Ein Nazi als US-Präsident

Serien Unsere Kolumnistin wünscht sich gleich die zweite Staffel von „Plot Against America“. Spoiler-Anteil: 29%
Ausgabe 11/2020

Einer der Vorteile eines „Alternate History“-Romans sollte darin bestehen, dass er nicht von tatsächlichen Geschehnissen eingeholt werden kann. Die Nazis haben den Zweiten Weltkrieg verloren, und so gerne man im Genre Alternativgeschichte der Frage „Was wäre, wenn sie gewonnen hätten?“, nachgeht, so aufgehoben fühlt man sich doch in dem, was wirklich passiert ist. Als Philip Roth 2004 seinen Roman Verschwörung gegen Amerika herausbrachte, in dem er den Nazi-Sympathisanten Lindbergh die Präsidentschaftswahl 1940 gewinnen lässt, hatte der Autor laut eigener Aussage keine politische Parabel im Sinn. Selbst für die Bush-junior-Jahre war das eine weit hergeholte Vorstellung: dass ein populistischer Präsident, der fremde Diktatoren lobt, unverhohlen rassistische Äußerungen tätigt und eine isolationistische „America First“-Politik vertritt, gewählt werden könnte. Nun, seither scheint tatsächlich die Alternativgeschichtsschreibung einmal die Realität eingeholt zu haben.

Die politischen Figuren, die Roth in seinem Roman den kontrafaktischen Weg beschreiten lässt, hat es gegeben: Charles Lindbergh war ein Nazi-Sympathisant und zugleich „Flieger-Held“. Man muss gar nicht besonders viel Fantasie besitzen, um zu imaginieren, wie er, der jung und dynamisch den Status eines nationalen Idols innehatte, sich bei der Wahl von 1940 gegen Roosevelt hätte durchsetzen können. Roth schildert das in seinem Roman aus den Augen seines kindlichen Alter Ego: Der kleine Philip wächst in New Jersey auf, zunächst noch wohlbehütet inmitten einer jüdisch geprägten Nachbarschaft, die sich ihres Inseldaseins in einem Meer von antisemitischen Stimmungen aber ziemlich bewusst ist. Er selbst registriert mit kindlicher Überempfindsamkeit die Ängste und Verstörungen der Erwachsenen um sich herum angesichts des neuen Präsidenten, der Hitler die Hand schüttelt. Sein größerer Bruder, bereits in der Pubertät, bewundert diesen Lindbergh. Die Tante lässt sich gar mit einem Rabbi ein, der für Lindbergh Umsiedlungspläne entwickelt, die die jüdischen Amerikaner besser ins „american heartland“ integrieren sollen. Philips Vater verliert seinen Job, weil er da nicht mitmachen will. Sein Cousin setzt sich nach Kanada ab, um in den Reihen der britischen Armee gegen die Nazis zu kämpfen. Und überall, wo die Familie hingeht, mehren sich misstrauische Blicke und offene Beleidigungen ... Es ist eine düstere, aber auch sehr schlüssige Parallel-Historie, die Roth da entwickelt. Dass sie letztlich gut ausgeht, wirkte 2004 noch wie eine Verneigung vor historischen Realitäten. Seit der Wahl von Trump erscheint das Ende aber geradezu blauäugig.

Für eine Adaption in Miniserienformat sind das die besten Voraussetzungen: ein Stoff, der zwar in der Vergangenheit spielt, aber in vielem, was heute so vor sich geht, mitschwingt. Ein Stoff auch, der sich im Zusammenhang der Gegenwart noch einmal anders liest als zu seiner Entstehungszeit vor – heute so weit weg erscheinenden! – fünfzehn Jahren. Und wenn man dann noch hört, dass mit David Simon der Mann die Adaption besorgt, der mit The Wire das Serienformat auf Literaturniveau gehoben hat – sind die Erwartungen so groß, dass sie fast zwangsläufig enttäuscht werden.

Die sechsteilige Serie, die am 16.3. auf HBO und in Deutschland auf Sky anläuft, entpuppt sich nämlich für fünf lange Folgen als überaus vorlagentreu. Da ist die sympathische Kleinfamilie der Levins; statt ausschließlich aus der Sicht des kleinen Philip zu erzählen, setzt die Serie mal Philips Bruder Sandy zentral, mal seine Tante Evelyn (Winona Ryder) und den „Mitläufer“ Rabbi Bengelsdorf (John Turturro), mal den Draufgänger-Cousin Alvin (Anthony Boyle) und dann wieder Philips besorgte Eltern (Zoe Kazan und Morgan Spector). Der Plot ist in guter Verkürzung auf den Punkt gebracht, bestens gespielt von einem bis in die Nebenrollen hinein fein besetzten Ensemble, und überhaupt ist alles wohl hinreichend faszinierend. Wer den Roman gelesen hat, wird wie üblich hin und wieder enttäuscht sein über das, was alles nicht vorkommt – bis zur sechsten Folge, die doch endlich ausschert aus der Romantreue und einiges anders macht. Das ist dann auf einmal so elektrisierend und schließt so unmittelbar an die Gegenwart an, dass man sich augenblicklich die zweite Staffel herbeiwünscht, die von den Nachwehen und Langfolgen einer solchen Lindbergh-Präsidentschaft handeln würde.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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