Ein Traum von einem Kampf

Namenloses Heldentum Zhang Yimous "Hero" ist ein cineastisches Traktat über das Wesen des Kampfsports und dessen ultimatives Ziel, die Gewaltlosigkeit

Ang Lees Kunstversion eines Martial-Arts-Films, Crouching Tiger, Hidden Dragon war 2001 mit zehn Nominierungen und vier gewonnenen Oscars der große Überraschungserfolg. Was sich unter anderem darin zeigte, dass Oscar-Host Steve Martin den Film mit eigenen Witzen ehrte. Wo denn bloß die Tiger und Drachen gewesen wären, habe er sich gefragt - und erst im Nachhinein verstanden: "They were crouching and hiding!" Eine ähnliche Reaktion kann man sich auch gut für Hero vorstellen. Der titelgebende Held nämlich ist "namenlos" und wird am Ende gerade deswegen zum Helden, weil er etwas nicht tut. Im Gegensatz zu den reinen Genrefilmen mit ihren plakativen Titeln scheint man beim Zusammenschluss von Arthouse und Martial Arts darauf hinweisen zu wollen, dass im Kino oft gerade das, was man nicht sieht, wichtig wird.

Dabei hat Hero, in dem der Star des chinesichen Autorenkinos, Zhang Yimou erstmals mit dem Star des asiatischen Action-Kinos, Jet Li zusammenarbeitet, wahrlich genug an Schauwerten zu bieten. Der, wie es heißt, bislang teuerste jemals in China gedrehte Film stieg dort mit Rekordbesuchen nicht nur zu einem der erfolgreichsten Filme der letzten 50 Jahre auf; er löste darüber hinaus eine veritable Geschichtsdebatte aus. Man warf dem Regisseur vor, einen der brutalsten und skrupellosesten Herrscher Chinas in einseitig-positivem Licht zu zeigen und damit gar implizit das Massaker auf dem Tiananmen-Platz zu rechtfertigen. Den vor allem im Internet erbittert geführten Diskussionen hält Zhang Yimou nicht ohne Stolz über die große Aufmerksamkeit entgegen, er habe keinen historischen, sondern einen poetischen Film drehen wollen. Was die Vorwürfe nicht wirklich entkräftet. Wo man eigentlich erwartet hatte, die Genrefans würden sich darüber beklagen, dass die Kampfszenen bei Zhang Yimou zu wenig direkt, zu artistisch wären, stößt man also paradoxerweise auf den Tadel, die Poetik des Films sei zu martialisch.

In der Rahmenhandlung von Hero empfängt der König von Qin (Chen Dao Ming) den "Namenlosen" (Jet Li), einen kleinen Beamten aus der Provinz, der von sich behauptet, die drei ärgsten Feinde des Königs besiegt zu haben. Zum Beweis legt er deren Schwerter vor; zur Belohnung darf er sich dem König schließlich bis auf zehn Schritt nähern und erzählen, wie es dazu kam. Doch seiner Schilderung, wie er zuerst Sky (Donnie Yen) im Schwertkampf und anschließend Flying Snow (Maggie Cheung) und Broken Arrow (Tony Leung) durch eine Eifersuchtsintrige überwältigte, schenkt der König überraschender Weise keinen Glauben. Zug um Zug lässt sich der Namenlose daraufhin die "wahre" Geschichte entlocken - in einer Serie von Rückblenden, die jeweils ihren eigenen thematischen Farbton haben, rot, blau, grün, weiß. Wer die eigentlichen Helden und wer die eigentlichen Opfern der Geschichte sind, ob es besser ist, für die Liebe, für die Rache oder für das Vaterland zu sterben, all das wird in verschiedenen Nuancen und spektakulären Landschaften aufgefächert.

Wo die Kampfszenen in Ang Lees Tiger Dragon noch einen dramaturgischen Selbstzweck erfüllten und mit Spannung zu verfolgende Duelle waren, versucht Zhang Yimou mit ausgetüftelter Choreographie und sehr viel Slow Motion das Genre zu durchdringen, es so weit zu überhöhen, bis eine Art Essenz zum Vorschein kommt. Tatsächlich dient ihm das historische Setting lediglich als Hintergrund für einen Metafilm über das Wesen des Kampfsports, dessen höchstes Ideal die Überwindung des Kampfes, der Frieden ist.

In der Kalligraphie eines der Attentäter erkennt der König und spätere erste Kaiser von China nämlich genau das als ultimatives Ziel des Schwertkampfes: Zuerst gelte es, eins zu werden mit der Waffe, dann, sie aus der Hand zu legen und nur noch im Herzen zu tragen, und dann, sie aus dem Herzen ganz zu verbannen. In seinen langsamen und opulenten Bildern setzt Zhang Yimou dieses Ideal mit cineastischer Leidenschaft um. Fast friert er die kämpfenden Körper in der Bewegung ein - wir sehen in provozierender Langsamkeit Jet Li unter Regentropfen hindurch rennen, also sich schneller als das fallende Wasser bewegen -, nimmt den physischen Elan heraus, bis so etwas wie eine rein spirituelle Energie übrig bleibt. An einer der schönsten Stellen des Films bekämpfen sich Nameless und Sky bei geschlossenen Augen allein in der gegenseitiger Imagination!

In analogem Umkehrschluss zu diesem Ideal stellt Zhang Yimou jedoch an entscheidender Stelle das Genre auf den Kopf. Ist in den Shaolin-Filmen das Kloster meist ein Hort des Widerstands gegen fremde Besatzer, die Kampfkunst der Mönche folglich eine Technik der Subversion, handelt Hero in letzter Konsequenz von der Indienstnahme dieses geheimen und zugleich populären Wissens für die eine, große Macht. Einer Jesus-Gestalt nicht unähnlich - in einer atemberaubenden Szene kämpft er über den Wassern, als wäre es ein Element, an dem man sich abstoßen könnte! -, versucht der "Namenlose" ein Ende der Gewalt durch eine letzte Gewalttat herbeizuführen. Er wird dabei zum reinen - namenlosen - Instrument, ob der Macht oder des Friedens, ist im Film letztlich nicht zu sehen.

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