Ein Bärendienst

Berlinale Das Filmfestival will künftig die Aufteilung in männlich und weiblich aufgeben und einen genderneutralen Preis verleihen. Doch das stößt auf viel Kritik
Ausgabe 36/2020
Guter Wille, schlechtes Resultat – so definiert man den Bärendienst
Guter Wille, schlechtes Resultat – so definiert man den Bärendienst

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Mit dieser Art von Gegenwind hat das Berlinale-Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian sicher nicht gerechnet. Da kündigen sie ganz im Sinne von Fortschritt und Gleichberechtigung an, künftig beim Schauspiel-Bären die Aufteilung in männlich und weiblich aufzugeben und stattdessen einen genderneutralen Preis jeweils für den besten Haupt- und Nebendarsteller zu vergeben. Man wolle ein Signal setzen „für ein gendergerechteres Bewusstsein in der Filmbranche“. Und dann bilden ausgerechnet die erwarteten Kommentare die Minderheit, die darin nur die Absicht erkennen wollen, mehr Transgender- und andere nicht-binäre Personen auszuzeichnen. Stattdessen hagelte es Kritik, und zwar in harscher Form, von zwei eigentlich verbündeten Stellen. Pro Quote Film und der Bundesverband Schauspiel bezeichneten die Reform als „Feigenblatt für Innovation“ und stellten heraus, dass man mit der Neuerung den eh schon bestehenden Mangel an guten Frauenrollen und Frauengeschichten doch eher torpediere. Natürlich, Vorsicht Wortwitz, fiel auch der Begriff „Bärendienst“.

Guter Wille, schlechtes Resultat, so definiert man den Bärendienst. Aber wie nennt man das Gegenteil, das diese Art von Kritik vormacht: mit bösem Willen nur schlechte Resultate absehen zu können? In Wettquoten ausgedrückt stehen doch aber die Chancen darauf, dass bei der nächsten Berlinale zwei Männer die Schauspielpreise bekommen, gegen null. Nicht etwa wegen irgendeines Zwangs zur politischen Korrektheit, sondern weil das gegenwärtig eine Art kollektiver Wille ist. Und der kommt umso deutlicher zum Ausdruck, je weniger man ihn zwingt.

Denn die paritätische Besetzung nach männlich/weiblich gibt es bei den Schauspielpreisen vom Oscar bis zur Lola schon immer – und sie hat doch nie als Quote „gewirkt“, soll heißen, für mehr Gleichberechtigung gesorgt. Es deshalb mal anders zu probieren und statt auf Parität und Sektionen auf Universalismus zu setzen, mag zunächst kontra-intuitiv anmuten. Aber es braucht nur etwas guten Willen, und schon kommen auch die Chancen in den Blick: Statt nach traditionellem Muster auszuzeichnen, müssen Jurys künftig deutlicher Stellung beziehen: Zeichnen sie eine Frau oder einen Mann aus? Der Preis hat plötzlich mehr Gewicht – und damit werden auch die Begründungen spannender, und zugleich die Diskussionen drum herum –, was doch wieder die Sichtbarkeit, gerade auch der Probleme, erhöht. Man kann wirklich gespannt sein.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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