Blackbox Beziehung

Doku Karin Schlösser demonstriert in „Szenen meiner Ehe“, was das Genre vermag
Ausgabe 16/2021

Um den Dokumentarfilm wird viel gestritten in letzter Zeit, wobei das Besondere ist, dass es nicht um Inhalte geht, sondern um Formen. Um nicht deklarierte Inszenierungen und das Einverständnis von Protagonisten. Was darf Dokumentarfilm, wird allenthalben gefragt, und die Antwort derer, die das Genre besonders schätzen, lautet meistens: Alles! Unter einer Bedingung: Es muss ehrlich und transparent dabei zugehen.

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Allein schon deshalb lohnt es sich, einen in keiner Weise umstrittenen Dokumentarfilm wie Karin Schlössers Szenen meiner Ehe anzuschauen, den das Webportal kino-on-demand.com anbietet, auf dem es in Coronazeiten als Ausnahme auch Filmpremieren zu streamen gibt (mit dem Ticket erwirbt der Zuschauer einen Gutschein für den nächsten Kinobesuch, auf diese Weise will die Plattform die Kinos unterstützen).

Szenen meiner Ehe, man hört es dem Titel unmittelbar an, macht Ehrlichkeit und Transparenz zu seiner Vorbedingung: Es gehört Mumm dazu, sich selbst und den eigenen Partner zum Gegenstand eines Films zu machen. Ein mangelndes Einverständnis der Protagonisten gibt es hier schon einmal nicht – die, die sich filmen lassen oder selbst filmen, wissen, in welcher Situation sie sich befinden. Da ist zum einen Karin Schlösser selbst, dann ihr Ehemann Lukas Lessing, in kürzeren Szenen tauchen noch Karins Eltern und Lukas’ Mutter auf. Und einmal ein Tanzlehrer. Aber damit hat es sich schon.

Mit der „Handlung“ verhält es sich ähnlich prosaisch: Als Einleitung erzählen sich Karin und Lukas kurz ihre Geschichte – es ist gewissermaßen eine inszenierte Szene, weil deutlich wird, dass die beiden das abgesprochen haben: Wir machen die Kamera an und erzählen. Sie fangen an mit der Schilderung eines Zufallstreffens zehn Jahre nach dem Ende einer Affäre. Damals hatten sie sich nicht füreinander entschieden, weil beide mit anderen verheiratet waren. Nach der Wiederbegegnung jedoch wurde schnell geheiratet, und das, obwohl auch diesmal die Lebensentwürfe in verschiedene Richtungen wiesen. Karin Schlösser, in der DDR aufgewachsen, wohnt in Berlin; Lukas Lessing ist Österreicher und sieht seinen Lebensmittelpunkt offenbar in einem alten Bauernhaus im Burgenland. Wie die von Schlösser im Laufe von drei Jahren aufgezeichneten Gespräche bezeugen, bildet die Frage danach, wer zu wem zieht, einen ständigen Konflikt zwischen ihnen. Schlössers Aufnahmen bestehen zum einen aus halbinszenierten Aufnahmen, wie oben geschildert, und zum anderen aus beiläufigen Beobachtungen, wo sie die Kamera hat mitlaufen lassen.

Nun sind die Beziehungen der anderen ja stets eine schwarze Box: Was zwischen zwei Menschen wirklich passiert, was eine Ehe ausmacht, welches die wahren Zerwürfnisse sind, das erfährt oft selbst die beste Freundin nicht. Von daher geht von Schlössers Film ein unmittelbarer Reiz aus: endlich mal erfahren, wie es andere so machen! Wer viel Neugierde empfindet, wird jedoch von Schlössers Film frustriert sein, denn so wirklich ins Detail geht sie nie. Stattdessen, und das bildet den wahren Reiz dieses so klein und bescheiden daherkommenden Dokumentarfilms, führt Schlösser mit wunderbarer Diskretion vor, wie man die Mittel des Dokumentarischen einsetzt, um von etwas über das Abgefilmte Hinausweisendem zu erzählen. Am Ende nämlich stellt man fest, dass man zwar nicht erfahren hat, ob die beiden ihren Streit um Berlin oder Österreich beigelegt haben oder ob der Sex noch gut ist. Stattdessen wurde man dazu angeregt, über die eigenen Gefühle nachzudenken, darüber, wie viel „Talk“, wie Lukas die Selbstlügen nennt, die man so vor sich herträgt, es im eigenen Leben wohl gibt.

Info

Szenen meiner Ehe Karin Schlösser Deutschand 2019, 93 Min., Anbieter: kino-on-demand.com

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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