Murakami-Verfilmung „Tony Takitani“: Die richtige Größe

Im Kino Die Verfilmung "Tony Takitani" bewahrt den melancholischen Klang der Murakami-Vorlage

Haruki Murakami ist zur Zeit der erklärte Lieblingsautor von Vielen. Und wie das häufig so ist bei Lieblingsautoren: Sie werden verfilmt. Das hat meist zur Folge, dass viele Menschen sich von ihrer Vorliebe ködern und ins Kino locken lassen. Noch öfter sind sie hinterher enttäuscht. Es gibt nur wenig Verfilmungen, die es mit Lieblingsautoren aufnehmen können.

Wahrscheinlich gehört auch der japanische Regisseur Jun Ichikawa zu den Murakami-Fans; seinem Film Tony Takitani ist auf jeden Fall in jeder Einstellung ein besonderer Respekt vor der literarischen Vorlage und dem verehrten Autor anzumerken. Es ist die erste Spielfim-Umsetzung eines Murakami-Werks, und Regisseur Ichikawa verfährt mit der kurzen Erzählung wie mit einer wertvollen Glas-Skulptur, die nur mit äußerster Vorsicht von ihrem angestammten Platz zwischen Buchdeckeln den Gefährdungen auf der Leinwand ausgesetzt werden darf. Man fühlt sich als Zuschauer wie auf Sicherheitsabstand gehalten.

Man kann dieser Vorsicht natürlich auch etwas Positives abgewinnen. Indem er eine Erzählerstimme aus dem Off einen großen Teil der Handlung verlesen lässt, bewahrt Ichikawa in seiner Verfilmung den speziellen Murakami-Sound, jenen trockenen, einfachen Ton, in dem Absurdes und Alltägliches, Hocherotisches und Abseitiges in knappen Worten zusammenkommt. Man ist in Tony Takitani folglich mehr mit Zuhören als mit Zusehen beschäftigt. In die Bilder, in das gezeigte Geschehen wird man nie wirklich involviert; stets weist der Text aus dem Off über das hinaus, was die Schauspieler gerade tun. Die einzelnen Szenen wirken dadurch wie eine Art Ersatzangebot, sozusagen eye teaser für den geduldigen Zuhörer.

Als Kurzgeschichte hat die Erzählung es in sich: Tony Takitani ist der einzige Sohn eines japanischen Jazzmusikers, der im Krieg nur knapp einer Hinrichtung wegen Kollaboration entgehen konnte. Der Sohn studiert Kunst, aber sein Hang zur Perfektion kommt seiner künstlerischen Laufbahn in die Quere; schließlich wird er technischer Zeichner. Tony lebt einsam, bis er eine Frau kennen lernt, die er vor allem dafür bewundert, mit welcher Perfektion sie sich kleidet. Erfolgreich wirbt er um sie, um dann nach der Heirat festzustellen, dass sie nach teuren Kleidern regelrecht süchtig ist. Irgendwann stellt er sie zur Rede: Er bittet sie, etwas weniger zu kaufen. Kurz darauf verunglückt sie. In seiner Trauer versucht Tony eine Verwendung für die von ihr hinterlassenen Kleider zu finden. Er kommt auf die Idee, eine Frau mit den gleichen Kleidermaßen zu suchen.

Viele der Murakami-typischen Themen werden in dieser Kurzgeschichte gestreift, von den Grausamkeiten des letzten Kriegs bis zum amerikanischen Jazz in Japan, von den unergründlichen Frauen und ihrem rätselhaften Verhalten bis zu den introvertierten Männern und ihrer Gefangenschaft in Einsamkeit.

Wie die Erzählung verzichtet auch der Film auf psychologische Erklärungen. Die Kamera tastet im Großteil der Einstellungen die Szene ab wie ein Scanner, immer von links nach rechts, begleitet von existentialistischen Klaviertönen. Ob Vater oder Sohn, ob Jugend oder Erwachsenenalter, alles bleibt mehr oder weniger auf derselben Note. Auch darin ist Ichikawa dem Lieblingsautor nämlich treu: Murakami ergründet seine Figuren nicht, führt sie nicht in Katastrophen, sondern allenfalls in Krisen, die meist durch seltsames, aber im Endeffekt heilsames Verhalten ausagiert werden.

Man könnte dem Film also seine blinde Gefolgschaft mit der Vorlage vorwerfen, so bemüht "literarisch" geht er vor. Andererseits kann man nicht umhin zu bewundern, dass es Ichikawa gelungen ist, immerhin eine Teildosis dessen, was den Murakami-Suchtstoff ausmacht, auf die Leinwand zu übertragen: Aus Schnörkellosigkeit wird Manierismus und daraus eine existenzialistische Melancholie, wie man sie sonst nur von britischen Popsongs kennt: ein flüchtiger Zustand von Glück im Unglück.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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