Um es gleich heraus zu sagen: Der neueste Woody-Allen-Film Scoop ist nicht unbedingt ein Film, den man gesehen haben muss. Im Umfeld von solchen "must-sees" wie dem heiß diskutierten Borat, der vor zwei Wochen startete, und dem heiß erwarteten neuen James Bond, Casino Royal, der nächste Woche in die Kinos kommt, nimmt Scoop in etwa den Platz eines jener kalten Zwischengerichte ein, die serviert werden, damit der Gast am Tisch bleibt und nicht den Appetit verliert. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Scoop - was sich präzise im Begriff, aber unbeholfen im Ausdruck mit "Sensationsmeldung" oder "Knüller" übersetzen lässt, worauf die deutschen Kinoverleiher dankenswerter Weise verzichtet haben - beginnt mit einer Szene in der Unterwelt. Um genauer zu sein: Auf einer Art Schiff, mit dem die Verstorbenen ins Jenseits überführt werden. Bei Woody Allen ist dies natürlich keine aufwändig gestaltete Horror-Phantasie, sondern ein sehr theaterhaft anmutendes, eher einfaches Wassergefährt umgeben von Bühnennebel. Mehr Effekt braucht es nicht, weil die Vorstellung der folgenden Begegnung etwas so Bestechendes hat, dass jeder Kamera-Trick vom eigentlichen Witz ablenken würde: Auf eben diesem Boot treffen sich eine Londoner Sekretärin und ein Londoner Sensationsreporter und kommen ins Gespräch. Die wahren Woody Allen-Kenner unter den Zuschauern sehen in diesem Szenen-Aufbau eine Frage beantwortet, die den Komiker Allen ganz ernsthaft umtreibt und die er in Die letzte Nacht des Boris Gruschenko (1975) noch folgendermaßen an den Sensenmann höchstpersönlich stellte: "Wie sieht das Leben nach dem Tode aus? Kann man dort Mädchen kennen lernen?"
Nun, man kann, aber sie erzählen einem schreckliche Geschichten: Die Londoner Sekretärin zum Beispiel ist der festen Überzeugung, sie sei vergiftet worden, und zwar von ihrem Chef. Begründung: Sie habe herausgefunden, dass er der gesuchte Frauenmörder sei, der als sogenannter "Tarot-Karten-Killer" seit Wochen die Stadt unsicher mache. Das alles erzählt sie also dem ebenfalls zu jung verstorbenen Sensationsreporter auf der Schiffsbank neben sich, den daraufhin natürlich die späte Reue ergreift: Was hätte er mit diesem Wissen für eine Geschichte schreiben können! Und siehe da: sein Gram hat solche Kraft, dass er das Ohr einer jungen und noch lebenden Möchtegern-Reporterin erreicht. Genauer gesagt erscheint er ihr als Gespenst, und das ausgerechnet während sie als Freiwillige für den Verschwindungstrick eines Zauberers in den Schrank schlüpft. Woran man merkt: Woody Allen will in Scoop keinesfalls eine realistische Geschichte erzählen. Vielmehr gleicht sein Film einem jener altmodischen Broadway-Theaterstücke, die mit ihrer Mischung aus Krimi und Comedy das Kunststück vollbringen, den Zuschauer vom langweiligen Wesentlichen abzulenken und dessen ganze Aufmerksamkeit auf die kleinen, unterhaltsamen Nebensächlichkeiten zu richten.
Zu letzteren gehört zum Beispiel das Zusammenspiel von Woody Allen und Scarlett Johansson. Woody Allen spielt hier den Zauberer "Spendini", mit bürgerlichen Namen Sid Waterman, und verleiht ihm die aus allen Allen-Figuren vertrauten Züge des ungelenken Vielredners. Als Zauberer verfügt er hier über eine im wahrsten Sinne des Wortes lächerliche Bühnenpräsenz, aber in der Rolle des verdeckten Ermittlers, in die er sich an der Seite von Scarlett bald einfindet, zeigt er soviel Wagemut, ja sogar Risikobereitschaft wie noch nie. Scarlett Johansson spielt die aufstrebende Sensationsreporterin Sondra Pransky, eine Amerikanerin zu Besuch bei Freunden in London, und ist dabei so unglamourös, dass man sie mit Brille und Klamotten, die aussehen wie von H, kaum wiedererkennt. Sondra und Sid, vom toten Reporter auf die Spur gebracht, tun sich als Vater-Tochter-Paar zusammen, um sich dem vermeintlichen "Tarotkarten-Killer", dem Adligen Peter Lyman (Hugh Jackman) zu nähern und ihn eventuell zu überführen.
Das mit der Annäherung klappt zunächst hervorragend und bald steht Woody Allen auf dem feinen Anwesen der Lymans herum und strapaziert die weltberühmte britische Toleranz mit peinlichem Geplapper wie: "Ich liebe Sie, wirklich. Mit allem gebotenen Respekt: Sie sind wunderschön, Sie sind eine Auszeichnung für Ihre Rasse ..." Oder auch: "Ich bin unter der hebräischen Glaubensrichtung geboren, inzwischen aber zum Narzissmus konvertiert ..." Im Film ist es die perfekte Tarnung für die Neugier, mit der "Splendini" die Schachzüge des von ihm verdächtigten Frauenmörders verfolgt; im Kino ist es ein Vergnügen, Woody Allens geschliffen geschriebenen Pointen zuzuhören.
Das Vorhaben der Entlarvung gestaltet sich für Sondra und Sid schon schwieriger, zumal Sondra sich alsbald in den Verdächtigen verliebt. Wie gesagt, der Krimiplot ist so kurvenreich wie vorhersehbar, aber allein die Art und Weise, wie Scarlett Johansson mit rauchiger Stimme dem Woody Allenschen Klageton zur genau richtigen Tonlage einer absolut zeitgemäßen Ironie verhilft, macht Scoop, wenn nicht zu einem "must-see", dann doch auf jeden Fall zu etwas, was man gehört haben muss: "Du gehörst zu denen, die das Glas immer halb leer sehen!" "Nein, ich sehe es immer halb voll: mit Gift!"
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