Detailfragen

Fall Weinstein Das #Metoo-Resümee von Jodi Kantor und Megan Twohey kommt wohl zu früh
Ausgabe 36/2020

Wie investigativer Journalismus aussieht, weiß man aus Alan J. Pakulas Die Unbestechlichen: Zwei junge, gut aussehende Männer telefonieren, klingeln an Türen, stellen Fragen oder treffen sich mit im Schatten stehenden Männern in Tiefgaragen. Monate später wird ein Zeitungsartikel daraus, der – mit Langzeitwirkung – zum Rücktritt eines Präsidenten führt. Auch Jodi Kantor und Megan Twohey haben den Film gesehen – ihr Buch, #Metoo, liest sich über große Strecken wie ein Remake, das man den aktuellen Umständen angepasst hat. Diesmal also zwei Frauen, die an Türen klingeln und telefonieren, aber jetzt eben auch E-Mails und SMS schreiben. Auch hier geht es am Ende um den einen Artikel, der aus den monatelangen Recherchen entsteht – und der ein Schwergewicht zu Fall bringen wird, diesmal nicht der Politik, sondern der Kultur.

Trotzdem gibt es natürlich viel, was den Fall Harvey Weinstein vom Watergate-Skandal unterscheidet. Als Geschichte einer Recherche, so wie sie die New-York-Times-Journalistinnen Kantor und Twohey erzählen, fällt eines besonders ins Auge: Bob Woodward und Carl Bernstein, die Reporter der Washington Post, wussten nicht, worauf sie stoßen würden, als sie der Anweisung „Follow the money!“ nachgingen. Kantor und Twohey dagegen, auch wenn sie es nicht ganz so deutlich zum Ausdruck bringen, wissen von Anfang ansehr wohl, was passiert ist. Weinsteins rüdes, unberechenbares und übergriffiges Verhalten war in all seinen Jahren als Filmverleiher und -produzent nicht nur kein Geheimnis, sondern Teil eines Personenkults, der ihn als „Maverick“ und „Rebellen“ feierte. Dass die „Übergriffigkeit“, wenn sie Frauen betraf, gewisse Grenzen überschritt, hatte sich lange schon herumgesprochen und wurde schlicht in Kauf genommen.

Die Aufgabe von Kantor und Twohey war es in all den Monaten der Recherche deshalb vor allem, die betroffenen Frauen dazu zu bewegen, „on the record“ zu gehen: unter eigenem Klarnamen zu schildern, wie Weinstein sie behandelt hat, was ihnen zugestoßen war. Dass sich aus all den Einzelgeschichten bald eine Art „Standard Operating Procedure“ herausschälte – Termine, die ad hoc in Weinsteins private Hotelsuite verlegt wurden, zu denen er die Frauen dann im Bademantel begrüßte, um sie bald um eine Massage zu bitten oder wegen weiterer sexueller Gefälligkeiten in Bedrängnis zu bringen –, unterfütterte nicht nur die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen, sondern machte auch fassungslos, weil erst recht offenbar wurde, wie viele Mitwisser es die ganze Zeit schon gegeben hatte.

Spannender Stoff, #Metoo steht heute für eine Zeitenwende. Und trotzdem ist #Metoo kein spannendes Buch geworden. Im Gegenteil, schon die Tatsache, dass die Autorinnen sich fürs Erzählen in dritter Person entschieden haben, um jeweils zu unterscheiden, ob Megan oder ob Jodi an der ein oder anderen Klingel läutete, verhindert genau jene Subjektivität, auf die man eigentlich neugierig wäre. Wie hat sich ihr eigener Blick durch ihre Recherche verändert? Hinzu kommt, dass die Reporterinnen hier ganz bei ihren Leisten bleiben – und alles genau so schildern, wie es Absprachen und Rechtslage zulassen.

Parallele Recherchen

Einerseits führt das zu einer Fülle an Details, die man gar nicht so genau wissen will, angefangen von den Glastüren der New-York-Times-Redaktionsräume über die zahlreichen Lunchverabredungen bis hin zur repetitiven Schilderung der endlosen Überarbeitung des Artikels. Andererseits kommen Dinge wie die Konkurrenz zu Ronan Farrow, der zeitgleich und mit zum Teil denselben Zeuginnen an einem Artikel für den New Yorker arbeite, nur als kurze, respektbezeugende Erwähnung vor – keinerlei Kommentar zu eventuellen Unterschieden der Herangehensweise oder einer auch behindernden Rivalität.

Wie um den Mangel an Reflexion über die eigene Entwicklung während der Arbeit auszugleichen, umrahmen Kantor und Twohey den Weinstein-Fall mit der ausführlichen Schilderung von zwei anderen prominenten #Metoo-Vorfällen: dem sogenannten Pussygate 2016, von dem viele glauben wollten, dass Trump darüber stolpern würde, und dem Fall Christine Blasey Fords, die mit ihrer Aussage gegen Brett Kavanaugh dessen Berufung ins Oberste Gericht mit verhindern wollte. Das Nachdenken darüber, weshalb Weinstein mittlerweile im Gefängnis sitzt, Trump und Kavanaugh aber unbeeinträchtigt ihrer Ämter walten, muss der Leser und die Leserin selbst leisten. Kantor und Twohey bieten auch hierfür nur ihr haarklein recherchiertes Material an, bei dem die Fülle an Details die klare Sicht behindert.

War die Enthüllung gegen Weinstein nur deshalb erfolgreich, weil der Produzent sich geschäftlich in einem Niedergang befand? Hätte sie unter einer Präsidentin Hillary Clinton die gleiche Wirkung gehabt? Mit solchen spekulativen, aber doch interessanten Fragen geben sich Kantor und Twohey erst gar nicht ab. Fast die einzige weitergehende Reflexion, die sie sich zutrauen, ist die zur verheerenden Langzeitwirkung der Verschwiegenheitserklärungen. Die zutiefst amerikanische Praxis, Opfer an möglichen Urteilen vorbei „auszuzahlen“ und gleichzeitig für immer zum Schweigen zu bringen, entlarven Kantor und Twohey als raffiniertes System des Täterschutzes. Ins Visier nehmen sie dabei besonders die Anwältin Lisa Bloom, die hinter dem Image einer „Frauenverteidigerin“ von diesem System nicht nur finanziell profitierte, sondern das dabei erlangte „Wissen“ auch noch in den Dienst Weinsteins stellte. Vielleicht kommt dieses Buch zu früh, um zu erfassen, was eigentlich passiert ist – und ob sich etwas verändert hat.

#Metoo Jodi Kantor, Megan Twohey Judith Elze/Katrin Harlaß (Übers.), Klett Cotta 2020, 352 S., 18,50 €

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