Eine Münze für den Gamer

Serie Unsere Kolumnistin findet: In Netflix’ „The Witcher“ muss man sich einfach hineinwerfen. Spoiler-Anteil: 11%
Ausgabe 02/2020

Viel cooler wäre es natürlich, wenn man ohne Vergleich zu Game of Thrones auskäme. Aber da er so unvermeidlich scheint wie Trump in den Nachrichten, sei vorausgeschickt: The Witcher ist ganz anders als Game of Thrones. Zwar gibt es auch hier Drachen, die Feuer speien, und Frauen, die zaubern können, auch hier ist das Setting ein Märchen-Mittelalter mit pittoresken Burgen und machthungrigen Clans. Aber damit haben sich die Ähnlichkeiten auch erschöpft. Allein diese Entdeckung ist eines der großen Vergnügen, die man an der neuen Netflix-Serie haben kann.

Das „andere“ von The Witcher beginnt bei der „origin story“, wohlgemerkt nicht der Figuren, sondern der Serie. Die literarische Vorlage, eine Reihe von Kurzgeschichten und Romanen des polnischen Schriftstellers Andrzej Sapkowski, war in ihren Anfangskapiteln schon veröffentlicht, bevor George R. R. Martin sein Lied von Eis und Feuer begann. In den 1990er Jahren wurde der Witcher-Stoff mehrfach für Graphic Novels und diverse Spielformen adaptiert, Anfang der 2000er gab es auch schon einen polnischen Film und eine Serie. Endgültig zum profitstarken IP („intellectual property“) wurde der weißhaarige Monsterjäger mit dem Schwert auf dem Rücken dank des 2007 veröffentlichten Computerspiels The Witcher, dessen dritte Edition von 2015 in der Games-Welt das Äquivalent eines Blockbusters bildete. Alles in allem ist es eine Herkunftsgeschichte, die in der Kulturkritik bestenfalls mit ironischer Distanz betrachtet wird. Graphic Novels immerhin, der Begriff ist Zeuge, sind mittlerweile gentrifiziertes Terrain, aber Filmadaptionen aus Computerspielen gelten immer noch als sicheres Zeichen des kulturellen Untergangs im Abendland. In dieser Logik sind die deutlichen Bezüge, die die Serie zum Videogame herstellt, lediglich Fan-Service und Verkaufsstrategie, verschlimmert durch den Erfolg, den das Ganze offenbar hatte: Obwohl nur zehn Tage vor Jahresende online gestellt, stieg The Witcher prompt zu einer der meistgesehenen Serien von 2019 auf.

Nun steht nicht jedem der Sinn nach Schwertkämpfen und Prinzessinnen, aber man muss kein Fantasy-Fan sein, um The Witcher etwas abgewinnen zu können. Es reicht die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, und zwar sowohl auf eine andere Welt als auch eine andere Erzählform.

Am besten, man wirft sich einfach hinein. Wie auf einer Zeitreise erschließt sich dabei nach und nach, wo genau man sich befindet und welche Regeln in dieser Welt gelten, die industrietechnisch im Mittelalter, mit ihrem geistigen Überbau aber in jenem Olymp steckt, wo die Brüder Grimm mit J. R. R. Tolkien Tee trinken, während sich im Hintergrund Sergio Leone und John Ford zuprosten. Tatsächlich beginnt The Witcher wie ein Western: Ein einsamer Reiter kehrt nach einem Duell in der Wildnis ein zwischen niedrigen Hütten und schlammigen Wegen. Die Einheimischen begegnen dem Fremden mit Misstrauen und Abneigung; lediglich eine forsche junge Frau springt ihm bei, aber auch deren Motive scheinen nicht nur freundlich ...

Die ersten Dialoge klingen für den Nichteingeweihten nach reinem Kauderwelsch, wobei die Ortsnamen wie Nilfgaard und Cintra noch das Einprägsamste sind. Was es etwa mit dem „Gesetz der Überraschung“ auf sich hat, erschließt sich erst später. Genauso wie die eigentümliche Zeitstruktur, die Serien-Autorin Lauren Schmidt Hissrich für ihre Adaption gewählt hat: Zwar wird in jeder Folge vom Witcher und von den beiden Frauen erzählt, die sein Schicksal bestimmen, der Zauberin Yennefer und der flüchtigen Thronfolgerin Ciri, aber nicht immer spielen die Ereignisse zur selben Zeit.

Dabei ist The Witcher keine Rätselbox-Serie à la Westworld, für deren Verständnis man recherchieren muss; es reicht das einigermaßen aufmerksame Zuschauen, um langsam, aber sicher in den Bann einer Welt zu geraten, in der Parodie und Pathos, billiger Horror und dunkle Romantik sich überraschend dünkellos begegnen. Man könnte auch sagen: spielerisch, denn tatsächlich gibt das Computerspiel den durchaus angenehmen, an Stationen orientierten Erzählmodus vor. Henry Cavill, selbst bekennender Spiele-Fan, legt seine Interpretation des Monsterjägers dazu noch so kongenial als einsilbige Gamer-Figur an, dass man dessen markante Äußerungen bald reflexhaft mitspricht: Sie lauten „Hhmm“ und „Fuck“. Und sind in dieser Knappheit absolut zeitgemäß.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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