Aus Wut auf den Trottel

TV Hat es mit „House of Cards“ angefangen? Neuere britische und amerikanische Politserien sind dunkel und zynisch geworden
Ausgabe 42/2014
„How about digging deeper, assholes?“ Julia Louis-Dreyfus in „Veep“
„How about digging deeper, assholes?“ Julia Louis-Dreyfus in „Veep“

Foto: Home Box Office, inc.

Der neue Minister ist „ein Volldepp, so hohl im Kopf, dass das Licht um ihn herum eine Kurve macht“, eine Abgeordnete wird als „Verschwendung menschlicher Haut“ bezeichnet. Das sind keine bislang unveröffentlichten Ausschnitte aus den Kohl-Protokollen, sondern Äußerungen von Malcolm Tucker, dem fiktionalen Pressesprecher eines fiktionalen Premiers in der britischen Polit-Comedy-Serie The Thick of It.

Mit Pressesprecher ist Tuckers Tätigkeit allerdings nicht ausreichend beschrieben: Seine wahre Berufung besteht darin, mit Flüchen und Beschimpfungen Abgeordnete und Minister auf Linie zu halten. Mit maliziöser Lust zeigt die im faux-documentary-Stil gedrehte Serie, wie Politiker und Politikberater aller Ränge in Panik geraten, sobald es heißt: „Tucker ist im Haus!“ Manche versuchen sich in ihren Büros zu verbarrikadieren. Aber meist sitzt er da dann schon und beginnt eine seiner überaus einfallsreichen Tiraden, die viel von häuten und pfählen, von Hirn frittieren und Augäpfel ausreißen handeln (aber auch herrliche Wortschöpfungen beinhalten wie eine „To-do-Liste, länger als ein verdammter Leonard-Cohen-Song“ oder die schöne Grußformel „Come the fuck in or fuck the fuck off“). Auf sein Geheiß dementieren Minister bereits Gesagtes und nehmen hinterher die Peinlichkeit auf sich, das Dementi wieder zu dementieren.

Der neuberufenen Ministerin erklärt er etwa, dass sie ganz unten auf der Kandidatenliste für den Job war, so weit unten, dass an nächster Stelle seine eigene linke Arschbacke gestanden habe – mit einem Smiley bemalt. Man muss wohl kaum erwähnen, dass Malcolm Tucker die populärste Figur der Serie war, die bis 2012 von der BBC ausgestrahlt wurde.

Dass Flüche und Beschimpfungen zur Politik gehören wie das Dementi, ist eine der Erkenntnisse, die sich aus The Thick of It gewinnen lassen. In Großbritannien weiß jeder um das reale Vorbild von Tucker: Alastair Campbell, der Presssprecher von Tony Blair, der selbst keinerlei Ähnlichkeit zu Tucker zugeben will außer der einen: der freien Verwendung von Vulgärausdrücken am Arbeitsplatz. Über die Jahre kamen weitere Realvorbilder hinzu: George Bushs Vize-Stabschef Karl Rove, und über Barack Obamas ersten Stabschef Rahm Emanuel heißt es ebenfalls, dass sein „dreckiges Mundwerk“ im krassen Gegensatz zu seinem smarten Auftreten gestanden habe.

Doch Tucker ist längst nicht der einzige Realbezug von The Thick of It. So fiktiv das Ministerium für „Social Affairs“, in dem die Haupthandlung angesiedelt ist, auch sein mag, so realistisch bringt die Serie das mühsame, eitle und erschreckend fruchtlose Klein-Klein der Abgeordnetenarbeit auf den Punkt. Der historische Serienvorläufer Yes Minister aus den 80er Jahren bot noch dem deutschen Kabarett vergleichbare biedere Politsatire; Armando Iannucci, Erfinder von The Thick of It aber hat einen Biss in das Format hineingebracht, der weltweit seinesgleichen sucht. Als seine Motivation gab Iannucci an: Wut über Blair und Bush und den Irakkrieg.

GUMMI und HADDA

2012 ging Iannucci in die USA, um dort mit Veep für HBO eine Art Spin-off von The Thick of It zu entwickeln. Veep – das ist die Verballhornung der Abkürzung V.P., wobei der weinerliche Anklang den nominell so mächtigen wie faktisch ohnmächtigen Titel des „Vice President“ wiedergeben soll. Seinfeld-Veteranin Julia Louis-Dreyfus spielt die Vizepräsidentin Selina Meyer, die unter dem benannten Zwiespalt leidet. Wie The Thick of It handelt auch Veep vom Büroalltag, von all den an sich bedeutungslosen Details, die in der modernen Medienwahrnehmung immer größeres Gewicht bekommen: von Pannen in der Planung der öffentlichen Auftritte, von missratenen Interviews und schiefgegangenen photo-ops. So ähnlich das Setting und die Machart, so viele Unterschiede werden im Vergleich der Serien im Politik- und Mediengebaren von USA und Großbritannien sichtbar. Da steht die amerikanische Lust an Konkurrenz gegen die britischen Eitelkeitsgefechte, der auf Glamour gebürstete US-Betrieb gegen die dicken, schlecht gekleideten Leiber von englischen civil servants. Es wäre eine eigene Untersuchung wert.

Aber wie viel Realismus steckt wirklich in diesen Serien? Beim letztjährigen New Yorker Filmfestival beschrieb Iannucci das Verhältnis seiner Shows zur Wirklichkeit folgendermaßen: „Wir verdrehen die Realität ins Absurde, wir bedienen uns der Mittel von Farce und Comedy, wir erfinden und übertreiben hemmungslos – und dann kommt ein Anruf aus Washington: Wie habt ihr das bloß rausgefunden?“

Nehmen wir die vorletzte Episode der dritten Staffel, gerade weil es darin wieder um das heikle Thema der Verbalinjurien geht. Selina Meyer kämpft mittlerweile um die Präsidentschaftskandidatur und gibt einem älteren Reporter ein Interview. Selbstverständlich wird der Journalist, sobald er sich wieder entfernt hat, vom ganzen Stab als Depp beschimpft. Doch der hat, vielleicht absichtlich, sein Smartphone mit eingeschalteter Aufnahme-App liegen lassen. Zum Problem werden aber nicht die Beleidigungen gegen den Journalisten, sondern was noch aufgezeichnet wurde: die Codewörter, in denen sich der Stab über die in der US-Politik so wichtigen Spender verständigt. GUMMI, erfährt man da nebenbei, stehe für: „Give us more money, idiot!“, und HADDA für „How about digging deeper, asshole?“ Mit Selinas Kandidatur scheint es zunächst vorbei. Doch dann kommt eine nächste Wendung, derart farcehaft, dass sie schon wieder realistisch sein könnte.

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Den umgekehrten Weg schlägt die neueste der amerikanischen Politserien ein: Madam Secretary zieht ihre Inspiration aus Hillary Clintons Tätigkeit. Hier werden die wahren Ereignisse nicht übertrieben und zugespitzt, sondern erzählerisch dem Plotschema „Eine Frau zwischen Macht und Privatleben“ angepasst. Gleich in der dritten Episode der kürzlich auf CBS gestarteten Serie gibt es einen viper, der in Anklang an die Wikileaks-Affäre Geheimdepeschen der US-Diplomatie veröffentlicht. Einer der engsten Mitarbeiter der von Téa Leoni gespielten Secretary of State etwa hat den französischen Außenminister als „empty crêpe with a Napoleon complex“ bezeichnet. Aber keine Sorge, „Madam Secretary“ zeigt sich der Situation sogar besser gewachsen als ihr reales Vorbild. Elegant und fleißig entschuldigt sie sich per Skype rund um die Welt, den beleidigten Franzosen aber bietet sie tapfer die Stirn und hält an ihrem Mitarbeiter fest. Gut, dass sie keinen Malcolm Tucker in ihrem Stab hat! Aber Spaß beiseite: Nach Jahren des Zynismus, in dem Serien wie die von Iannucci das Genre der Politikserie revitalisierten, scheint mit Madam Secretary die Rückkehr zur altmodischen Variante des Idealisierens eingeläutet, wie sie einen ersten Höhepunkt mit The West Wing hatte.

Der Dreh ins Dunkle

Ob es die Frustration der Bush-Jahre war oder die Tatsache, dass mit Einzug von Barack Obama ins Weiße Haus die idealisierenden Fiktionen auf einmal überflüssig schienen: Auf jeden Fall nahm der Polit-Serien-Bereich seitdem einen Dreh ins Dunkle und Zynische (was sich selbst in einer eher braven Produktion wie der dänischen Serie Borgen bemerkbar machte). Ob House of Cards oder Scandal, es wird betrogen, gemordet und bestochen, was das Zeug hält. Und dennoch bekommt auch Shonda Rhimes, die Erfinderin von Scandal, Anrufe aus Washington, die ihr dafür Komplimente machen, wie gut sie die Atmosphäre getroffen hätte. Der Realismus der Politserien erschöpft sich eben nicht nur im Abbilden wahrer Geschehnisse, er hat tatsächlich viel mit dem zu tun, wie man die politische Lage „empfindet“.

Und warum gibt es das alles in Deutschland nicht? Niemand erinnert sich mehr an den 2005 gescheiterten Versuch mit Kanzleramt, völlig zurecht. Aber vielleicht trägt daran einmal nicht der träge Betrieb des deutschen Fernsehens die Schuld, sondern die relative Langweiligkeit der deutschen Politik. Vielleicht bräuchten wir zuerst einen Kanzler, der uns so bitter enttäuscht wie Tony Blair die Briten, auf dass aus Wut eine gute Serie daraus entstehen könnte. Oder einen Bush, der das ganze Land in sinnlose Kriege verwickelt und finanzpolitisch an die Wand fährt. Oder wenigstens einen Obama, der Politik plötzlich cool erscheinen lässt. In einem immerhin, das wurde jetzt wieder klar, halten wir hinter den Kulissen jetzt schon mit: im Fluchen und Beschimpfen.

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