Angstmachende Verführung

IM KINO Stanley Kubricks nachgelassener Film »Eyes Wide Shut«

Eyes Wide Shut - das klingt wie ein Stück Poesie und damit wie eine Art suggestives Versprechen: wer den Film schaut, wird eine Bedeutung darin erkennen. Und tatsächlich gehen einem schon mit den ersten Szenen förmlich die Augen auf, so sorgsam sind die Räume ausgeleuchtet, so präzise berechnet sind die Kamerabewegungen, so exakt der Einsatz von Ton und Musik. Keine Frage, dies ist kein Dogmafilm und auch kein neues französisches Kino, in dem die Armut an filmischen Einsatzmitteln einen unverstellteren Zugang zur Realität oder mehr Authentiziät ermöglichen soll. Während aber der dort so beliebte Einsatz der Handkamera einen paradoxerweise ständig daran erinnert, dass gefilmt wird, macht Kubricks Perfektionismus den eingesetzten Aufwand gleichsam unsichtbar. Diese Art von Präzisionskino hat Sogwirkung; der Zuschauer wird so in seinen Bann geschlagen, dass er gewillt ist, sich im Schauen zu verlieren wie an einen Traum.

»Die Augen weit geschlossen« läßt sich auch lesen als Beschreibung jenes zwiespältigen Zustands, in dem man im Kino sitzend schaut und schaut, während der begriffliche Verstand im Benennen des Gesehenen kaum hinterherkommt. Welcher Filmtitel könnte passender sein für Kubricks filmische Version von Schnitzlers Traumnovelle?

Obwohl fast alle Filme Kubricks auf literarische Vorlagen zurückgehen, sind es doch nie Literaturverfilmungen im eigentlichen Sinn. Er hat sich stets mehr für den Stoff der Vorlage interessiert als für das Literarische daran. So kann man Eyes Wide Shut zwar als erstaunlich werktreue Verfilmung von Schnitzlers Novelle bezeichnen, aber das betrifft in erster Linie das Sujet, dem er fast punktgenau folgt, und weniger das psychologische Erzählen bei Schnitzler.

Die Traumnovelle ist aus einem Innenleben heraus erzählt, Eyes Wide Shut dagegen erzählt durch den Blick auf die Oberflächen. In der Eingangssequenz sehen wir das Ehepaar Tom Cruise und Nicole Kidman, wie es sich in seiner Wohnung für eine abendliche Veranstaltung zurechtmacht. Sie sind jung und schön und arriviert, haben ein hübsches Kind und ein schickes Appartment. Ein klassisches Vorkrisen-Setting: die heile Welt, in die - so sind wir es von allen Blicken auf heile Welten zu Beginn von Filmen gewohnt - alsbald etwas Unheilvolles hereinbrechen wird. Man sucht förmlich nach Rissen in der glatten Oberfläche: ist nicht die Wohnung ein wenig zu groß, die Einrichtung ein wenig zu prächtig angesichts des jungenhaften Charmes von Tom Cruise? Auf dem Vorweihnachtsball, auf den sie eingeladen sind, kennen sie nur den Gastgeber. Und ein bisschen wirken sie verloren wie Hänsel und Gretel im Wald. Nur, dass der Wald nicht dunkel, sondern voll gleißender reflektierender Lichter und Versuchungen ist, und der Weg da durch vorschreibt, auf Verführungsspiele einzugehen - allerdings ohne einen gewissen Rahmen zu verlassen. Das Ehepaar Harford verläßt den Rahmen nicht, sondern kehrt sozusagen unbeschadet nach Hause zurück, nutzt das angeheizte Begehren zur gegenseitigen Verführung, und das Unheil ist immer noch nicht hereingebrochen.

Es bricht auch nicht von außen herein, es ist längst da, in den Köpfen, und taucht deshalb auf wie aus dem Nichts. Ein falscher Tonfall, ein anders gewichtetes Wort - die typischen Ehestreitauslöser - und schon bekommt Cruise ein Geständnis zu hören, das er so nie hören wollte. Provokativ erzählt Kidman ihrem Mann von einer zurückliegenden Begegnung, die ein heftiges Verlangen in ihr ausgelöst habe, so stark, dass sie bereit gewesen wäre, ihn und das Kind zu verlassen. Nicht, dass etwas passiert wäre. Und doch schockiert ihn diese Eröffnung, löst sichtlich mehr eine Leere aus, als dass sie ihn mit Eifersucht erfüllt. Und treibt ihn auf einmal an, mit den sich ihm bietenden Verführungen anders umzugehen. Aber wer kann schon leicht aus seiner Haut. So folgt der Film dem jungen Arzt auf seinem Weg durch die Nacht, immer wieder die Versuchungen nur streifend, bis hin zu jener Villa, der Stätte eines geheimnisvollen Sexorgienballes, zu der nur Eingeweihte Zutritt haben, wo ihm, so die Warnung, bei Enttarnung der Tod drohe. Aber: es passiert ihm nichts, stets gelangt er nur an den Rand des Bedrohlichen und zugleich Begehrten und kommt doch mit heiler Haut davon. Im Abgrund, im nicht ergründbaren, scheinen stets die anderen.

Anders als von Vorberichterstattung und Kino-Trailer angedeutet, handelt es sich bei Eyes Wide Shut keinesfalls um einen Erotik-Thriller. Denn erotische Aufladung ist hier fast nie das Mittel der Darstellung. Manche mögen das auf die Zurückhaltung der Vorlage schieben oder schlicht für altmodisch halten. In Zeiten, in denen sich der frivole Umgang mit allen Bereichen der Sexualität als gängig etabliert hat, demonstriert Kubrick mit seinem Film tatsächlich einen ungewohnten Ernst. Doch weder führt er uns die althergebrachte Parabel von der Bestrafung allzu enthemmten Begehrens vor, noch beschwört er das Ideal domestizierter Sexualität in der Ehe zweier schöner Menschen. Obwohl sein Film beides streift, steht im Zentrum die unauflösbare Ambivalenz von sexueller Attraktion und Bedrohung. Was Angst macht, ist zugleich verführerisch. Und mit der Besänftigung der Angst, schwindet unweigerlich oft das sexuelle Begehren. Wie in der Szene, in der Cruise von einer jungen Prostituierten mit aufs Zimmer genommen wird: »Machen wir es uns gemütlich«. Sie ist so nett, dass er sie schließlich ohne Sex mit ihr gehabt zu haben verlassen kann - um erst am Tag danach zu erfahren, wie bedrohlich das dann doch gewesen wäre.

Das eigentlich Angstmachende ist unsichtbar, weil es in den Köpfen stattfindet.

»Die Augen weit geschlossen« steht auch dafür: Für den fast zwanghaften Wunsch, das zu sehen, vor dem man zugleich die Augen verschließen will. Es sind die eingestandenen Phantasien und Träume seiner Frau, die Cruise in die Wirklichkeit eines unheimlichen nächtlichen New York hinaustreiben, und doch kommt er nie richtig an sie heran. Eyes Wide Shut ist kein Film über die Auflösung der Grenzen zwischen Traum und Realität, sondern über deren verstörende Parallel existenz.

Der Film wird beworben mit einem Stabreim-Stakkato der drei großen Namen: »Cruise Kidman Kubrick«. Dies und die nach seinem Tod erschienenen Berichte über die zweijährige enge Zusammenarbeit der drei weckte die Erwartung auf einen Schauspielerfilm, wie er für Kubrick im Grunde eher untypisch wäre. Es heißt, Kubrick habe sich stets mehr für Situationen als für Figuren interessiert. Tatsächlich läßt sich an Eyes Wide Shut hervorragend verfolgen, wie Kubrick über Situationen und eben nicht über psychologisches Schauspiel, seine Filmfiguren konstruiert. So ist das Gesicht, im Grunde die ganze Gestalt von Tom Cruise, für sich genommen fast ausdruckslos. Kontur gewinnt seine Figur allein durch die Konstellationen, in denen er sich bewegt. Auf dem Weihnachtsball zu Beginn wird er in das Kabinett des Gastgebers gerufen, wo diesem seine nackte Geliebte kollabiert ist. Nüchtern, sicher und mit der gebührenden Diskretion gegenüber seinem Protektor verrichtet der junge Arzt das Notwendige. Niemand, der sich leicht verliert. »Sie sind so nett«, sagte die junge Prostituierte zu ihm, und Nettigkeit erweist sich als die Eigenschaft, die ihn sowohl vor den eigenen Abgründen als auch vor denen der anderen bewahrt. Als er dem Schicksal der maskierten Frau nachforscht, die ihn in jener Villa ausgelöst hat, zieht er überall seinen Ausweis: »Ich bin Arzt«. Die Berufsidentität als der gesicherte Anker in der Wirklichkeit. Demgegenüber hat Nicole Kidman schon aus Mangel an Situationen viel weniger Gelegenheit, ihre Figur der Ehefrau zu profilieren. Obwohl es ihre Phantasien sind, die die Handlung in Gang bringen, gerät sie selbst über weite Strecken des Films vollkommen in den Hintergrund.

Eyes Wide Shut ist auch deshalb kein Schauspielerkino im üblichen Sinn, weil Kubrick den Zuschauer zu keiner emotionalen Beteiligung an seinen Figuren verleitet. Er macht ihn zum angespannten Beobachter - nie zum Voyeur - eines stets in der Schwebe gehaltenen dramaturgischen Ablaufs von Erforschen wollen und doch nie Gewißheit haben. Die Stationen der Nacht werden am Tag noch einmal besichtigt, ohne dass sie ihr Geheimnis preisgeben würden. Das Ende ist deshalb versöhnlich und doch zwangsläufig unbefriedigend. Gerade im Verzicht auf Innerlichkeit führt Kubrick mit seinem das Auge so fesselndem Film ein Stück abstrakter Psychologie vor.

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