Etwas ist anders

Im Kino "L´auberge espagnol - Wiedersehen in Sankt Petersburg" von Cedric Klapisch versetzt die ehemaligen Erasmus-Studenten ins erwachsene Berufs- und Liebesleben

L´auberge espagnol lautete der Originaltitel des Films Barcelona für ein Jahr, der vor drei Jahren ein kleiner gesamt-europäischer Hit war. Unter dem Titel Les poupées russes (gemeint sind jene "russischen Puppen", die man ineinander stecken kann und die auf Deutsch wie auf Russisch "Matroschkas" genannt werden) hat Cedric Klapisch nun eine Fortsetzung gedreht. Der deutsche Verleihtitel müsste also eigentlich Ein Jahr in Barcelona - Wiedersehen in Sankt Petersburg lauten, aber das klang den Zuständigen offenbar nicht gut genug.

Wiedersehen in Sankt Petersburg gehört eindeutig zu den Filmen, bei denen sich das Vergnügen steigert, wenn man den Vorläufer kennt. Zumal es sich bei Ein Jahr in Barcelona um einen der charmantesten Filme der letzten Jahre handelte. Er zeigte etwas, das sonst in der Kultur noch kaum dargestellt war, aber für eine Studentengeneration bereits zum Alltag gehört: Europa als eine Art Babylon nach gescheitertem Turmbau, in dem das gegenseitige Kennenlernen zum Fulltimejob wird. Der von Romain Duris gespielte Franzose Xavier auf Erasmus-Studien in Barcelona gab einem Lebensgefühl der Unübersichtlichkeit Ausdruck, das der Vielzahl an Möglichkeiten immer unsicher, aber interessiert gegenübertritt. Der Film verklärte mit wunderbarer Ironie jenes Europa, in dem Italiener deutsch und Franzosen spanisch lernen, um sich dann über ihre jeweiligen Erfahrungen in gebrochenem Englisch auszutauschen. "Erasmüs" wurde danach zum Zauberwort.

Eine meiner Lieblingsszenen war die, in der der kleine Bruder der Britin Wendy nach Barcelona in die WG auf Besuch kommt. Die erste Überraschung dabei ist, dass er gar nicht so klein ist; die zweite, dass er doch noch recht kindlich-ungeschliffene Manieren hat. Dieser William also, der momentweise das nationale Stereotyp des prolligen englischen Hooligans erfüllt, tritt gelangweilt zum deutschen WG-Mitglied Tobias (Barnaby Metschurat) ins Zimmer mit der vermeintlich unschuldigen Bemerkung "Bei dir ist es aber ordentlich". Dann nuschelt er irgendwas von "typisch deutsch" und zwei Sätze später sind sie bei Hitler und gehen sich gegenseitig an die Gurgel. Es ist eine sehr lustige Szene.

Meine Lieblingsstelle in der Fortsetzung knüpft direkt daran an. Sie kommt im letzten Drittel dieses Films vor, von dem einige sagen, er sei zu lang - andere genießen einfach jede Minute, die sie mit den ihnen ans Herz gewachsenen Figuren verbringen können. Ich fasse schnell die Handlung bis dahin zusammen: Xavier (wieder gespielt von Romain Duris) verdient sich in Paris mit diversen Autorenjobs sein Geld. Als die TV-Soap, für die er schreibt, ihre Produktion nach Großbritannien verlegt, behauptet er kühn, auch auf englisch arbeiten zu können. Um das wahr zu machen, muss er schließlich auf die Hilfe seiner früheren WG-Partnerin Wendy, die mittlerweile in London Autorin ist, zurückgreifen. Von da ab fährt er mit dem Eurostar unter dem Kanal hin und her und es ist schön, dass man das mal im Film sieht. Sowohl Xavier als auch Wendy haben den richtigen Partner noch nicht gefunden und weil sie sowieso kitschige Liebesszenen zu Papier bringen müssen, tauschen sie sich über ihre bisherigen schlechten Erfahrungen aus und kommen sich näher. Aber dann fällt Xavier die Entscheidung zu schwer. Während Wendy und er sich missverstehen und zurückweichen und herumlavieren, erlebt Wendys nervtötender Bruder William etwas Magisches: Er begegnet einer russischen Balletttänzerin und verliebt sich so unsterblich, dass er ein Jahr Russisch lernt, um derart präpariert nach Petersburg zu reisen und seiner Natascha einen Heiratsantrag zu machen. Sie nimmt an und zur Hochzeit wird die Barcelona-WG eingeladen. Nun zu meiner Lieblingsstelle: Auf der Feier kommt Barnaby Metschurat als Deutscher Tobias zu seinem leider einzigen Auftritt in diesem Film. Er hält eine kleine Ansprache und erzählt der in Petersburg versammelten Festgemeinde aus ganz Europa, dass er und William sich bei der ersten Begegnung nicht besonders mochten. Dann fasst er bündig die gesamtpolitische Entwicklung der letzten 15 Jahre zusammen: Russland habe sich verändert, Deutschland habe sich verändert, und nun habe sich eben auch William verändert. Und irgendwas an diesem bündigen Kurzschluss von historischer und persönlicher Entwicklung wirkt ungeheuer rührend.

Ich fürchte, der unbedarfte Leser dieser Zeilen wird das vielleicht nicht ganz nachvollziehen können. Wahrscheinlich muss man einfach den Film gesehen haben; am besten aber beide.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden