Bond-Ersatz gesucht

Kinozukunft Die Lage ist lokal verschieden und nicht ganz hoffnungslos – auch ohne Hollywood-Ware
Ausgabe 42/2020
Statt James Bond flimmert dieses Jahr in Frankreich wohl die heiß erwartete, fiktionalisierte Lebensgeschichte von Céline Dion, „Aline“, über die Kinoleinwände
Statt James Bond flimmert dieses Jahr in Frankreich wohl die heiß erwartete, fiktionalisierte Lebensgeschichte von Céline Dion, „Aline“, über die Kinoleinwände

Foto: Valery Hache/AFP/Getty Images

Mit der Meldung von vergangener Woche, dass der britische Kinokonzern Cineworld 600 seiner Kinos vorläufig schließen will, schien eine der frühen Untergangsfantasien der Coronazeit in Erfüllung zu gehen: das Kinosterben. Damals wurden vor allem die Streamingdienste als kollektiver Sargnagel für ein Wiederaufleben des Geschäfts „nach Corona“ gehandelt. Die Kinobesucher würden sich den Sälen entwöhnen und künftig Filme lieber vom heimischen Sofa aus für günstige Flatrates schauen. Aber wie in vielen Bereichen stellen sich nun andere Gefährdungen als eventuell schlimmer heraus – nicht die Ausfälle durch Lockdown und Betriebseinschränkungen, sondern ein Mangel an Filmen. Besser gesagt: an Filmen, die ein großes Publikum ziehen.

So bilden die Cineworld-Kinoschließungen – betroffen sind 128 Spielstätten in Großbritannien und 543 in den USA – das Ende einer Art Kettenreaktion. Was mit der Verschiebung des neuen James-Bond-Films Keine Zeit zu sterben von April auf November begonnen hat, setzte sich mit nahezu allen Blockbuster-Titeln fort. Für die Neuverfilmung des Animationsklassikers Mulan verzichtete Disney nach der ersten Verschiebung gleich ganz auf die Kinoauswertung und verschaffte der Abkürzung PVoD für „Premium Video on Demand“ widersprüchliche Popularität: Auch Disney+-Abonnenten mussten für Mulan 22 Euro zusätzlich bezahlen.

Mission impossible

Als „last film standing“ startete dann Christopher Nolans Agententhriller Tenet Ende August, gleichsam mit dem Auftrag, das Kinogeschäft im Alleingang zu retten (der Freitag 35/2020). Es kam anders: In den USA spielte Tenet in sechs Wochen gerade mal 50 Millionen Dollar ein, für einen Film, der 200 Millionen gekostet haben soll, zu wenig, selbst wenn mit einem weltweiten Box Office von über 300 Millionen das Ziel von schwarzen Zahlen immerhin in Sicht kommt. Obwohl das Ergebnis eigentlich absehbar war – Kinos in New York und Kalifornien sind größtenteils geschlossen –, lösten Tenets Zahlen bei den Studios eine Art Schock aus. James Bond und im Anschluss nahezu alle gewinnträchtigen Hollywood-Titel wurden erneut verschoben, teils gleich auf 2022. (Keine Zeit zu sterben soll in Deutschland nun am 31. März 2021 starten.) Woraufhin Cineworld die erwähnte vorläufige Schließung ankündigte.

Die Lage mag nirgendwo rosig sein, aber wie beim Virus selbst gilt: Beim genauen Hinschauen ergibt sich ein sehr viel diverseres Bild. So rechnen auch in Deutschland die Kinobetreiber mit Einbußen von bis zu 60 Prozent in der Jahresbilanz. Aber von einzelnen Spielstätten abgesehen, gibt es noch keine Schließungswelle. Hierzulande konnte Tenet durchaus etwas ausrichten und hat mit mittlerweile 1,3 Millionen Besuchern dazu fast doppelt so viele Zuschauer erreicht wie Nolans Dunkirk im coronafreien 2017. Auch die Zahlen für After Truth, den zweiten Teil der rätselhaft erfolgreichen Romanzenverfilmung, und für Jim Knopf und die Wilde 13 sind ermutigend. Vielleicht ist deutsches Kommerzkino die Lösung? Der Startplan der nächsten Wochen legt das nahe: Statt nur in Bayern kommt das Kaiserschmarrndrama bundesweit zum ursprünglich für Keine Zeit zu sterben vorgesehenen Termin heraus – und Dorfpolizist Eberhofer muss sich als „bayerischer James Bond“ verkaufen lassen.

Ein Vorbild in Sachen Orientierung auf lokale Ware ist einmal mehr der französische Kinomarkt, wo heimische Produktionen gerade einen Boom erleben. Frankreichs Ersatzprogrammierung für Bond ist deshalb die heiß erwartete, fiktionalisierte Lebensgeschichte von Céline Dion, Aline. Um Ähnliches fürs deutsche Kino zu erreichen, drängen die Betreiber weiter auf vereinheitlichte, weniger strenge Regelungen; statt des vorgegebenen 1,5-Meter-Abstands soll etwa erlaubt werden, jeden zweiten Platz zu belegen – mit Maskenpflicht während der Vorstellung.

Zum Auswertungsmodell von Mulan gab es unterdessen eine interessante Untersuchung der Datenanalysten Omdia: Vor die Wahl gestellt zwischen Kinobesuch und PVoD, hätten sich drei Mal mehr Menschen fürs Kino entschieden. Wenn Streaming tatsächlich das Geschäftsmodell der Zukunft wäre, gäbe es längst mehr Blockbuster über PVoD.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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