Die Handlung ist denkbar einfach: Mohammed B. bewohnt mit seiner Ehefrau und fünf Kindern ein Haus im Niemandsland zwischen einem palästinensischen Dorf und einem israelischen Militärstützpunkt. Aber was heißt schon Niemandsland: Eines schönen Tages dringen israelische Soldaten ins Haus ein und weil Mohammed sich weigert zu gehen, wird es kurzerhand in drei Zonen aufgeteilt. Im oberen Stock residieren die Soldaten, in der Küche ist neutrale Zone, nächtens wird die palästinensische Familie im Wohnzimmer im unteren Stock eingeschlossen. Der italienische Regisseur Saverio Costanzo hat sich diese Situation nicht ausgedacht; es gibt solche Fälle in der israelisch-palästinensischen Wirklichkeit. Sie wiederholen gewissermaßen auf engem Territorium, was sich im Großen abspielt; so sieht es zumindest Regisseur Costanzo und macht dementsprechend aus dem Stoff eine Parabel.
Aus den einzelnen Familienmitgliedern werden exemplarische Beispiele für verschiedene Haltungen: Vater Mohammed ist besonnen und hartnäckig. Er will sein Haus nicht aufgeben, um nicht zum Flüchtling zu werden. Seine Frau ist ängstlich, sie drängt zum Weggehen, die Kinder seien in Gefahr. Da hat sie nicht Unrecht: die älteste Tochter ist aufmüpfig, bietet ihrem Vater lauthals Paroli, fordert aktiven Widerstand, lässt dem aber keine Taten folgen. Der pubertierende Sohn ist ähnlich feindselig gegen die israelischen Soldaten, im Gegensatz zu seiner Schwester aber eher introvertiert. Nächtens vor dem Fernseher fantasiert er von Selbstmordattentätern, aber wir wissen nicht, ob diese Fantasien aus Sehnsucht oder Angst geboren sind. Die restlichen Kinder sind für "politische" Haltungen noch zu klein; der Film benutzt ihre Fragilität und ihre Unschuld, um die Gefährlichkeit der Situation zu illustrieren. An einer Stelle folgt der kleine Bruder seiner großen Schwester die Treppe hinauf ins verbotene Stockwerk und fast hätte er damit nicht nur sich selbst, sondern auch sie verraten.
Erzählt wird aus der Perspektive der palästinensischen Familie: die israelischen Soldaten sind in ihren Uniformen kaum als Individuen erkennbar. Ihr Oberkommandant benimmt sich alles andere als freundlich, aber letztlich macht er keine seiner martialischen Drohungen wahr. Mit viel Handkamera und häufig im Dunkeln gefilmt, zeigt Private das Zusammenleben der Feinde als Hochseilakt, bei dem beide Seiten wachsamst darauf achten müssen, die Balance zu wahren. Und dann kann ein unglücklicher Zufall sie jederzeit zerstören.
Das Hauptinteresse des Regisseurs liegt auf diesem Balanceakt, auf der Angespanntheit der Situation, die jederzeit in einem Massaker zu enden droht. Deshalb verfolgt der Zuschauer den Film mit erzwungener Atemlosigkeit, ständig auf die Katastrophe gefasst. Ist diese Anspannung vorüber, geht es einem interessanterweise nach diesem Film, der doch unbedingt politisch sein möchte, genauso wie nach einem gewöhnlichen Thriller: Eine gewisse Leere stellt sich ein. Und in dieser Leere breitet sich der Eindruck von Sinnlosigkeit aus, im Fall von Private ist damit eine diffuse Empörung verbunden über die geschilderten Zustände. Diese "Diffusität" kann man aber auch als Problem sehen.
Private, auf dem Festival von Locarno 2004 als bester Film ausgezeichnet, geht den Weg der political correctness. Deshalb sind es die "Zustände", gegen die sich die Empörung richtet und nicht die handelnden Personen. Keine der agierenden Figuren sagt hier etwas wirklich Beleidigendes über die Gegenseite. Über Geschichte wird in Mohammeds Familie erst gar nicht diskutiert, genauso wenig über Glaubensfragen oder palästinensische Identität. Von "Kämpfen" ist die Rede, aber niemals davon, wofür sie kämpfen wollen. Die aufmüpfige Tochter fängt irgendwann an, sich in einem Schrank im oberen Stock zu verstecken, um von da aus die israelischen Soldaten zu beobachten und zu belauschen. Was sie sieht und erfährt, lässt sie weniger feindselig denken; schließlich lieben auch die Israelis ihre Kinder und ihre Fußballmannschaft. So folgt letztlich aus Private: Wenn alle Palästinenser so wären wie Mohammed und seine Familie, und alle israelische Soldaten wie die hier im Film, dann sähe es um den Nahost-Konflikt ganz anders aus. Die Unmenschen sind eben immer die anderen.
Vor fünf Jahren zeigte die israelische Dokumentarfilmerin Anat Even ihr Werk Die Eingeschlossenen auf dem Leipziger Festival. Dort waren es drei palästinensische Witwen, die ständig vor sich hinschimpfend den Dreck der Soldaten, die sich in ihrem Haus eingenistet hatten, wegmachten. Das Erschütternde dieses Films bestand darin, dass deutlich wurde, wie die Enge des Zusammenlebens keinerlei Annäherung brachte.
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