"Darjeeling Limited"

Kino Eine Warnung sei vorausgeschickt: Man kann in einen Wes-Anderson-Film nicht jeden mitnehmen. Anders als etwa beim Komödienklassiker Manche mögen´s ...

Eine Warnung sei vorausgeschickt: Man kann in einen Wes-Anderson-Film nicht jeden mitnehmen. Anders als etwa beim Komödienklassiker Manche mögen´s heiß, in den man von der Oma bis zum Kleinkind, vom Internet-Nerd bis zum Pferdefan alles und jeden schicken kann, auf dass alle gleichermaßen zufrieden kichernd - Niemand ist perfekt! - das Kino verlassen. Bei einem Wes-Anderson-Film dagegen kann es passieren, dass die Begleitung nach dem Film mit erbitterter Verständnislosigkeit Erklärungen einfordert wie: "Was, bitte, sollte denn das?"

Die Frage ist vollkommen berechtigt. Wes Andersons Filme nämlich sind auf eine Weise komisch, die nur schwer von misslungenem Witz zu unterscheiden ist. Trotz zahlreicher "Gags" kommen sie ohne Pointen aus, weshalb viele Zuschauer die Zeit in Erwartung auf einen Witz verbringen, der nie kommt. Andere dagegen kringeln sich von der ersten Minute an. In Darjeeling Limited hat Wes Anderson die Kunst des pointenlosen Humors in neue Höhen getrieben - teilweise so weit, dass ihm selbst eingefleischte Fans nicht mehr folgen können.

Es geht um drei Brüder, die nach Jahren der Entfremdung auf einer Reise durch Indien versuchen, einander wieder näher zu kommen. Der jüngste, Jack (Jason Schwartzman), ist ein unfreiwilliger Frauenheld, der mittlere, Peter (Adrien Brody), hat gerade erfahren, dass er Vater wird, der älteste schließlich, Francis (Owen Wilson), ist unter dem Kopfverband, den er in Folge eines Unfalls tragen muss, kaum zu erkennen und agiert aber mit der Euphorie eines Manisch-Depressiven in der Hochphase. Die Reise nach Indien war seine Idee, er hat sie als typischer "großer Bruder" bis ins kleinste Detail hinein vorgeplant - ganz ohne eventuellen Wünschen der anderen Platz einzuräumen. So kommt es schnell zu kleinen und größeren Reibereien. Jack fasst das Unternehmen an einer Stelle in dem Satz zusammen: "Ich frage mich, ob wir drei im richtigen Leben Freunde sein könnten. Ich meine, nicht als Brüder, sondern als echte Menschen."

Im Übrigen kommt Darjeeling Limited ganz ohne den üblichen Psycho-Talk aus. Es wird überhaupt wenig geredet. Im Grunde passiert auch so gut wie nichts: Dem einen Bruder kommt ein Schuh abhanden, der andere erwirbt eine Giftschlange, die sich im Zug selbstständig macht. Francis nimmt seinen Verband ab und staunt, wie verletzt er aussieht. Irgendwann werden sie aus dem Zug geworfen und geraten in die Situation, drei kleinen indischen Brüdern beistehen zu müssen. Zwischendurch springt der Film zurück in die Zeit der Beerdigung des Vaters. Am Ende ergibt sich eine Art Versöhnung, obwohl es vorher gar nicht zum Zerwürfnis gekommen war.

Einerseits gerät der Film in dieser Ereignislosigkeit völlig außer Tritt: Die üblichen Erwartungen an ein Familiendrama führt Anderson ins Leere. Es gibt weder Tempo noch "Timing", beides Grundbedingungen für das Funktionieren einer Komödie. Andererseits, gerade wenn man glaubt, nun sei der Spannungsbogen endgültig verschütt gegangen, entdeckt man in den vielen Details des Films neue Zusammenhänge. Auf der dramatischen Ebene mag Darjeeling Limited ziemlich misslungen erscheinen, auf der visuellen Ebene ist er einfallsreich wie nie. Er überwältigt mit seinen Farben, den vielen satten Rots und Gelbs und Grüns, die für das westliche Auge die Exotik Indiens ausmachen. Und er besticht mit seiner Art, das Leben als eine einzige Zugfahrt darzustellen: Irgendwie hängt alles miteinander zusammen und irgendwie geht es voran, auch wenn man das Ziel nie sieht, weil die Lokomotive im Weg ist.

Pointen werden im Amerikanischen als "punch line" bezeichnet - was viel über ihre Konstruktion aussagt: Sätze müssen wie Faustschläge daherkommen. Dieser Art von Humor setzt Wes Anderson eine ironie-freundliche Empfindsamkeit entgegen, die man Amerikanern im Allgemeinen gar nicht zutraut. Niemand kann diese Sensibilität so gut darstellen wie Owen Wilson, Andersons Freund seit texanischen College-Tagen und bei fast allen Filmen sein Co-Autor und Hauptdarsteller. Schon allein aus Rücksicht auf Wilsons verletztes und bandagiertes Gesicht verzichtet man in Darjeeling Limited bereitwillig auf jede Art von "punch line". Umso mehr, da der Schauspieler kurz vor der Premiere des Films tatsächlich versucht hat, sich umzubringen. Dass lächerliche Dinge ernst sein können und umgekehrt, das weiß niemand so gut wie Wes Anderson und Owen Wilson.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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