Das ist ein Event, keine Email!

Online-Stream Golden Globes und die Berlinale mussten dieses Jahr ihre Formate ändern. Nicht alles klappte
Ausgabe 09/2021
Gleich der erste Preisträger der Golden Globes, Daniel Kaluuya, ausgezeichnet für seine Verkörperung des Black-Panther-Führers Fred Hampton in Judas and the Black Messiah, war erst mal stummgeschaltet, bevor er nach einigem Hin und Her doch noch seine Dankesrede halten konnte
Gleich der erste Preisträger der Golden Globes, Daniel Kaluuya, ausgezeichnet für seine Verkörperung des Black-Panther-Führers Fred Hampton in Judas and the Black Messiah, war erst mal stummgeschaltet, bevor er nach einigem Hin und Her doch noch seine Dankesrede halten konnte

Foto: ZUMA Press/IMAGO

Könnte dieser ganze Abend auch eine E-Mail sein?“, fragte Komikerin Tina Fey zur Eröffnung der Golden-Globes-Verleihung am vergangenen Sonntag. Die Antwort war ein brüllendes „Ja!“. Aber dann zeigte sich, wie bei so vielen Ereignissen, die im Lauf der letzten Monate auf Online-Formate ausweichen mussten: Man hätte doch auch was verpasst.

Und das, obwohl der Golden-Globes-Abend zu den eher schlampig organisierten Events der neuen Ära gehörte. Zwar sorgte man mit einem dualen Konzept für Stimmung, bei dem ein Teil der Verleihung in zwei verschiedenen Sälen in Los Angeles und New York vor handverlesenem Publikum mit Masken und auf Abstand sitzend stattfand, während die nominierten Stars aus ihren diversen Heimen und Hotelzimmern per Zoom zugeschaltet wurden. Dabei aber waren die Pannen so zahlreich, dass sie zum unfreiwilligen Running Gag wurden. Gleich der erste Preisträger, Daniel Kaluuya, ausgezeichnet für seine Verkörperung des Black-Panther-Führers Fred Hampton in Judas and the Black Messiah, war erst mal stummgeschaltet, bevor er nach einigem Hin und Her doch noch seine Dankesrede halten konnte. Für einige bildete das den passenden Meta-Sketch zum Dauervorwurf, dass die Vereinigung der Hollywood Foreign Press, die die Globes vergibt, in Sachen Diversität noch einiges aufzuholen habe.

Die reine Preisstatistik kann sich in dieser Hinsicht in diesem Jahr sehen lassen – mit Kaluuya, John Boyega (Small Axe), Chadwick Boseman (posthum für Ma Rainey’s Black Bottom) und Andra Day (The United States vs. Billie Holiday) gingen vier der insgesamt 14 Darstellerauszeichnungen an PoC, so viel wie seit 2007 nicht mehr. Die chinesisch-amerikanische Regisseurin Chloé Zhao, die für ihren Nomadland in der Kategorie bester Film und beste Regie ausgezeichnet wurde, schlug in der letzteren gleich zwei Rekorde: als erste Asiatin und erst zweite Frau (nach Barbra Streisand, die 1984 für Yentl gewann).

Für die Statistik hätte eine E-Mail also tatsächlich gereicht, zumal ein Großteil der erwähnten Filme dem weltweiten Publikum in diesem Jahr immer noch völlig unbekannt sein dürfte. Und wenn sie zu sehen waren, dann auf den einschlägigen Streamingportalen (Ma Rainey’s Black Bottom und Sacha Baron Coens Borat 2 auf Amazon Prime; Aaron Sorkins The Trial of the Chicago 7 auf Netflix), woraus sich eine seltsame Umkehr der traditionellen Verhältnisse von Kino und TV ergibt: Früher spielten die zahlreichen Fernsehpreise bei den Golden Globes in der internationalen Berichterstattung kaum eine Rolle, weil amerikanische Serien und TV-Produktionen lange brauchten, bis sie etwa in Europa übernommen wurden; Kinofilme reisten schneller. Im Corona-Jahr ist es genau umgekehrt: Serien wie The Crown und Das Damengambit sind bereits um die Welt gegangen, während Hauptpreisträger Nomadland weiter auf einen möglichen Kinostart wartet.

Der Wettbewerb findet statt

In den Wartezustand versetzt auch die Berlinale in diesem Jahr ihr Publikum, nur dass die Online-Feier dazu fehlt. Statt sich auf etwas so Pannenträchtiges wie einen Online-Event einzulassen, bot die Berlinale in dieser ersten Märzwoche ihr Programm ausschließlich der Branche zum Streamen an. Wer dieser Tage also von einem interessanten Berlinale-Film liest, muss ihn sich bis Mitte Juni merken, wenn im Berliner Sommer wenigstens die Freiluftkinos wieder bespielt werden können.

Dass die Berlinale damit die Chance vergibt, mehr als nur als E-Mail-Mitteilung erinnert zu werden, zeigte sich gleich am ersten Tag: Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader, gerade noch bei den Golden Globes mit der Miniserie Unorthodox im Rennen, stellte ihren Spielfilm Ich bin dein Mensch im Berlinale-Wettbewerb vor. Der Film erzählt von der schwierigen Annäherung zwischen einer Frau und ihrem Traummann, einem nach ihren Wünschen programmierten Roboter. Nichts lästiger als ein Liebhaber, der immer nur alles richtig machen möchte! Bei der Online-Pressekonferenz – die bei dieser nicht öffentlichen Berlinale die Ausnahme sind – gab Schrader zu bedenken, dass sich doch ein ähnliches Verhältnis zwischen Zuschauer und Streamingdienst ergibt: Letzterer meint zu wissen, was man will, aber man selbst ist oft gerade davon abgestoßen. So gesehen leistet Ich bin dein Mensch einen wertvollen Beitrag zur großen Debatte um Nutzen und Macht der Streamingdienste. Schade, dass die Berlinale die Diskussion bis in den Sommer vertagt.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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