Der Schriftsteller Christian Kracht, geboren 1966 in Bern, pflegt die Kunst der Provokation - in seinen Romanen genauso wie in den dazugehörigen Reklamefeldzügen. Man konnte ihn, die Galionsfigur der Popliteratur, mit dem Kollegen Stuckrad-Barre als Anzugmodel des Bekleidungshauses Peek erleben, oder im lässig umgelegten Tarngrün mit einer Kalaschnikow. Und einmal kokettiert er sogar mit der Diktatur in Nordkorea.
Für sein neuestes Werk, einem von Jüngerschem Bittermandelgeruch durchwehten Untergangsszenario, das er als dritten Teil eines Triptychons mit Faserland und 1979 (Freitag 50/2001) verstanden wissen will, lässt er sich im Wildpark auf einem Baumstumpf fotografieren. Wie immer mit brav gezogenem, doch nun schon leicht gelichtetem Scheitel, blickt er unbehaglich auf den Hirsch an seiner Seite. Der rätselhafteste unter den jüngeren deutschen Autoren habe, von der Jury des Deutschen Buchpreises schnöde ignoriert, den besten Roman dieses Herbstes geschrieben, jubelten einige Rezensenten. Andere schreiben, das Buch oszilliere zwischen Poesie und Schwachsinn.
Der Protagonist seines zu Recht gerühmten Romans Faserland flieht zum Schluss, angeekelt von den Erlebnissen und Beobachtungen seiner Deutschlandfahrt und hoffentlich auch von sich selbst, über den Bodensee nach Zürich. "Hier gab es nie einen Krieg, das sieht man der Stadt sofort an", denkt er. Die Schweiz kommt ihm vor wie ein Teil Deutschlands, aber sauberer, schöner, besser. Hier könnte er wohnen. Vielleicht sogar leben. Hoch oben, auf einer Bergwiese, in einer kleinen Holzhütte, am Rande eines kleinen Bergsees. Die Kinder, seine und Isabella Rosselinis, könnten niemanden fragen, ob denn seine Geschichten, die er ihnen erzählen würde, wirklich wären. Er hätte immer Recht. Alles wäre wahr.
Diese Fantasie hat Christian Kracht offenbar so gefallen, dass er sie nun schaudernd zu einem Albtraum verkehrt und verdichtet hat. Eine Art kindlicher Magie wird ins Werk gesetzt, die den Größten aller Schrecken beschwört, um mit diesem Bild den Eintritt des Bösen für immer zu bannen. In einem alten irischen Soldatenlied hat er den Titel für seine kurze Geschichte eines langen Krieges gefunden: "But come ye back ,when summer´s in the meadow / Or when the valley´s hushed and white with snow / ´Tis I´ll be here in sunshine or in shadow / Oh Danny Boy, oh Danny Boy, I love you so". Von einem jammernden Harmonium begleitet, singt Jonny Cash die klagende Weise von Liebe und Tod, und es klingt wie aus dem Grab.
Gleichsam aus diesem Grab heraus erzählt Christian Kracht die düstere Geschichte eines fast hundertjährigen Krieges, der die schöne Schweiz verwüstet hat. Er stellt sich vor, Lenin habe 1917 mit seinen Genossen das Land seines Exils unterwandert. Die Schweiz ist eine kommunistische Weltmacht, Amerika im Bürgerkrieg untergegangen, Russland verseucht. Was ist die Revolution? "Ein brüderliches Ringen um eine gerechte Welt, frei von Rassenhass und Ausbeutung", repetiert gläubig der namenlose Held des Romans, ein afrikanischer Offizierskadett, der mit Vitamin D-Pillen im Schnee des Kilimandscharo auf seine militärische Laufbahn in der Schweizer Sowjetrepublik vorbereitet wird. Der Krieg hat die Schweizer Bevölkerung so dezimiert, dass ihre ostafrikanischen Kolonien den soldatischen Nachschub liefern müssen. Ein Schlachtfeld wird ihn erwarten, und er ist sicher: "Es war notwendig, dass der Krieg weiterging. Es war der Sinn und Zweck unseres Lebens, dieser Krieg. Für ihn waren wir auf der Welt." Wer ist der Feind? Italienische, deutsche und englische Faschisten auf deren Koppelschloss "Gott mit uns" eingraviert ist. Doch im Lauf der Erzählung drängt sich immer stärker der Verdacht auf, dass der wirkliche Gegner der ungewaschene Mensch ist, ungebildet, schlecht riechend, mit Hundefellen bekleidet, der Schrift nicht mächtig.
An einem klirrend kalten Wintermorgen macht sich der Ich-Erzähler auf den Weg. Er hat den Auftrag, einen Konterrevolutionär zu verhaften. Doch er muss ihn erst einmal finden, diesen jüdisch-polnischen Oberst. Die Suche nach Brazhinsky wird zu einer beschwerlichen Reise, einer Pilgerreise, die an mystischen Ereignissen nicht arm ist. Fast wird er von einer Mine zerrissen, doch ein Zwerg mit dem Namen des Erzengels Uriel nimmt ihm die Last des Sterbens ab. Und so erreicht der afrikanische Schweizer sein Ziel, das Réduit, jene legendenumwobene Alpenfestung, die er geläutert in Richtung Heimat verlassen wird.
Die Zeit im Berg ist die Zeit der Erkenntnis. Der schwarze Politkommissar lernt von Brazhinsky, dass die Geheimwaffen Makulatur sind, und er selbst ein Sklave der Schweizer ist. "Geboren, gedrillt und gemacht. Sie und ihr Volk sind Kanonenfutter, Roboter, mehr nicht." Vielleicht doch nur ein lautstarkes buntes Feuerwerk zum Abschied von den alten Zeiten, aus denen er sich mit einer Miniatur, vielleicht einem vagen Selbstporträt, mit leisem Servus verabschiedet: Ein Offizier der Alpenfestung hat sich durch eine "Aurotherapie" vergiftet. "Er hatte sich jahrelang Goldsalz injiziert, dies wurde von seinem Körper nicht mehr ausreichend abgebaut, er konnte es nicht mehr ausscheiden, seine Haut und seine Augen hatten einen unwirklich erscheinenden Grünstich bekommen. Der Leutnant trug eine taillierte hellgraue Uniform aus Lodenwolle, darüber eine gewachste grüne Jacke mit ansprechend kariertem Innenfutter. So saß er da, phlegmatisch zurückgelehnt, in einem Sessel am Ende eines Ganges."
Krachts Fähigkeit, mit wenigen Worten und Sätzen Atmosphären zu schaffen und Stimmungen zu erzeugen, ist eine Freude für die Freunde des geschliffenen Wortes. Er ist ein großer Könner auf dem Gebiet des Einschmelzens und Amalgamierens. Lektüren, Stil- und Bildsplitter blitzen auf: Ernst Jünger, der Ästhet des Krieges und des Rausches, Joseph Conrads Herz der Finsternis, auch David Lynchs obskure Filmschnipsel werden eingearbeitet in den Text, der darüber hinaus mit afrikanischen Wortsprengseln betupft wird. Auch Zitatfetzen von Laurie Anderson lassen sich entdecken. Eine doch herrlich interaktive Lektüre. Wenn man nur wüsste, wozu und warum.
Christian Kracht Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Roman. Kiepenheuer, Köln 2008. 150 S., 16,95 EUR
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