„Zu früh!“, möchte man dem eigenen Fernseher entgegnen, wenn er die gefühlt 231. Dokumentation zu Angela Merkel ankündigt. Wissen wir durch ihre lange Phase des Abschieds nicht schon genug über sie? So viel jedenfalls, wie man über sie, die stets diskrete, überhaupt wissen kann? Und andererseits: Sind wir nicht immer noch zu dicht dran, um wirklich mehr zu wissen? Oder auch nur auf interessante Weise das, was wir wissen, infrage zu stellen? Regisseur Torsten Körner (Die Unbeugsamen, Schwarze Adler) hat sich von solch kleinmütigen Fragen nicht entmutigen lassen und präsentiert mit Angela Merkel – Im Lauf der Zeit ein dokumentarisches Porträt, das sich zumindest stilistisch von der üblichen Fernsehdoku unterscheiden will.
Die ambitionierte Idee dabei ist offenbar, dass Körners Fernsehfilm eigentlich gerne Kino wäre. Oder wie ist es zu verstehen, dass er die Titel der Kapitel, in die er sein Porträt unterteilt hat, auf den Leuchtreklamen einschlägiger Berliner Programmkinos nachbildet? Vielleicht ist es ja nur ein Tribut an die Entstehungszeit des Films, in der besagte Kinos immer wieder schließen mussten. In einem Film, der erstens über exzellentes Archivmaterial aus den vergangenen 32 Jahren und zweitens über Interviews mit Politprominenz wie Theresa May, Christine Lagarde und Barack Obama verfügt, erscheinen die ausgedehnten Sequenzen mit den Kinos als seltsame Wahl. Der Rest ist so viel spannender!
Ab und zu wird sogar Kritik laut
Denn so übersättigt von Merkel-Dokus man sich zu Beginn auch fühlte, gibt es an Körners Porträt etwas, das einen als Zuschauer*in von den ersten Aufnahmen an – ein kurzer Ausschnitt aus Merkels letztem Amtsjahr und einer aus Merkels Anfangszeit – fesselt. Die Fakten hat man zigmal gehört, „Kohls Mädchen“ usw., aber irgendwas zieht einen sofort wieder rein in diese Zeitgeschichte. Die 90er Jahre – was war das für ein seltsames Jahrzehnt. Wie viel ist da passiert, was heute noch fast unbegriffen bleibt. Zum Beispiel jener geradezu heimliche Aufstieg dieser anfangs so unscheinbaren Ministerin für Frauen und Jugend. Von Kohl wurde sie offenbar als „Zwei Fliegen mit einer Klappe“-Strategie, Quotenfrau und Quoten-Ossi, eingesetzt, ohne auch nur einen Gedanken daran, dass diese Frau daraus eine Karriere machen könnte. Von „Kabinettsküken“ ist in den Originalaufnahmen jener Zeit tatsächlich die Rede. „Habt ihr nur Schwarz-Weiß oder ist das Angela Merkel?“, witzelt Friedrich Küppersbusch in seiner Sendung und fragt sie in einer anderen Aufnahme direkt: „Grau oder Maus – welche Beschreibung ist Ihnen lieber?“ Wenig später ist der Ausschnitt zu hören, in dem Gerhard Schröder trotz eigener Wahlniederlage die Möglichkeit einer Kanzlerin Merkel als geradezu absurde Vorstellung abtut und das bekräftigt mit „Wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen!“. Wenn man sich klarmacht, dass das gerade mal 16 Jahre her ist, erfüllt einen die dieser Tage rare Freude, dass sich doch einiges gebessert hat seither. Den offenen Sexismus haben zumindest die Politiker heute besser im Griff.
Körner arbeitet sich nicht chronologisch durch Merkels Biografie und Karriere, sondern gruppiert thematisch: In einzelnen Kapiteln geht es um Merkels Aufstieg unter Männern, ihre Herkunft, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise und natürlich auch Corona. Keines der Themen wird erschöpfend behandelt, aber die frauenlastige Auswahl der Gesprächspartner – und darunter so relativ unverbrauchte Namen wie Luisa Neubauer, Jutta Allemendinger oder Aminata Touré – sorgt für nuanciertes Abwägen. Ab und zu wird sogar Kritik laut. Die Neugier, die der Film anstachelt, kann er letztlich nicht zur Genüge befriedigen. Aber wer weiß, was der größere historische Abstand da noch bringt.
Info
Angela Merkel – Im Lauf der Zeit Torsten Körner D 2022, 89 Min., 27.2., 21.45 Uhr in der ARD. Dort und bei Arte auch in der Mediathek
Kommentare 8
trotz des noch weiterlaufenden personenschutzes ist a. m. kürzlich im supermarkt das portemonnaie geklaut worden ... die karnevalsbrigade "staat/exekutive" lässt grüßen: tantaaa, tantaaa, tantaaa ... !
ernst nimmt die fröhliche gewalt nur ihre rassismen, ressentiments gegen unterschichtler, ihre neigungen nach rechts usw.: DIE werden unerbittlich durchgezogen, da versteht man keinen spaß!
Man sollte die Bodyguards mal nach ihrer Entlohnung fragen. Kriegen die Mindestlohn?
"Frau Bräsig"
So lautet kurz und knapp der Titel eines FAZ-Artikels, der einen gewissen Regierungsstil und das dazu gehörige Land perfekt beschreibt.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/die-kanzlerin-als-braesigkeitsermoeglicherin-17265596.html
Die Wirtschaftswoche drückt es etwas umfassender, aber auch ganz gut aus:
"Merkel hat das Kanzleramt fast 15 Jahre lang quasipräsidial zu einer Nichtregierungsorganisation umgebaut, zu einer Agentur der organisierten Norm- und Anspruchslosigkeit, die dem Allernötigsten asymmetrisch demobilisierend hinterher amtiert und das Land fast schon lächerlich lustlos bewirtschaftet."
https://www.wiwo.de/politik/deutschland/tauchsieder-merkel-am-ende-schluss-fuer-akk-/24436232.html
"Merkel lag mit den wenigen Überzeugungen, die sie besaß, verlässlich daneben.""Es ist wie immer bei Merkel. Sie reagiert situationsbezogen, spät, ziellos. Amtiert den Tatsachen und Krisen hinterher. Richtet sich, halbwegs nachholend an dem aus, was Demoskopen ihr über die Deutschen zu erzählen wissen."
https://www.wiwo.de/politik/deutschland/tauchsieder-merkel-lag-mit-ihren-ueberzeugungen-verlaesslich-daneben/22687940-2.html
Mildernde Umstände: Helmut Kohl musste ihr ja erstmal Essen mit Messer und Gabel beibringen.
Ich habe die Doku noch nicht gesehen aber von Körner gemacht, schaue ich mir das an. Wie auch immer, ist es weit rausgelehnt,daß sie dem Kremlkrieger am ,,kriegen'' gehindert hatte?Wie ging das- mit nem bisschen russisch und einem du.Ist es weit rausgelehnt,daß ebend der Kremlkrieger sie um den Finger gewickelt hat und sie sich im Glanz wohl fühlte,ohne dass sie es merkte?Mich interessiert ihre Meinung jetzt zum Kremlkrieger jetzt.
Übrigens das Buch von Körner über Frauen in der Politik ist sehr sehr lesenswert und auch unterhaltsam.Durch Zufall hatte ich es 2021 in einer Buchhandlung entdeckt.Dieser Typus -Mensch und Mann ist eine tolle Entdeckung.
Da ich gerade,,...und immer grüsst das Phrasenschwein auch in der Politik'' lese,kann ich nur sagen Körner ist ein phrasenbefreiter interssanter Typus.Er wird wohl bald Anträge kriegen- nämlich- Rede schreiben.
Auffallend ist, was in dem Film nicht angesprochen wurde. Merkel als FdJ-Propaganda-Sekretärin, die DDR-freundlche Haltung ihres Elternhauses, ihr Vater ist ja bewußt in die DDR gegagen, um Kiriche im Sozialismus aufzubauen. Da will man natürlich der Frage ausweichen, wieso in einer Zeit, wo jede DDR-Biographie akritisch durchleuchtet wurde, Merkel trotzdem Karriere machen konnte. Aber gerade die Leerstellen bietet wiederum Verschwörungserzählungen Futter.
Herr Nowak,
1. Angela Merkels FDJ-"Propaganda" Arbeit war genau so, wie sie es schilderte. Das war ein beliebter Mini-Posten mit bombastischem Namen und - wie oft in der DDR - nix dahinter. Die haben Theaterkarten besorgt und kleine Veranstaltungen organisiert. Ich kenne Kollegen von ihr. Die war in der Zeit in der Akademie sowas von unauffällig. Der Job war meist ziemlich unbeachtet.
2. Der Vater ist in die DDR gegangen, weil man ihn geschickt hat. Zu der Zeit, da er dorthin ging, gab es die Formel "Kirche im Sozialismus" noch gar nicht. Die entstand erst in den 70er Jahren Bis dahin standen sich Staat und Kirche noch ziemlich feindselig gegenüber. Nur hin und wieder versuchten beide Seiten einen Konsens. Und darauf hat ihr Vater später auch aufgebaut. Der hatte tragfähige Verbindungen zu manchen politischen Funktionären und das hat später auch geholfen eine drohende Strafe gegen die Klasse seiner Tochter zu verhindern. Und er hat ihr geholfen, als es einen Anwerbeversuch der Stasi gab.
Das ist alles, aber auch alles in diversen Biographien nachzulesen.
Von Ihnen hätte ich - nebenbei - so eine Nachklapperei nicht erwartet. Sie sind doch immer halbwegs sachlich, wenn ich auch nicht immer Ihrer Meinung bin.