Einbruch des Gestern

Was läuft Barbara Schweizerhof über „Crisis in Six Scenes“, „Westworld“ und stereotype Zeitkritik. Spoiler-Anteil: 6 Prozent
Ausgabe 41/2016

Dass Woody Allen mit 80 Jahren noch „sein Ding“ machen wird, das muss einst so undenkbar erschienen sein wie die Vorstellung, dass die Rolling Stones mit Mitte 70 noch auf Tour gehen. Tatsächlich wirkt Crisis in Six Scenes, die sechsteilige Serie, die Allen für Amazon realisiert hat, in etwa so aus der Zeit gefallen wie die runzelgesichtigen Stones beim (I Can’t Get No) Satisfaction-Singen. Was nicht nur daran liegt, dass Crisis in den 60ern spielt, holt Allen doch in der Hauptrolle seine Leinwandpersona des neurotischen, händeringenden New Yorkers aus dem Ruhestand und stellt sich die wunderbare Elaine May (84) als leicht spinnerte Intellektuelle an die Seite. Zusammen erleiden sie in Crisis als Middle-Class-Ehepaar den Einbruch der radikalen Ideen von Mao und Marx in ihr beschauliches Leben.

Es beginnt mit einem tatsächlichen Einbruch: Ein mit Parka bekleideter Arm und ein Revolver verschaffen sich Eintritt in das Häuschen von Kay (May) und Sidney Munzinger (Allen). Revolver, Parka und Arm gehören zu Lenny (Miley Cirus), die sich nach einem Attentat auf ein Einberufungsbüro gerade den Weg aus dem Gefängnis freigeschossen hat und nun Unterschlupf braucht, bis ihre Flucht nach Kuba organisiert ist. Während sie sich zum Leidwesen von Sidney über dessen Shrimp-Vorräte hermacht, deutet sie mit Mao- und Castro-Zitaten die Verfehlungen des kapitalistischen Systems aus. Kays und Sidneys Hausgast Alan (John Magaro), ein angehender Investment-Banker mit reizender Verlobter in Wartestellung, verfällt ihr augenblicklich. Auch Kay, so rational wie begeisterungsfähig, beginnt mit der Lektüre der „Bibel“ des Großen Vorsitzenden und setzt sie auf die Leseliste ihres Buchklubs. Die älteren Damen haben wiederum keinerlei Problem damit, ihre erlittenen Demütigungen beim Schuhkauf in Manhattan mitfühlend mit dem Leid der Dritten Welt in Verbindung zu setzen. Aktionen werden geplant, BH-Verbrennungen inklusive. Einzig Sidney bleibt skeptisch.

Crisis in Six Scenes sind sechs jeweils knapp 25-minütige Episoden, die sich am Stück gesehen nur wenig vom durchschnittlichen Woody-Allen-Film der letzten Jahre unterscheiden. Dialoglastig mäandert die Handlung dahin, bis es in den letzten zwei Folgen zur köstlichen, farce-haften Zuspitzung kommt. Man erkennt viele typische Allen-Elemente wieder, nicht zuletzt darin, dass der große Sex-Appeal der jungen Frau nicht in körperlichen Attributen, sondern ihrem Intellekt liegt. Wer genau hinhört, wird ein paar herrliche Perlen im anspielungsreichen Dialog entdecken.

Zwar kommt Allens Urteil über eine Zeit, die er in ihrer „Krisenhaftigkeit“ durchaus mit der Gegenwart vergleicht, sehr milde daher. Seine verständnisvoll-humoristische Darstellung des narzisstischen Flirts mit radikalen Ideen besitzt aber auch einen immunisierenden Effekt: Man erkennt die Stereotypie der damaligen Zeitkritik.

Als dystopischer Film über die Neigung der Konsumgesellschaft, sich zu Tode zu amüsieren, machte Westworld 1973 Furore, weshalb er gutes Anschauungsmaterial für besagte stereotypische Zeitkritik bietet. Dass HBO den Stoff nun zur Serie entwickeln ließ, lässt sich unter anderem als Beleg dafür lesen, dass die Angst vor der Macht der Roboter mit der Aussicht auf selbstfahrende Autos eine Wiederbelebung erfährt. Ob Westworld wie erhofft die HBO-Bilanzen für die Zeit nach Game of Thrones retten wird, ist noch nicht abzusehen, aber der Anfang scheint vielversprechend.

Suggestiv verknüpfen die Serien-Macher die drei konkurrierenden Weltsichten in ihrer Westworld, einem Themenpark für Menschen, die gern mal im Saloon losballern wollen. Der Einstieg in die Erzählung erfolgt raffinierterweise über die „Roboter“, die auf diese Weise als Charaktere etabliert sind, bevor man ihre „Unmenschlichkeit“ richtig bemerkt. Fast schablonenhaft setzen sich davon die „Gäste“ ab mit ihrer Lust am Erlebnis und an der Überschreitung. Auf der dritten Ebene, der der „gottgleichen“ Schöpfer beziehungsweise Betreiber des Parks, sinniert Anthony Hopkins über das Menschsein. Jurassic Park meets A.I. meets Lost – was sich andeutet in den ersten Westworld-Folgen, scheint nicht nur die bewährte Science-Fiction-Auseinandersetzung mit der Hybris des Menschen, sondern eine spannende Erkundung über die Implikationen des Gedächtnisses und der Träume und darüber, was fortwährender Missbrauch und Ohnmacht mit der Psyche, ob künstlich oder nicht, macht.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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