Immer öfter hört man in letzter Zeit die These, das Fernsehen, besonders dessen Serien-Produktion, sei mittlerweile interessanter, wenn nicht gar "besser" als das Kino. Ein Blick ins Programm deutscher Sender vermittelt da einen eher zwiespältigen Eindruck: Einerseits haben die privaten Sender ihre abendlichen Programmplätze wieder fast ausschließlich mit amerikanischen Serien wie CSI, Dr. House, Law Order, Lost und Desperate Housewives gefüllt. Andererseits scheinen die deutschen Produktionskräfte sich gänzlich in den Telenovela-Formaten von Julia - Wege zum Glück bis Verliebt in Berlin zu verausgaben. Letztere sind definitiv nicht gemeint, wenn es heißt, dass die Serien-Produktion in punkto innovatives Erzählen das Kino inzwischen überholt habe.
Als Meilensteine der Entwicklung hin zu mehr Ruhm gelten Serien wie Six Feet Under, einer gegen den Strich gebürsteten Familienerzählung, die gewollt auf das "Untypische" setzte; oder auch die Sopranos, einer Serie über die Mafia, die nicht mit den herkömmlichen Krimi-Plots von Gewalt und Drogen arbeitete, sondern mit einer hochkomplexem Erzählweise, in der Konflikte über zig Serienteile hinweg gehalten wurden. Die Sopranos avancierten in den USA zur Kultserie, obwohl oder gerade weil hier auf eine Weise erzählt wurde, die dem Zuschauer einiges abverlangt. Und das gilt auch für das Aushängeschild der "neuen, besseren" Serien, für Sex and the city einer Serie, die im Übrigen weniger albern war als der Hype, der um sie gemacht wurde. Mit dem detailliert-tabulosen Sprechen über Alltag, Sexualität und Geschlechterverhältnisse kann Sex and the City jede soziologische Studie über das moderne Lebensphänomen ersetzen, das die westlichen Gesellschaften von innen heraus derzeit mehr verändert als das Internet: die Single-Frau.
Im Fahrwasser der feierlichen Verabschiedung von Sex and the City gerieten zwei Serien in den Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit, die das vielleicht nicht unbedingt verdient haben: Desperate Housewives und Lost. Beide wurden bereits im vergangenen Jahr mit einmaliger Geschwindigkeit ins deutsche Fernsehen übernommen. Mit der Ausstrahlung der zweiten Staffeln ließ sich Prosieben aber bis jetzt im September Zeit. Obwohl sie in Deutschland längst nicht so erfolgreich liefen wie in den USA, lässt sich an ihnen gut demonstrieren, was es mit dem Phänomen der "besseren" Serien auf sich hat. Ihr neues, innovatives Konzept lautet nämlich einfach: selbiges zu überreizen. Das Setting der von Hausfrauen geprägten Vorstadt ist ein altes Muster. Desperate Housewives peppt es im wahrsten Sinne des Wortes nach allen Richtungen auf: mehr Sex, mehr Crime, mehr Geheimnis. Auch wenn das Ergebnis nicht unbedingt als intelligent zu bezeichnen ist, fällt angenehm auf, dass man sich vom TV-Standard des Heile-Welt-Realismus löst. Ähnliches gilt für Lost: Auch da ist Übertreibung das Prinzip: Die auf einer verlorenen Insel in der Südsee gestrandeten Flugzeug-Abstürzler wurden gleich im zweiten Teil von einem Eisbär bedroht - die Autoren schrecken vor keiner Unwahrscheinlichkeit zurück, was der ganzen Serie den Spaß eines Rätsels verleiht. Die Kunst dabei ist, die Geheimnisse so lange zu wahren, wie der Zuschauer bei der Stange und dabei so viel zu enthüllen, dass er noch interessiert bleibt.
Das Neue der neuen Serien besteht auch in ihrem ausgesprochen "cineastischen" Look. Nicht umsonst wurde für den Pilotfilm von Lost angeblich bis zu 14 Millionen Dollar ausgegeben. Fast so aufwändig "wie Kino" wird auch die zumindest nach Quoten erfolgreichste der neuen Serien produziert: CSI: Crime Scene Investigation, die auch in Deutschland bereits seit ein paar Jahren mit großem Erfolg läuft und zwar samt ihrer zwei "Spin-Offs" CSI: Miami und CSI: New York. In der Dreiervariante tritt das zugrunde liegende Konzept besonders deutlich zu Tage: Die Hauptfigur ist immer ein Forensik-Spezialist. William Petersen, David Caruso und Gary Sinise verkörpern jeweils Versionen des einsamen Leit-Wolfs, dem sein Beruf alles ist. Petersen spielt den nach außen scheinbar gefühllosen Alleswisser, Caruso gibt sich gerne als Rächer von Witwen und Waisen und Sinise setzt auf urbane melancholische Verhärtung. Alle drei Serien-Varianten beginnen mit einem Song der Who und Bildern der Stadt, in der ermittelt wird, wobei die Stadt-Atmosphäre ganz wesentlich zum Serien-Look gehört. Las Vegas wird meist bei Nacht gezeigt, die Kontraste sind hart und der Großteil der Handlung spielt im dunklen Abseits der gleißenden Wüstensonne. In Miami überwiegen die übersaturierten Farben des Tropen-Klimas und in New York regiert der kalte Blaustich. Dem jeweiligen Image der Stadt sind auch die Verbrechen angeglichen: In der Stadt der Spieler kommt es oft zu bizarren Fällen, die von verzweifeltem Glückstreben zeugen. In Florida kämpft das Forensikteam gegen den Sumpf aus Korruption und Drogen und in New York schließlich bilden die Fälle die soziale Härte des Asphaltdschungels ab. Es ist diese Mischung aus cineastischen Schauwerten, der Anbindung an die Stadt-Mythen und interessanten, weil relativ verschlossenen Serienfiguren, die den Erfolg der CSI-Serien ausmacht.
Nicht alle Serien, die von den deutschen Sendern in diesem Herbst neu ins Programm genommen werden, können es an Innovationskraft oder konzeptioneller Geschlossenheit mit den genannten aufnehmen. Dank Internet und DVD spielen die Programmplaner der Sender aber zunehmend eine geringere Rolle. Serien sind verfügbar geworden außerhalb ihrer Ausstrahlung, vor allem auch über Ländergrenzen hinweg. Zusätzlich dazu bildet das Internet eine ideale Plattform, um sich auszutauschen. Fast jede Serie hat irgendwo im Netz eine Fanseite mit skrupulösen Nacherzählungen, wo alle offenen Fragen geklärt werden: wohin etwa Dr. Lewis aus ER so plötzlich verschwunden ist oder was es noch mal mit dem Rollstuhl in Lost auf sich hatte.
Die Möglichkeiten von Internet und DVD wirken im Übrigen zurück auf die Gestaltung der Serien selbst. Zunehmend werden sie aufs wiederholte Sehen hin konzipiert, was tatsächlich mehr Komplexität in den Erzählweisen gestattet, aber auch den Druck erhöht, Spektakuläres zu bieten. Schon wird in den USA der "Blockbustereffekt" auch bei Serien beklagt: die Produktionskosten steigen, Pilotfilme nähern sich im Budget "echten" Filmen an. Der Druck, die hohen Kosten wieder reinzuspielen könnte auch im Fernsehen bald dazu führen, dass man sich Experimente und Innovationen nicht mehr leisten kann. Die Blütezeit des "besseren" Fernsehens, sie kann unter Umständen sehr kurz sein.
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