Ende gut, alles gut?

52. Filmfestival Mannheim-Heidelberg Newcomer-Filme aus der ganzen Welt versuchen sich an der Revolutionierung des herkömmlichen Zuschauergeschmacks

Schon wieder ein Film-Festival? Von allen Film-Festivals, deren Gründung sich in der Tat häuft, hat das altehrwürdige Mannheim ein solches Abwinken fast am wenigsten verdient. Nicht nur, dass es mit seiner diesjährigen 52. Ausgabe zu den ältesten der Bundesrepublik gehört und im übrigen seit 10 Jahren in einmaliger Weise von zwei Städten, nämlich Mannheim und Heidelberg getragen wird. Nein, vor allem deswegen, weil hier nahezu unbeirrt genau das gemacht wird, was all jene Kulturpessimisten, die mit dem Stichwort "Schwarzenegger" den neuerlichen Untergang des Abendlandes für beschrieben halten, ständig einklagen: In Mannheim-Heidelberg wird jedes Jahr aufs Neue gegen die Beliebigkeit des Kommerzkinos, gegen den Mainstream demonstriert, hier versucht man, jenen Filmen und Filmemachern zum Durchbruch zu verhelfen, die auf dem zunehmend von US-Ware monopolisierten Kinomarkt immer weniger eine Chance haben.

"Arthouse" heißt das Zauberwort, hinter dem sich all jene sammeln, die Film als Kunst und nicht nur als Business pflegen wollen. Diese etwas grobe Aufteilung in "gutes" und "böses" Kino nimmt man für die Festivaldauer gerne in Kauf, zumal es sich die Verantwortlichen unter der Leitung von Dr. Michael Koetz wahrlich nicht einfach machen und auch noch, statt die bereits etablierten Arthouse-Filme aus Cannes, Berlin oder Venedig nachzuspielen, eigensinnig darauf beharren, ausschließlich Entdeckungen, mithin ein "Festival für Newcomer" zu präsentieren. Weil aber die großen Festivals genau so scharf darauf sind, die Fellinis, Fassbinders oder Kitanos der Zukunft vorzustellen, erinnert dieses vollmundige Ansinnen ein wenig an die Kriegserklärung aus Peter Sellers´ Satire Die Maus, die brüllte, in dem ein mit drei Mann besetztes Ruderboot sich anschickt, Amerikas Küste zu belagern: So übergroß die Ambitionen auch erscheinen, den Zuschauern bereiten sie viel Vergnügen.

Zumal das Festival seine Ansprüche durch intensive Tätigkeit in zwei Richtungen untermauert. Die eine ist für Zuschauer und Kritiker nahezu unsichtbar - mit stetig zunehmendem Erfolg bringt Mannheim seit Jahren in den Hinterzimmern des Festivals Produzenten und Regisseure zusammen. Bereits 40 Filme sind aus diesen Mannheim-Meetings entstanden und dementsprechend begehrt sind die Einladungen zur Projektvorstellung bei jungen Filmemachern aus aller Welt. Etwas ähnliches versucht man nun auch für den Bereich der Vermarktung zu etablieren: Nämlich gezielt europäische Verleiher einzuladen, die sich für die gezeigten Filme interessieren könnten und im Idealfall zu einer Kooperation zusammenfinden, um zum Beispiel einem finnischen Film in Frankreich, Italien und Ungarn den Vertrieb zu ermöglichen. Denn genau hier verbirgt sich ein gemeinsames Strukturproblem der europäischen Filmproduktion: In den Nachbarländern kommen die Filme kaum mehr ins Kino. So gehen beispielsweise die Marktanteile der italienischen oder französischen Filme, die bis in die 80er Jahre hinein in Deutschland beachtlich waren, stetig zurück. Um den finanzkräftigen Werbestrategien der US-Produktionen aber etwas entgegen zu setzen, braucht es genau solche gesamteuropäische Anstrengungen, die die Nachteile des europäischen Marktes, seine Kleinteiligkeit und Vielsprachigkeit, in Vorteile - der verbreitete Kunstgeschmack in old europe! - umzumünzen versteht.

Auf einer festivalbegleitenden Tagung über Die Kunst des Verleihs wurde das Thema kontrovers diskutiert und die Überlebenschancen des Arthouse-Genres ganz unterschiedlich eingeschätzt. Zunehmend machtlos sieht man sich den Vermarktungsmaschinerien aus Hollywood gegenüber, denen es gelingt, ihre standardisierte Serien-Produktion immer wieder als "Event" zu verkaufen. Dass auch Arthouse-Filme zum Ereignis werden können, zeigt nicht zuletzt ein Festival wie Mannheim, das jedes Jahr mehr Zuschauer anzieht. Und nicht umsonst plädierte Festivalleiter Koetz in seinem Statement dafür, wieder mehr Vertrauen ins Publikum zu setzen. Die Festivalbesucher schauten sich die unbekannten Filme der Newcomer zwar auch an, weil der Festivalrahmen ihnen einen "Event" suggeriert; das sei jedoch nicht der einzige Grund; das Interesse an Geschichten und Stoffen, die abseits des Mainstreams liegen, ist groß und muss gepflegt werden - unter anderem durch längere Laufzeiten in den Kinos, die den Filmen die Chance geben, sich herumzusprechen.

In der Tat überrascht die Bereitschaft der Zuschauer in Mannheim und Heidelberg, sich in so großer Zahl auf Filme einzulassen, von denen sie zuvor noch nie etwas gehört haben, von denen sie allenfalls wissen, dass sie eine Herausforderung an die gängigen Sehgewohnheiten darstellen, und mithin genau das tun, was Quotenjäger und Kassenstrategen im Filmgeschäft tunlichst vermeiden: Sie sind langsam, haben schwere Themen und gehen meistens nicht gut aus!

Wobei so ganz die Geschmacksrevolution auch hier nicht gelingen will: Wie auf vielen Festivals wird auch in Mannheim-Heidelberg ein Publikumspreis ausgelobt, der durch Zuschauerabstimmung ermittelt wird. Er stellt einen zuverlässigen Indikator dafür, dass das Publikum am Ende dann doch jene kleinen Filme am meisten liebt, die die Rezeptur der großen geschickt kopieren. So standen in diesem Jahr in der Zuschauergunst ganz oben: Der schwedische Miffo, in dem ein junger Priester sich in eine - attraktive - Rollstuhlfahrerin verliebt; mit viel Sinn für Humor erzählt folgt er doch der aus zahlreichen Komödien vertrauten Dramaturgie der Überraschung vor dem Traualtar. Im Grunde ganz ähnlich der chilenische Sabado: Hier erfährt die Braut am Morgen der Trauung von der Untreue ihres Zukünftigen und zieht mit der Videokamera los, um ihm die Leviten zu lesen. Zum Teil Improvisationstheater, zum Teil Doku-Soap bestach auch dieser Film durch seine Selbstironie. Ein Zug, der ebenso die fünf skeptisch-kauzigen Männer in der uruguayischen Reise ans Meer auszeichnet, einem launigen südamerikanischen Roadmovie und weiteren Publikumsliebling. Den Preis erhielt aber schließlich der österreichische Film Donau, Dunaj, Duna, wobei es die Starbesetzung gewesen sein dürfte, die honoriert wurde; spielt doch Altstar Otto Sanders an der Seite von Jungidol Robert Stadlober.

Auch das kunstsinnige und weltoffene Publikum in Mannheim bestätigt auf diese Weise ein ehernes Hollywood-Gesetz: Filme brauchen ein Happy-End, um anzukommen. Für Jury-Entscheidungen gilt da eher das Gegenteil: Der mit dem Hauptpreis ausgezeichnete koreanische Film Plastic Tree geht alles andere als gut aus: Dem prekären Dreiecksverhältnis aus sexuellen Abhängigkeit und Verstrickung fällt schließlich die Frau zum Opfer. Doch wie im japanischen Vibrator ist es die lakonische Direktheit und der umstandlose Blick auf die Geschlechterverhältnisse, die diese leisen Tragödien zu faszinierenden Seelenstudien machen.

Zwischen den gegensätzlichen Geschmackspolen von Jury und Publikum waren dazu noch eine ganze Reihe unterschiedliche Entdeckungen zu machen: Filme wie die italienischen Giovani und Fate come noi, die mit lokaler Verhaftung und großer Nähe zu ihren jugendlichen Protagonisten erzählen und mit der Haltung gewollter Anti-Künstlichkeit sich sehr kunstvoll an Alltagsgeschichten herantasten. Oder Filme wie Mille Soya aus Sri Lanka, der amateurhaft, aber mit ausgestelltem Hang zum Genrekino von jener Generation dort erzählt, die mit Popkultur aufwuchs und vom Geld verdienen in Italien träumt. Dem dort dargestellten riskanten Menschenschmugglerweg in die Festung Europa hinein begegnete man im bulgarischen Film Unter demselben Himmel wieder - Festivals wie Mannheim dienen nicht nur dazu, etwas übers Filmemachen selbst zu lernen, zu sehen, wie sich die Spur der großen Vorbilder wie Lars von Trier und David Lynch in Estland und in Kanada manifestieren, sondern vor allem auch dazu, etwas über die entlegeneren Ecken der Welt zu erfahren.

So gab es denn einen Film, der in jeder Vorstellung ausverkauft war, obwohl auch er alles andere als ein Happy-End hat: Sieben Tage, sieben Nächte aus Kuba. "Illegal", soll heißen: ohne Genehmigungen auf den Straßen und der Umgebung Havannas gedreht, verfolgt der Film drei Frauen in aussichtsloser Lebenssituation. Die eine hat gerade einen Selbstmordversuch hinter sich, die zweite verliert ihren Job und wird von der Mutter aus der Wohnung geschmissen, die dritte hat ihr Kind durch die eigene HIV-Erkrankung "umgebracht". Die Frustration der Frauen geht so tief, dass sie sogar zur gegenseitigen Sympathie geschweige denn Solidarität unfähig sind. In gehässigen Tiraden üben sie sich in einem letzten Rest von trotziger Selbstbehauptung. Alles andere als ein Feelgood-Movie zeigte das rege Zuschauerinteresse gerade an diesem Film, dass das Kino für den Hunger nach Weltwissen eine unersetzliche Quelle ist.


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