Die Kunst des Nettseins

Serie Bereits die erste Staffel von „Ted Lasso“ ist für 20 Emmys nominiert – ein Rekord. Warum?
Ausgabe 31/2021

Irgendwann musste es so weit kommen: Nach Jahren, in denen das Interesse ganz den fluchenden, mordenden oder drogendealenden Anti-Helden galt, gibt es plötzlich wieder einen positiven Helden, den alle mögen. Sein Name ist Ted Lasso und seine Renaissance findet passenderweise beim Sparten-Streaminganbieter AppleTV+ statt. Dessen Abonnenten-Zahlen sind offenbar so niedrig, dass es dem Tech-Konzern peinlich ist, sie zuzugeben. Aber vielleicht wird sich das im September ändern, wenn bei der Vergabe der Emmys eben jener Ted Lasso und die nach ihm benannte Show gute Chancen haben, von zwanzig Nominierungen – ein Rekord für eine Serie nach der ersten Staffel – den einen oder anderen Award auch zu bekommen.

Die Schattenexistenz bei einem Anbieter, den der überforderte Seriengucker sowieso schon als Zumutung empfindet, passt deshalb so gut zu Ted Lasso, weil die Hauptfigur (Jason Sudeikis) selbst als Zumutung daherkam: ein amerikanischer Football-Coach, der eine englische Premier-League-Mannschaft trainieren soll, und das ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung von Fußball zu haben. So etwas Weltfremdes können sich nur Amerikaner ausdenken, dachte man noch skeptisch, als die Serie im vergangenen Sommer startete. Dann stellte sich heraus, dass die Ahnungslosigkeit des Trainers nur sehr wenig als Aufhänger für Witze über die Abseitigkeit von Abseitsregeln und dergleichen genutzt wurde, sondern tatsächlich Teil einer Intrige war: Clubbesitzerin Rebecca (Hannah Waddingham) hatte so den Abstieg des AFC Richmond instigieren wollen, um sich an ihrem fremdgegangenen Ex-Mann zu rächen. Ihr Plan ging auf – am Ende der Saison ist Richmond abgestiegen, aber statt nach bitterer Niederlage schmeckte das Ganze nach versöhnlichem Ausgleich und Chance. Denn das ist die Kunst des Trainers Lasso: einen so einzuwickeln, dass man doch fast glaubt, es käme gar nicht so sehr aufs Gewinnen an, sondern mehr auf das Zusammenspiel.

Richtig in der Corona-Pause

Im Nachhinein lässt sich leicht behaupten, dass ein Typ wie Lasso genau das Richtige war, um den traumatisierten Gemütern im Corona-Jahr eine kleine Verschnaufpause zu gönnen, aber damit schätzt man den Wagemut der „Erfinder“ der Serie wohl noch zu gering ein: Dass ein schnauzbärtiger Texaner mit geradezu übergriffiger Nettigkeit und unhaltbarem Optimismus in einer Komödie, die im europäischen Fußball-Milieu angesiedelt ist, auf internationale Zuschauerliebe stoßen würde, damit war in der polarisierten, aufgeladenen Atmosphäre der Gegenwart nicht zu rechnen. Aber nun macht Ted Lasso sogar schon Schule: „The Art of Nice“ heißt der neue Trend, an den man noch gar nicht richtig glauben mag.

Aber vielleicht muss man die Serie auch gar nicht als Phänomen betrachten und im großen Weltenlauf einordnen, vielleicht reicht es für den Moment, sich einfach daran zu erfreuen, dass es sie gibt, dass die zweite Staffel bereits fertig und seit Mitte Juli im Angebot ist – und an Qualität der ersten nicht viel nachsteht.

Wie um diejenigen abzuholen, für die „nice“ eher ein abschreckendes Wort ist, weil sie dahinter eine Falle vermuten, die mit klebrigen Klischees von volkstümlicher Freundlichkeit das kritische Denken einlullt, beginnt die neue Staffel mit einem grotesken Unfall: Einer der Starfußballer des AFC Richmond vergibt nicht nur einen Elfmeter, sondern tötet mit der Wucht seines Balles auch noch das Vereinsmaskottchen „Earl Greyhound“, ein allseits geliebtes Hündchen, das, abgelenkt durch eine Taube, in die Schusslinie geraten war.

Um welche Art von Nettigkeit es in Ted Lasso geht, zeigt sich darin, dass nicht das Tier, sondern das Trauma des Spielers im Mittelpunkt steht. Die besondere Rolle des Aberglaubens im Sport und Lassos Begabung, damit umzugehen, waren bereits ein wichtiger Teil der ersten Staffel. Diesmal aber greift der erfindungsreiche Lasso mit seinen Bemühungen, den Spieler wieder zurück ins Spiel zu bringen, ins Leere. Nach einigem Sträuben lässt er sich dazu überreden, eine Therapeutin zu engagieren – und hat dann ganz schön zu kauen daran, dass diese so schnell Zugang zu finden scheint zu „seinen“ Spielern.

Es tut der Serie ausgesprochen gut, dass die Figur des Trainers durch die therapeutische Konkurrenz ein bisschen abgewertet wird – und Lasso selbst das auch so wahrnimmt. Ein bisschen gedemütigt sein, sich kleiner fühlen, damit liegt Ted Lasso aber schon wieder so was von im Trend.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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