Sophie Zwo

Berliner Abende Kolumne

Warum, wenn ich mich ganz gemächlich, ziellos durch den Sommerabend treiben lasse, gerate ich so oft auf einen Friedhof? Das Leben ist voller Rätsel.

Es sind Ferien. Noch ist Sonntag und still und leergeräumt die Stadt. Nur auf dem grünen Hügel im Weinbergspark sonnen sich Menschen, bespaßen kleine Kinder und halten sich ans Grillverbot. Aus den staubigen Büschen ringsum höre ich Flaschengeklirr. Grobe Stimmen rufen mir grobe Worte zu. Zäh kleben die Sohlen am schwitzenden Asphalt. Ich höre ein Wasser rauschen. Diesem Geräusch geh ich nach und stehe bald vor einem Muskelmann aus Stein. Der kniet, umringt von der ortsüblichen, schwach lärmenden, hitzegebeutelten Trinkerkumpanei im Brunnen. Was liegt in seiner Hand, das keiner sieht, er aber unentwegt betrachten muss? Der Mann merkt nicht, dass unter ihm die Brunnenschale überläuft. Ein aus Tropfen silbern gesponnener Schleier weht um den Rand. Ganz in den Augenblick vertieft, biege ich um die Hecke, traumwandle durch ein rostiges Tor. Ach, was für eine Überraschung: Ein Engel, eine Kapelle, eine Anschlagtafel! Sophienfriedhof Römisch Zwo. Die Ordnung wird sofort studiert. Und die Verwaltung hat zu klagen. Zum wiederholten Male wurde die Grabschmückungsverordnung übertreten. Dringend wird um die Abfuhr von unerlaubt aufgebrachtem Kies gebeten!

Aber warum, liebe Friedhofsverwaltung, darf hier nicht jemand seinen kleinen Zen-Garten anlegen? Heißt es nicht, die Dinge aus ihrer Starrheit lösen? Ich darf doch um Gestaltungsfreiheit bitten, Sire! Dereinst will auch ich, Aug´ in Auge mit der Leere, auf einem Bänkchen hocken. In die weißen Steine, die über den Toten schützend liegen und leuchten, werde ich Kreis um Kreis meine Gedanken harken. Verehrte Grabschmuckordner, lehnt euch gleich hier mal ans rottende Gitter von Mampes Grab. Da lasst eure schwermütigen Blicke über das ungepflegte Terrain schweifen. Dann frage ich, woran die Sache mit dem Kies gemahnt und wir erinnern uns: Es wurde ein Sack Kies am Checkpoint namens Charlie ausgeschüttet. Es wuchsen dunkle Kreuze in die Höhe, die vor dem hellen Grunde doppelt düster standen. Es ketteten sich Menschen an die Kreuze. Doch der Kies kam wieder weg, das andere auch und die Mauermuseumshüterin weinte sehr. Ja, hier liegt der Hund begraben! Sonst nicht auf den Kopf gefallen, hinkt der Berliner im Gedenken aber schwer hinterher.

Der Sophienfriedhof an der Bergstraße ist sehr alt. Ein paar Jahre ist es jetzt her, da wünschte sich so mancher einen Toten hier. Schwer bewacht übte der glückliche Grabkarteninhaber sein streng kontingentiertes Gedenken. Denn jenseits der Mauer lockte das Leben im verheißungsvollen Kaufhaus namens Westen. Am 13. August 1961 ist es gewesen. Da lagen plötzlich im Nimmerleinsland die sterblichen Reste des Max Stirner, eigentlich Schmidt. Mit rhythmischem Gesang wurde diesseits und jenseits die Ruhe der Toten gestört. Es wurde geschaufelt, gegraben, planiert, betoniert und was am Ende blieb im Volksmund Todesstreifen genannt. "Im Sommer ´61, am 13. August / da schufen wir die Grenze / und keiner hat´s gewußt / Klappe zu, Affe tot / endlich lacht das Morgenrot!" Was haben die Lebenden überhaupt bei den Toten zu suchen?

Ich möchte unter alten Bäumen gehen. Ungestört von den piepsenden, klingelnden schnarrenden Weltautomaten. Manchmal den Rücken an sonnenbeschienene Grabmäler lehnen und lesen, wer hier in Frieden ruht. Eierfind und Sodomann, Wilhelm Bach und Mampes Carl. Nichts ist Schall und Rauch. Schön auch, Tote halten sich so angenehm zurück. Aber dieser Ort wird bald ein ungeblättertes Geschichtsbuch sein, vergessen, verlassen und zum Umfallen müde. Paar Meter weiter knipsen Weitgereiste unermüdlich Mauerreste aus dem alten Niemandsland. Auf Sophie Römisch Zwo da liegen Steine rum wie Abfall. Über manchem "Ruhe sanft" klebt gelb ein Zettel: "Grabmal lose! Angehörige bitte im Büro vorsprechen." Schon droht in Rot: Unfallgefahr. Klopft jemand an? Da kippt der Stein. Wen interessiert´s? Die Toten? Die ruhen sanft, die lässt das kalt. In Kürze abgesetzt? Ja, denk mal! Selbst Feingemeißeltes bleibt nicht verschont. Inmitten dieser umgelegten, umgefallenen Male steht hell geputzt, neugotisch eine Sandsteinstele. "Deutsch war sein Lied, und deutsch sein Leid / Sein Leben Kampf mit Not und Neid." So klingen die Verehrerverse für den bettelarm gestorbenen Lortzing. "Das Leid flieht diesen Friedensort / Der Kampf ist aus, sein Lied tönt fort." Und wenn auch dieser Stein umstürzen muss? Wird einer vorsprechen im Büro? Egal, das Lied tönt fort. Am Ausgang hockt ein Engel, gusseisern, wie eine flügellahme Ente im traurigen Begonienbeet. Hält mir den Opferstock hin für ein bisschen Kies. Oder Schotter?


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