Ferien mit Todesfall

Satire Die Serie „The White Lotus“ schickt Reiche in den Urlaub. Einer von ihnen wird nicht zurückkehren
Ausgabe 28/2021

Eigentlich liegt alles so klar auf der Hand, dass es schon schwierig ist, daraus eine Satire zu machen: Die einen sind schon aufgrund ihrer Hautfarbe privilegiert; Geld und sozialer Status erweisen sich als so schlagende Faktoren, dass ein selbstkritisches Bewusstsein nicht ausreicht, um ihre Wirkung zu neutralisieren. Im Gegenteil, oft genug erweist sich das nur als ein weiteres Privileg: über die eigene Privilegiertheit stöhnen zu dürfen.

The White Lotus heißt die fiktive Ferienanlage auf Hawaii, in der die gleichnamige Miniserie spielt. Es versteht sich von selbst, dass hier vor allem Privilegierte ihren Urlaub verbringen. Und „privilegiert“ heißt in dieser Ecke der Welt, den Vereinigten Staaten von Amerika, nun mal, dass sie überwiegend weiß sind.

Auf einem Boot setzen sie über, das frisch verheiratete Paar Rachel (Alexandra Daddario) und Shane (Jake Lacy), die um ihre verstorbene Mutter trauernde Alkoholikerin Tanya (Jennifer Coolidge) und die Tech-Unternehmerin Nicole Mossbacher (Connie Britton) mit Ehemann Mark (Steve Zahn), dem pubertierenden Sohn Quinn (Fred Hechinger) und der woken College-Tochter Olivia (Sydney Sweeney) samt Schulfreundin Paula (Brittany O’Grady). Ein Teil der Angestellten hat sich unter Anweisung des Anlagenchefs Armond (Murray Bartlett) aufgestellt, um die Gäste winkend zu empfangen. Die Geste erinnert an altenglische Adelsbräuche, wie man sie aus Downton Abbey kennt, auch wenn sie als Anschluss an die hawaiianische Willkommenskultur gedacht sein mag.

Eine der Figuren, die man gerade kennenlernt, wird den Urlaub nicht lebend überstehen; das machte die vorgeschaltete Szene deutlich, in der man sah, wie ein Sarg in ein Flugzeug geladen wurde. Es ist ein neuerdings fast zu oft angewandter Trick, um die Aufmerksamkeit zu gewinnen: Gefühlt jeder zweite Film und fast jede Serie nimmt den Krisenpunkt zum Auftakt und erzählt dann die Vorgeschichte dazu. Im Fall von The White Lotus aber ist es mehr als nur ein spannungssteigerndes Element. Die Neugier darauf, „wen es erwischen wird“, verändert den Blick auf die Figuren, macht uns als Zuschauer von Anfang an ein wenig zynisch.

Wen soll es erwischen?

Fällt es noch leicht, jemanden wie Shane, der sich als verwöhntes Muttersöhnchen entpuppt, den frühen Tod zu gönnen, hat man unweigerlich zwiespältigere Gefühle, wenn es um die scharfzüngige Nervensäge Olivia oder um die ebenfalls die Geduld strapazierende Tanya geht. In beiden meint man zugleich eine Unschuld zu erkennen, die sie rehabilitiert. Und dabei merkt man, dass die Methode des Vom-Ende-her-Erzählens noch einen anderen Effekt hat: Sie stiftet an zur Selbstbeobachtung. Mit Staunen erkennt man, wie wankelmütig man mal der einen, mal der anderen Person den Tod an den Hals wünscht.

Was sich über die sechs Folgen von The White Lotus entfaltet, ist ein Drama, dessen Humor anders funktioniert, als man es gewohnt ist. Nicht über Pointen, nicht mit Überraschung, sondern mehr wie etwas, das durch die Ritzen und Lücken der Erzählung eindringt. Tatsächlich lacht man weniger über einzelne Figuren als über die scheiternden Konstellationen des Begehrens, die sich an einem Urlaubsort wie diesem ergeben. Denn die Bedürftigkeit ist das, was übrig bleibt, wenn Menschen ihr Arbeits- und Alltagsleben unterbrechen, um „Ferien zu machen“. Weshalb die Nerven auch so schnell blank liegen, kaum dass ein Wunsch nicht in Erfüllung geht.

Das Timing der Serie ist zu Anfang geradezu feriengemäß langsam. In der Familie der Mossbachers streiten sich die Kinder: College-Girl Olivia möchte ihren kleinen Bruder nicht am Hals haben, sie und Paula irritieren ihre Umwelt mit bösen Blicken und verächtlichem Kichern. Ehemann Mark fürchtet, Krebs zu haben, erfährt dann aber von einer Diagnose, die ihn fast mehr umhaut. Die Jungvermählten Rachel und Shane, er ein reicher Schnösel, sie eine anlehnungsbedürftige Journalistin, die es im Beruf noch zu nichts gebracht hat, scheinen zunächst so gut zueinander zu passen, aber es mehren sich die Momente, in denen Rachel Zweifel bekommt. Die trauernde, mittelalte Tanya unterdessen ist ein wandelndes Nervenbündel, ständig auf der Suche nach Anschluss und Zuspruch.

Nur langsam spitzt sich die Lage zu: Was mit einer kleinen Enttäuschung begann –Shane und Rachel bekamen nicht die gebuchte Flitterwochen-Suite –, artet nach und nach in ein echtes Männerduell zwischen Shane und Anlagenchef Armond aus. Vordergründig geht es Shane darum, „das Richtige für sein Geld“ zu kriegen, während sein Gegenspieler Armond wiederum Wert darauf legt, eigene Fehler von nicht allzu triftiger Konsequenz nicht offen zugeben zu müssen. Hinter seinem stählernen Lächeln tritt mehr und mehr ein fragiler Seelenzustand zutage, während sich umgekehrt Shanes Upperclass-Benimm als bloßer Firnis für ein atavistisches Verlangen nach Respekt und Rache erweist.

Autor und Regisseur der HBO-Serie ist Mike White, der eine Karriere als Nebendarsteller von oft sehr schüchternen, wenig aufmüpfigen Figuren hinter sich hat. Seinen Sinn für feine Satire, die die Bruchlinien von Privileg und Engagement bloßlegt, hat er vor Jahren mit der HBO-Produktion Enlightened mit Laura Dern in der Hauptrolle bewiesen. Es ist eine Art der Satire, die den Zuschauer auf krummen Wegen dazu bringt, die Dinge als solche zu erkennen und doch mitzufühlen, und zwar mit allen.

Info

The White Lotus Mike White USA 2021, 6 Folgen, Sky

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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