Bild lügt nicht, Bild macht auf authentisch

Kulturkommentar Die neue Werbekampagne der Bildzeitung ist an sich ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich in modernen Medienzeiten jede Kritik flugs in Werbung verwandeln lässt.

Dass in der Werbung viel gelogen wird, ist eine Wahrheit, die sich als bittere Erkenntnis irgendwann zwischen Kind sein und Erwachsen werden einschleicht. Gerade noch freute man sich daran, dass eine bestimmte Schokolade „viel Milch“ enthalte und damit für gesund erklärt wurde, da kam die ungebetene Aufklärung, es handle sich um eine trickreiche Behauptung, die willentlich verleugne, dass Süßigkeiten schädlich seien. Aus war es ein für allemal mit dem unschuldigen Genuss an den Werbeversprechen. Mit der Boulevardzeitung Bild verhielt es sich ganz ähnlich.

Seither ist viel Zeit vergangen und Aussagen wie „Bild lügt“ und „Werbung verbreitet Unwahrheiten“ sind so allgemein verbreitet und wurden so oft ausgesprochen, dass ihr Inhalt sich abgeschliffen hat bis zur Unkenntlichkeit. Deshalb weiß man zuerst gar nicht, was so überrascht an der neuen Werbekampagne der Bild, in der allerlei Prominente in Form so genannter „Testimonials“ ganz „authentisch“ und, wie es heißt, honorarfrei, ihre Meinung zu „Bild“ kund tun.

Das geht so: „Ihre Meinung zu Bild, Sido? – Danke für die Titt’n“. Udo Lindenberg hat eine Bildzeitung gezeichnet, über deren Rand ein Hut herausragt, und drunter die Parole gepinselt, die ja ein anderes Blatt für sich erfunden hat: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf.“

Testimonial leitet sich vom „Bekenntnis“ ab. In der klassischen Werbedefinition handelt es sich um die Aussage ­eines Prominenten, der sich als überzeugte Nutzer eines Produkts ausgibt. Bild, und das ist eine der versteckteren Botschaften der Werbekampagne, hat so etwas gar nicht nötig. Großzügig wird eingeräumt, dass die „Testimo­nials“ ja auch kritisch sein dürfen, wo ja – Gipfel aller Großzügigkeit – noch nicht einmal Geld dafür bezahlt wurde!

Woher also das unwohle Gefühl? Kommt es daher, dass Till Schweigers Plakat, auf dem er aus Bild-Schlagzeilen zusammensetzt, er sei jung, gut aussehend und eine Granate im Bett, so im Übermaß authentisch erscheint? Oder davon, dass hier wohl schon Veronika Ferres’ Spruch „Ich kann leider nicht ­jeden Tag Theater machen, ihr schon!“ als kritisch zu gelten hat? Oder daher, dass man gar nicht weiß, ob das Ganze überhaupt eine kritische Betrachtung wert ist? Ist doch die Kampagne an sich ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich in modernen Medienzeiten jede Kritik flugs in Werbung verwandeln lässt.

Mit Letzterem kommt man der Sache vielleicht am nächsten. Das Unwohlsein gleicht einem Gefühl des Beraubtseins. Begriffe wie „authentisch“, ­„kritisch“, „Bekenntnis“ – die gehörten einst einer anderen Seite des kulturellen Spektrums. Und auf eben dieser Seite wurde einmal die Strategie erdacht, Werte und Begriffe der Gegenseite zu „besetzen“, eben das, was die Bild-Kampagne in ihrer Betonung von „Kreativität“, „Offenheit“ und „Individualität“ beispielhaft vormacht. Getoppt wird sie in dieser Hinsicht zur Zeit nur noch von jener Werbung, in der man Fidel Castro ein Haus betreten sieht, in dem Lenin gerade am Computer spielt, Gandhi mit Fern-
bedienung und Chips-Tüte auf dem Bett liegt, und Rosa Luxemburg sich mit Martin Luther King im Tischfußball duelliert. Ho Tschi Minh, Marx und Che tauchen auch noch auf. Letzterer sagt schließlich, es sei Zeit für eine weitere Revolution.

Gemeint ist ein sehr preisgünstiges Auto. Wer will da noch sagen, dass Werbung lügt?

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