Von allen Hitler-Darstellern ist mir Bronski immer noch der liebste. Bronski alias Tom Dugan gehört zu jener Theatergruppe, die in Ernst Lubitschs Sein oder nicht sein unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Warschau ein zeitkritisches Stück über Nazideutschland probt. Am Anfang des Films sind wir auf der Theaterbühne. Es findet gerade ein Verhör statt; sämtliche Schauspieler tragen makellose SS-Uniformen. Auf einmal kündigt aus den Kulissen heraus der vielfache Ruf "Heil Hitler!" den Auftritt Bronskis an, so als schreite er an Korridoren voller Wachhabender vorbei, die der Zuschauer nicht sehen kann. Dann steht er endlich in der Tür, die Uniformierten auf der Bühne nehmen Haltung an und grüßen ebenfalls: "Heil Hitler!" Und was macht Bronski? Er hebt den Arm und spricht: "Ich heil mich selbst!" Regisseur Dobosz lässt die Probe abbrechen.
Wahrscheinlich kann nur, wer Lubitschs vorausschauendes Meisterwerk aus dem Jahre 1942 gesehen hat, wirklich nachvollziehen, was mit diesem Witz alles in sich zusammenfällt. Er ist ein Tiefschlag gegen die Aura des Nazischicks, gegen den Militär-Eros der Ledermäntel und Schulterspiegel, gegen das Fasziniertsein von der "Größe" des Faschismus. Wie überhaupt der ganze Film eine heilsame Lektion über das Problem der künstlerischen Nachahmung des Nazitums erteilt. Ich kann seither eigentlich keinen Hitlerdarsteller mehr richtig ernst nehmen. Immer vermeine ich hinter der Anstrengung, sich in die schwierige, meinetwegen "monströse" Rolle einzufühlen, den Kleindarsteller Bronski zu erkennen, der mit dem zitierten Satz doch nur seinen Part etwas vergrößern wollte - eigentlich hätte er einfach schweigen sollen - und enttäuscht über den Ausgang einem Kollegen später im Film erklärt: "Und ich dachte, als Dobosz zu mir sagte, Bronski, Sie sind mein Hitler, das wäre der Beginn meiner Karriere ..."
Für Bruno Ganz stellte sich die Frage, ob er Hitler spielen wollte, natürlich andersherum, nämlich ob das nicht seine Karriere, wenn nicht gleich beenden, so vielleicht doch beschädigen könnte? Aber für große Schauspieler, und dazu gehört Bruno Ganz, werden im Zenit des Ruhms die Herausforderungen rar. Warum also nicht Hitler? Zumal er in Oliver Hirschbiegels Der Untergang keineswegs auf eine stumme Figur im Hintergrund reduziert ist, sondern das Zentrum der Inszenierung bildet.
Und man kann es wirklich nicht anders sagen: Bruno Ganz macht seine Rolle gut. Es ist ein Meisterwerk schauspielerischer Artistik, wie er eine Figur erzeugt aus lauter Marotten: da ist die sehr eigentümliche Sprechweise, die Ganz millimetergenau unterhalb der Parodie ansiedelt; dann die Schnurrbart- und Seitenscheitel-Maskerade, die nur bei seinem ersten Erscheinen unwillkürlich zum Lachen reizt; der schlurfende Gang, das misanthropisch vorgeschobene Kinn und der Tick mit der zuckenden Hand auf dem Rücken - hatte Hitler Parkinson? - kurzum: da haben wir ihn: Den Hitler, "den man liebte". Das ist ein weiteres Filmzitat aus einer Komödie, die sich bereits vor drei Jahrzehnten mit der Frage auseinander setzte, wie man Hitler am "besten" auf der Bühne darstellt. "To show the world the true Hitler, the Hitler you loved, the Hitler you knew, the Hitler with a song in his heart!", begründet Produzent Max Bialystok in Mel Brooks´ Komödie The Producers das Unterfangen eines Musicals mit dem Titel Springtime for Hitler. Manches, was die Macher des Untergang dieser Tage so sagen, ist davon gar nicht mehr so weit weg. Was bei Brooks eben ein Witz ist, schließlich geht es den "Produzenten" darum, das schlechteste Stück der Welt auf die Bühne zu bringen, meinen Produzent Eichinger und Regisseur Hirschbiegel aber leider ernst. Sie haben es auf einen gewissen Gruseleffekt abgesehen, das Publikum soll erschrecken darüber, dass Hitler, wenn er von Bruno Ganz gespielt wird, auf einmal "normal-menschlich" erscheint. Sie halten das für historische Aufklärung.
Besonders in Großbritannien und Russland hat Der Untergang denn auch schon Schlagzeilen gemacht, bevor der Film dort überhaupt zu sehen war. Die Deutschen zeigten einen Hitler zum Bemitleiden, einen romantischen Träumer und freundlichen alten Mann, war dort in den Zeitungen zu lesen, und obwohl diese Beurteilung wesentliche Teile des Films auslässt, muss man leider sagen, dass an der Kolportage etwas dran ist. Aber ist es nicht das grundsätzliche Problem jeder ernsthaften schauspielerischen Darstellung Hitlers: Was soll schon anderes herauskommen, wenn man sich in ihn einfühlt, als dass er auch nur ein Mensch war? Oder um noch einmal den genialen Lubitsch-Film zu zitieren: Nachdem Dobosz die Probe abgebrochen hat, meckert er weiter an Bronski herum, "Irgendwas stimmt mit seiner Maske nicht, ich rieche keinen Hitler in ihm, für mich ist er nur ein Mann mit einem Schnurrbart!" "Aber das ist Hitler doch auch ...", hält ihm ein anderer Ensemblemitglied entgegen. Das ist die Frage, für die jede Inszenierung eine eigene Antwort finden muss.
So gut also Bruno Ganz seinen Part erfüllt und Hitler als vollgültigen Charakter auferstehen lässt, der so seine Widersprüche hat - einerseits bedankt er sich brav für das gekochte Abendessen und geht sanft mit der Sekretärin um, andererseits faselt er von der jüdischen Weltverschwörung und ist ziemlich schnell mit Todesurteilen zur Hand -, so sehr lässt ihn die Gesamtinszenierung im Stich, weil Hirschbiegel und Eichinger eigentlich nicht wissen, wohin sie führen soll. Ihnen scheint es ein Selbstzweck zu sein, Hitlers letzte Tage nachzustellen, ganz nach historischen Quellen, versteht sich. Aber durch das bloße Nachstellen gut belegter Fakten erfährt man eben nicht mehr, sondern sehr viel weniger als zum Beispiel aus Traudl Junges subjektiver Beichte im Dokumentarfilm Im Toten Winkel - Hitlers Sekterärin. Dort gab es ein nachdenkliches, zweifelndes, zögerndes Ich, das erzählte und auf diese Weise gleichzeitig mit den Fakten immer auch eine Haltung dazu verriet, zwiespältig und widersprüchlich, vor allem aber dazu anregend, über das mögliche eigene Verhalten in vergleichbaren Situationen nachzudenken. In Der Untergang gibt eine Art Elite der deutschen Schauspieler, bekannt aus Funk und Fernsehen, ihr Bestes, um im Wortsinn ominösen Figuren wie Himmler, Speer und Goebbels lebendige Gestalt zu verleihen, und macht dabei gleichzeitig den Eindruck, dass sie nicht weiß, was sie da tut.
Das Absichtslose der Inszenierung erkennt man schon daran, dass Eichinger/Hirschbiegel ihren Film mit Zitaten aus der erwähnten Traudl-Junge-Dokumentation einrahmen. Das hat fast schon etwas rührend Amateurhaftes, wie sie dadurch darauf hinweisen, dass sie deren Höhe an Reflektion erreichen wollen und zugleich für unerreichbar halten, sonst müssten sie sie ja nicht zitieren. Am Anfang und am Ende des Films sieht man also zwei Ausschnitte, in denen Traudl Junge als ältere Frau auf das dumme junge Mädchen schimpft, das sie einst war. Anna Maria Lara gibt im Film dazwischen dieses junge Mädchen, ihr Verhalten ist aber so makellos, und ihre "Dummheit" so adrett in rehäugige Schönheit verkleidet, dass man als Zuschauer die alte Frau vom Anfang fast besänftigen möchte: So schlimm war das doch gar nicht!
Man kann die jeweiligen Auftritte filmkritisch und differenziert besprechen: Heino Ferch stellt einen feschen Albert Speer dar, das hat schon fast was. Juliane Köhler ist als Eva Braun ganz zuhause in ihrer Lieblingsrolle der verantwortungslosen Kindfrau. Während Corinna Harfouch wie immer ein Wagnis eingeht, und zwar die Kindsmörderin Magda Goebbels zu spielen, wobei das Wagnis darin besteht, dass sie ihre Figur nicht sympathisch erscheinen lässt und trotzdem um "Verständnis" buhlt. André Hennicke ist als General Mohnke auf bedrückende Weise undurchschaubar, seine Pflichtversessenheit ist genauso ein Makel wie eine Tugend, eine prekäre Mischung, wie sie die Faschismusforschung als "autoritärer Charakter" beschrieben hat; weshalb in Hennickes kurzen Auftritten aufscheint, was eigentlich möglich gewesen wäre im Rahmen einer Inszenierung, die wirklich etwas über die Zeit hätte sagen wollen. Dann dürften Christian Berkel und Matthias Habich nicht so einfach die "guten" Generäle verkörpern, die es ja auch gegeben haben soll, die den Führer zur Kapitulation drängen und einiges tun, um "Schlimmeres" zu verhindern. Hinter dieser Auffassung steht eine Naivität, die man den Schauspielern gerade noch verzeihen will, nicht aber der Regie und dem Drehbuch.
Hinzu kommt, dass der Film mit der Geste des Historisch-Authentischen durchaus Zugeständnisse an den Zeitgeist macht: Es ist die Berliner Zivilbevölkerung, deren großes Leiden unter Hitlers Starrsinn gezeigt wird, die Entdeckung, dass Deutsche auch Opfer waren, setzt sich hier also fort. Aber der Film scheitert nicht an den Einzelheiten, sondern an seinem Grundtenor: Dem Frönen der Faszination, die von Hitler und dem Faschismus ausgeht. Joachim Fest, dessen Buch Der Untergang die Grundlage zum Drehbuch bildete, wurde schon vor Jahrzehnten dafür angegriffen, so ungeheuer fasziniert zu sein von seinem Lieblingsgegenstand. Der Film beweist eine ähnlich gruselige Lust an der vermeintlichen "Größe" dieses Untergangs, und so zieht sich als Roter Faden die Ergriffenheit durch, bei diesem Großereignis durch Filmtechnik noch einmal dabei sein zu können.
Lubitsch hat in seiner Komödie etwas vorweggenommen, was die Forschung erst später so richtig entdecken sollte: Dass die effektvolle Inszenierung und das Eindruck schindende Posieren eine wesentliche Triebfeder der Nazis war, weshalb zur Darstellung und Überführung derselben sich auch niemand so gut eignete wie ein Trupp eitler Schauspieler mit Hang zum Overacting. In diesem Sinne zeugt es vielleicht sogar von falschem Respekt zu glauben, Hitler und seine Konsorten müssten von guten Schauspielern gespielt werden.
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