Zu den rätselhaftesten Effekten sprachlicher Kommunikation gehört, dass eine Wahrheit, die zu oft beteuert wird, immer mehr den Geschmack einer Lüge bekommt. Es muss sich um eine Art Selbstschutzmechanismus der Sprache handeln, um sich vor Sinnentleerung zu bewahren. Einer der meist formulierten Sätze in den Monaten vor dem Irak-Krieg war der von der Wahrheit, die im Krieg als Erstes sterbe. Ein Satz, der sich ganz besonders schnell abnutzte, denn gelogen, und nicht zu knapp, wurde ja bereits, als das noch dunkle Zukunftsbeschwörung sein sollte.
Im Medienzeitalter, das vor allem eine Ära der Wiederholung von ein und denselben Nachrichten auf allen Kanälen ist, beißt sich dieser Lügenschutzmechanismus mit einem anderen Effekt, der als Aussage gerne zynischen Medienmogulen in den Mund gelegt wird: Man müsse etwas nur oft genug wiederholen, und die Menschen würden daran glauben.
Wer sich im eigenen Bekanntenkreis umhört, wird genug Belege für den einen als auch den anderen Effekt finden: Die einen glauben prinzipiell nur das, was sie nicht öfter als einmal irgendwo gehört haben, in der festen Überzeugung, dass die Wahrheit nur das sein kann, was einmal ausgesprochen, sofort unterdrückt wird. Die anderen wiederum glauben nur das, was auch nach tagelanger Wiederholung noch nicht widerlegt ist.
An der Medienfront fand eine eigene Art der Kriegsvorbereitung statt: Die Fernsehzuschauer und Zeitungsleser wurden darauf vorbereitet, bald nach Strich und Faden belogen zu werden. Gewarnt wurde, bevorzugt in den Printmedien, vor allem vor dem Fernsehen, in erster Linie natürlich dem amerikanischen Fernsehen, beziehungsweise dem, was davon in Europa zu sehen ist. Was sicher niemand davon abgehalten hat, in dem Moment, als der Krieg begann, den nächsten Fernseher einzuschalten, im vollen Wissen, dass es da eigentlich nichts zu sehen gibt. Außer dem Üblichen: Moderatoren, die zu Korrespondenten schalten, die »vor Ort« für einige Augenblicke den Geschehnissen den Rücken zuwenden, um für uns in die Kamera zu sprechen. Plus diese grünlichen Bilder, auf denen sich Lichtpunkte bewegen, die beim Golfkrieg 1991 bereits so viel Eindruck machten und viele große Denker dazu veranlassten, über Medienzeitalter und Krieg ganz neue Theorien aufzustellen. Der einfachere Fernsehzuschauer weiß seitdem zumindest, dass er im neuen Medienzeitalter zwar mit Live-Bildern des Krieges versorgt wird, dass aber darauf nicht unbedingt etwas zu erkennen sein muss.
Am ersten Tag setzten die öffentlich-rechtlichen Sender ihr Normalprogramm aus, um rund um die Uhr zu berichten. Wie schon im September 2001 war das wohl eher ein Zugeständnis an die allgemeine Aufregung als ein durchdachtes Reagieren auf die Nachrichtenlage. (Interessanterweise leisteten sich diesmal die Privatsender diese Sentimentalität des 24 Stunden live Dabeiseins nicht.) Zu berichten gab es an diesem ersten Tag nämlich denkbar wenig. Was sich als Paradox in einer in dieser Form in ARD und ZDF noch nie gesehenen Überfrachtung des Bildschirmes niederschlug: eine Art Nachrichtenticker als Laufband ganz unten, in der rechten Ecke darüber ein kleiner Kasten mit Live-Bildern aus Bagdad, aufgenommen von einer fest montierten Kamera über den Dächern dort, dazu noch links oben gegebenenfalls der Kasten mit dem Korrespondentenbild, dessen Stimme über Telefon gerade ins Studio hallt. Und inmitten all der bunten Bildchen Moderatoren, die endlose Überstunden machten.
Äußerlich den dieser Tage viel geschmähten amerikanischen Medien also zum Verwechseln ähnlich, bemühte man sich bei den Inhalten um so mehr, keinen Propagandalügen aufzusitzen: Mit ungewohnter Sorgfalt und Vorsicht wurde stets formuliert, man habe aus der und der Quelle das und das gehört, wurde darauf hingewiesen, dass sich die und die Meldung noch nicht bestätigt habe, wurde jede ältere Bebilderung aktueller Ereignisse mit »Archiv« betitelt und ständig gebetsmühlenartig betont, dass man wenig wisse und sich auf das, was die kriegführenden Parteien verlauten lassen, ja schließlich nicht verlassen könne.
Der furiose Einstieg der Öffentlich-Rechtlichen mit 24Stunden-Berichterstattung zog einen kuriosen Effekt nach sich: je unübersichtlicher in den darauf folgenden Tagen die Lage wurde und je interessanter damit die widersprüchlichen Nachrichten, desto weiter wurde die Berichterstattung wieder zurückgefahren. Woran man ein weiteres Mal erkennen konnte, dass die Medien ihre Hauptaufgabe gar nicht in der Übermittlung von Nachrichten sehen, sondern in einer Art Service für den Gefühlshaushalt der Zuschauer. Sind die Informationen in allen möglichen Varianten nämlich über den Äther, schlägt die große Stunde der Gesprächsrunden. Ganz einem den redseligen Siebzigern verbundenen Ethos nach scheint dann zu gelten: Gut, dass wir wenigstens darüber sprechen können!
Es sind vertraute Figuren, die da in wechselnden Zusammenstellungen in einer Runde sitzen. Oft haben sie sich auf ganz anderen Gebieten einen Namen gemacht und lassen sich jetzt dazu hinreißen, ihre Ahnungslosigkeit über alles, was den Nahen Osten und den Islam betrifft, zu entblößen. Zu ihnen hinzu wird derzeit meist ein Exil-Iraker geladen, der mit Lebensgeschichte und Authentizität dafür bürgen soll, dass die Diskussion an den »Betroffenen« nicht vorbei geht. Was mit steter Regelmäßigkeit trotzdem passiert. Selten nämlich lassen sich deren Argumente in die üblichen Pro- und Contra-Diskussion einbinden. Interessant ist es zu beobachten, mit welchem Geschick geübte Diskutanten diese »authentischen« Stimmen für ihre Zwecke vereinnahmen. Selten geht ein Kriegsbefürworter auf einen Kriegsgegner ein. Noch seltener sagt jemand etwas Neues. Und manchmal tritt Sir Peter Ustinov auf und beeindruckt alle mit Altersweisheit (»Der Terrorismus ist der Krieg der Armen und Krieg der Terrorismus der Reichen.«) Ansonsten besteht die eigentliche Spannung dieser Diskussionen darin zu beobachten, welcher Glaubensgruppe die einzelnen angehören: Ob sie nur den Informationen trauen, die sonst niemand hat, oder denen, die in aller Munde sind.
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