Das Glück der Wiederholung

Im Kino Michael Gondrys "Vergiss mein nicht" spielt mit der Symbiose von Lieben und Erinnern

Die Versicherung, jemanden nicht vergessen zu wollen, ist vielleicht die intensivste und zugleich unmöglichste Steigerung eines Liebesgeständnisses. Wer sich eben noch darüber wunderte, warum ein Film, der im englischsprachigen Original Eternal sunshine of the spotless mind heißt und sich auf ein Gedicht von Alexander Pope bezieht, vom deutschen Verleih etwas altbacken in Vergiss mein nicht umgetauft wird, sei damit auf die Spur gesetzt. Selten hat ein Film auf so bizarre und gleichzeitig zartfühlende Weise die schmerzende, peinliche und trotz alledem beglückende Bedeutung der Erinnerung für die Liebe ausgelotet.

An einem ungemütlichen Wintermorgen wacht Joel Barish (Jim Carrey) auf und fühlt sich nicht ganz wie er selbst. Es ist einer jener Tage, an denen die Kälte wie mit feuchten Fingern unter den Mantel und damit an die Seele greift, wie schon Joels Körperhaltung zeigt. Und wie er so mit gekrümmten Rücken auf den Vorortzug wartet, der ihn ins Stadtinnere zur Arbeit bringen soll, überkommt ihn die plötzliche Laune, schnell das Gleis zu wechseln, gerade noch rechtzeitig, um in den Zug in die andere Richtung zu steigen. Dem Alltagstrott entronnen lässt er den Blick schweifen und entdeckt bald eine junge Frau mit auffallend orangefarbigem Anorak und blau gefärbten Haaren. Während er selbst noch in Imperativen über sich nachdenkt - "ich müsste mal wieder eine Frau kennen lernen" - winkt sie ihm auch schon zu. Clementine (Kate Winslet) wirkt ebenfalls so, als fühle sie sich heute nicht ganz wie sie selbst. Schon in der ersten Begegnung wird offenkundig, dass sie sich gut ergänzen, die impulsive, sprunghafte Clementine und der zögerliche Joel, der sich einmal überredet mit um so mehr Emphase auf ihre Eingebungen einlässt. Zu zweit verwandeln sie, was eben noch unwirtlich und befremdlich war, in Abenteuer und Romantik. Doch was an diesem erstem Tag gelingt, wird sich nur schwer wiederholen lassen.

Vergiss mein nicht beginnt als einfache Liebesgeschichte in fast befremdlich alltäglicher Atmosphäre. Kaum ist dieser eine Tag aber zu Ende, verwirren sich mit den Gefühlen Joels auch die Handlungsfäden des Films auf eine Weise, die nur schwer nachzuerzählen ist. Denn schon in der nächsten Szene, ein anderer Tag, eine andere Jahreszeit, will Clementine Joel nicht mehr wieder erkennen. Sie habe ihn aus ihrem Gedächtnis löschen lassen, erzählen ihm Freunde. Für Joel ein harter Schlag, der ihn so sehr deprimiert, dass er nun seinerseits den Entschluss fällt, auch sie aus seiner Erinnerung zu tilgen.

Mit einem simplen Trick holen Regisseur Michael Gondry und Drehbuchautor Charlie Kaufmann die Idee der gezielten Gedächtnissäuberung aus der Welt der Science Fiction in die Gegenwart: Bei der Firma, die diesen Dienst anbietet, handelt es sich um keine Hightech-Agentur, sondern um jene Art Softwareklitsche, die mit dem Zusammenbruch des Neuen Markts jeden Glamour verloren hat. Deren Chef ist dementsprechend auch kein IT-Mastermind, sondern ein nicht übermäßig seriöser, dafür aber mit paternalistischem Charisma ausgestatteter Therapeut, der die Hauptarbeit von ein paar Computer-Nerds ausführen lässt, die an der Tastatur nachholen, was sie in der wirklichen Welt versäumen.

In verwirrendem Wechsel reiht der Film die verschiedenen Zeit- und Erzählebenen aneinander. Was hier wie zusammengehört, was vor, während und nach dem Löschvorgang passiert, setzt sich erst langsam zu einem sinnvollen Muster zusammen. Denn als er sie noch einmal vorgeführt bekommt, geht es Joel mit seinen Erinnerungen wie den meisten beim häuslichen Aussortieren: Auf einmal will er sie doch behalten.

Charlie Kaufmann ist mit seinen überschlauen Drehbüchern für Filme wie Adaptation und Being John Malkovich bekannt geworden, für Filme also, in denen die Regie stets die Oberhand über die Figuren behält. In Vergiss mein nicht nutzt Kaufmann seine Schlauheit zum ersten Mal weniger zum Verspotten seiner Charaktere als vielmehr zur präzisen und einfühlsamen Erkundung einer Unsicherheit.

Am Ende erfährt nicht nur der Zuschauer, sondern auch Joel und Clementine, dass ihre zu Anfang gezeigte Begegnung nicht ihre erste, sondern schon ihre zweite war. Als eben noch frisch Verliebte, die um die bereits miteinander erlebten bitteren Enttäuschungen wissen, stehen sie sich gegenüber. Mit Kierkegaard möchte man ihnen zurufen, dass die Erinnerung unglücklich mache, in der Wiederholung aber das Glück liege.


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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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