kaum hat sich die Gemeinde von dieser amtlichen Schwärmerei erholt, wird sie mit einem kleinen Gedicht überrascht. "Das Versprechen. Ich will wachen, wenn du müde bist / Ich will erinnern, wenn du vergisst / Ich will schweigen, wenn du recht hast / Ich will sprechen, wenn du irrst /Ich will stark sein, wenn du vergisst / Ich will gehen, wenn du allein sein willst / Ich werde immer da sein, wenn du mich brauchst."
Nach diesem flüchtigen Blick ins staatlich genehmigte Lyrikbändchen wird das Paar vor die Wahl gestellt: Ja oder Nein? Natürlich. Ja. Mehrmaliges bekräftigendes Nicken. Adieu, wilde Ehe! Vorbei ist's mit der Freiheit. Tom Waits schluchzt heiser den Abschiedsblues: "Well Frank settled down in the Valley / and he hung his wild years / on a nail that he drove through / his wife's forehead...They had a / thoroughly modern kitchen / self-cleaning oven (the whole bit) / Frank drove a little sedan / they were so happy ..."
Außerordentlich bedauert die Standesbeamtin, dass Braut und Bräutigam ihre familiären Wurzeln weiterhin namentlich auszustellen gewillt sind. Mehrmals und nachdrücklich betont sie mit einem schmerzlichen Zug um die Nasenflügel, dieser schwerwiegende Entschluss könne noch rückgängig gemacht werden. Dann schließt sie mit "Jetzt dürfen Sie sich ganz doll küssen" die feierliche Zeremonie ab. Man erhebt sich. Braut und Bräutigam haben der aufgekratzten Bande Sekt kalt stellen lassen und unterschrieben, für alle eventuellen Missgeschicke ihrer Gäste gegenüber Vater Staat einzustehen. Es knallen die Korken. Bei diesem Geräusch ziehen Brautschwester und Lebensgefährte, der wiederholt mürrisch in sein Diktaphon spricht: "Heirate mich", zwei buntglitzernde Knallbonbons aus den Anzugtaschen. Das frischgetraute Paar stellt sich dem Schicksal. Es kracht und stinkt ein bisschen. Heraus fliegen bei der Braut: Ein rosa Kreisel (man beachte: ohne Peitsche). Ein Zettel: "Bei Gläserklang und Heiterkeit ist für Trübsal keine Zeit." Der Bräutigam zieht einen grünen Schwan und den schönen Spruch: "Ein edler Mensch zieht edle Menschen an und weiß sie festzuhalten." Das Orakel hat gesprochen. Das Schicksal ist besiegelt. Die Festgesellschaft applaudiert ergriffen und beschwipst. Nachdem das Hochzeitspaar beim Staatsakt auf den Wechsel der Ringe verzichtet hatte, Symbol der langen Kette an die sich zwei gegenseitig und einverständig legen, praktizieren die Ehegatten nun in Sektlaune die Light-Variante. Ein Ohrring für den Herrn, ein Fingerring für die zarte Damenhand. Nicht viel später räumt man das Feld für nachfolgende Hochzeiter. Gemeinsam begibt man sich in ein nahegelegenes Etablissement der aufstrebenden Friedrichshainer Szene, um ein üppiges Festfrühstück einzunehmen.
Unter feuchtfröhlichem, weißen Flockengestöber, das ein dunkler Himmel auf das überraschte Berlin herunterrieseln lässt, verabschiedet sich die Hochzeitsgesellschaft. Man zerstreut sich in alle Himmelsrichtungen, um sich am Abend bei einem festlichen Gelage wieder zusammenzufinden.
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