Bereinigt

Linksbündig Die Grünen wollen sich durch moralische Strenge auszeichnen

Eine der weit verbreiteten Gepflogenheiten, die sich nicht gehören, ist der Mentalitäten-Vergleich. Obwohl längst als System sich selbst bestätigender Vorurteile entlarvt, kommt kaum eine Diskussion über Verhaltensweisen im internationalen Maßstab ohne den Bezug auf die verpönte Kategorie aus. Die Nordwesteuropäer, und darunter insbesondere die Deutschen, glauben demnach häufig, "Korrektheit" sei bei ihnen in eben dieser Mentalität angelegt und eine Eigenschaft, die sich gen Süden und Osten hin stark abschwäche. Die Neigung zur Korruption erscheint in diesem Weltbild als klimatisch bedingtes Naturphänomen.
Diese Vorstellung gerät durch die diversen Korruptions-Skandale in unseren Breiten erstaunlich wenig ins Wanken, wird sie doch gestützt von jener Selbsthass-Kehrseite, die das paragraphenhörige Funktionärs- und Beamtentum beklagt, frei nach Hölderlin: Spezialisten, Politiker "... aber keine Menschen".
Uns allen, die wir zu spät kommen, Unterlagen verlegen, falsch parken und gerne auch unverdient Vergünstigungen annehmen, ist es eine wohlbekannte Tatsache: Wir sind darauf angewiesen, dass mal ein Auge zugedrückt wird, dass Gesetze mal weniger streng ausgelegt werden, dass, wie es salbungsvoll heißt, "Gnade vor Recht" geht. Aus dem Gegensatz von "korrekt" und "korrupt" wird in der Perspektive des Alltagsmanagements schnell einer von verständnisloser "Prinzipienreiterei" und befreiendem "Laisser-faire". Die Devise "Nicht zu streng sein, es könnte einen ja selber treffen" klingt vielleicht korrupt, ist aber auch menschlich.
Die Grünen werden oft als Erben der Romantiker gesehen, haben aber nichts von deren Verehrung von Großzügigkeit und Selbstverschwendung übernommen. Im Gegenteil paart sich bei den Grünen das linke dogmatische Erbe mit seinen Exkommunikationsriten und Verräterdeklarationen mit dem ganz unromantisch asketischen Hang zur moralischen Hochmut. "Öko" und "Laisser-faire" schließen sich prinzipiell aus. Wer keine Jutetasche dabei hatte, wurde im Bioladen erst gar nicht bedient. So gesehen ist es nur konsequent, wenn bei den Grünen jemand aus Gründen zurücktritt, die in den anderen Parteien lediglich Anlass für Entschuldigungserklärungen bilden. Man sehe das eigene Image bereinigt, lautete die Erfolgsmeldung nach Özdemirs Rücktritt. Die "bessere" Partei zu sein, hat die Grünen schon einige ihrer profiliertesten Politiker gekostet.
Was auf Seiten der Partei als notwendig erscheint, um das Image des "Wir sind nicht wie alle anderen" zu pflegen, bewirkt nun auf Seiten der Wähler eher das Gegenteil: In der Abfolge der in den Medien abgehandelten Skandale gibt es keine Bedeutungsgewichtungen. CDU-Parteispenden-Affäre, Kölner SPD-Klüngel oder Bonusmeilen, wer kann da noch gegeneinander abwägen, zumal nach einem Rücktritt. An Özdemirs Fall zeigt sich, dass eventuell ein bisschen Übung in Großzügigkeit und Aussitzen den Grünen nicht unbedingt geschadet hätte. Wären die vergleichsweise geringfügigen Vergehen Özdemirs nicht auch eine Möglichkeit gewesen, die vergleichsweise größeren zu thematisieren und auf den Unterschied zu bestehen? Weiß etwa jemand noch, warum der Wirtschaftsminister des Stoiberschen Schattenkabinetts, Lothar Späth zurücktreten musste?
Natürlich soll hier keineswegs für einen laschen Umgang mit Korruption und korruptionsnahen Vergehen plädiert werden. Dem Eindruck, dass Korruption in unserem so korruptionsgefeiten Nordeuropa zunimmt, wirkt aber kein Rücktritt entgegen. Im Gegenteil weist wiederum die Strenge der Sanktionen oft vor allem auf deren Hilflosigkeit hin - der ukrainische Präsident ließ die verantworlichen Minister gleich verhaften, um auch ja den Anschein zu erwecken, er gehe entschieden gegen den laschen Umgang vor, der zum Unglück auf der Luftfahrtschau geführt hat.
Den Nährboden der Korruption bildet leider keineswegs das Klima, sondern die zunehmende soziale Ungleichheit und ungerechte Verteilung der Lasten. Der Ehrliche sei der Dumme, hat ein bekannter Nachrichtemoderator die betrugsbereite Stimmung im Land bereits vor ein paar Jahren auf den Punkt gebracht. Das Problem ist jedoch weniger die sinkende Moral, als vielmehr der Druck der Verhältnisse. Die allgemeine Bereitschaft für Übertretungen wächst in dem Maße, in dem man sich von den Regeln selbst betrogen fühlt. Und deren durch die Politik bestimmte Linie scheint immer deutlicher zu sein: die Schäden werden sozialisiert, die Gewinne privatisiert. Das ist die Mentalität der Korruption.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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