Fortsetzung mit Folgen

Das Franchise-Phänomen im Kino Mit Film-Trilogien wird viel Geld verdient, während das Weltkino an Wert verliert

Üblicherweise verortet man die Krise in den Symptomen des Mangels. Oft genug aber spürt man sie viel genauer auf, wenn man dorthin schaut, wo das große Geld gemacht wird. So zum Beispiel im Kinogeschäft: Auffallend wie nie dominieren die sogenannten "Franchises" das Filmangebot dieses Jahres. Spiderman 3, Fluch der Karibik 3, Ocean´s 13 bestimmten als zentrale Filmereignisse die letzten Wochen. In der nächsten kommt noch Shrek der Dritte hinzu. Und eine Woche darauf Stirb langsam 4.0. Bald danach startet der neue Harry Potter, Teil fünf der Serie. Ein Ende der Franchise-Schwemme ist nicht abzusehen. Indiana Jones 4 immerhin ist aufs nächste Jahr verschoben.

Im Einzelhandel steht der Begriff "Franchise" für eine bestimmte Art der Lizenzierung einer Geschäftsidee. Es handelt sich um eine Form des Mitverdienens ohne Mitarbeit: Beim Franchising kassiert der Ideengeber weiter, auch wenn längst andere die Arbeit machen. Das Geschäftsmodell im Filmbereich entspricht da eher dem klassischen Filialmodell: Man schlachtet die einmal erfolgreiche Idee mit nur leichten Modifikationen so lange aus, bis sie sich aufgebraucht hat gelaufen hat. Die Methode hat sich bewährt. Auch wenn die eine oder andere Fortsetzung der genannten Erfolgsfilmreihen im Einspielergebnis vielleicht hinter den Erwartungen, soll heißen Hoffnungen zurückbleiben, spülen doch alle zuverlässig Geld in die Kassen ihrer Produktionsfirmen. Und das überall auf der Welt.

Das "Franchise" hat die Kino-Welt in einem Maß erobert, das den "Einzel-Film" zum seltsamen, erklärungsbedürftigen Phänomen macht. Unter den ersten 15 Plätzen auf der Liste der größten Kinoerfolge aller Zeiten befinden sich lediglich zwei Filme, die nicht Teil eines "Franchise" sind. An der einsamen Spitze hält noch immer Titanic die Stellung, und wahrscheinlich raufen sich die Macher jedes Mal beim Betrachten dieser Tabelle mit bittersten Klagelauten darüber die Haare, dass sie das Schiff gleich beim ersten Mal haben untergehen lassen und sich so die Fortsetzung verbaut haben. Anders beim Zeichentrick-Film Finding Nemo, der sich ebenfalls unter den Top 15 befindet: Hier war das Sequel schon mal fest geplant, bis die Fusionswirren der vormals konkurrierenden Unternehmen Pixar und Disney das Vorhaben auf Eis legten. Der Rest dieser Liste von Filmen, mit denen bisher das meiste Geld verdient wurde, setzt sich aus den drei Teilen der Herr der Ringe-Serie, diversen Harry Potter-Folgen, den neuen Star Wars-Episoden, sowie dem zweiten Fluch der Karibik-Film und dem ersten Jurassic Park zusammen. Letztgenannter ist übrigens mit Produktionsjahr 1993 der älteste in dieser nicht inflationsbereinigten Aufzählung. Was tendenziell trotzdem bedeutet: Wie man mit Filmen nicht nur viel, sondern sehr viel Geld verdient, das hat Hollywood in den letzten zehn Jahren auf neue Weise perfektioniert.

Auch wenn der Vergleich mit dem Einzelhandel nicht ganz stimmig daherkommt, gibt es in der Wirkung doch noch eine Parallele: Ähnlich wie sich durch Franchising und Filialbildung die deutschen Innenstädte bis zur Unkenntlichkeit im Erscheinungsbild einander angeglichen haben und nur der gewiefte Bürger noch an der Anzahl der H seinen Standort zu bestimmen weiß, bietet auch die Kinolandschaft ein erschreckend homogenes Bild. Eine durchstandardisierte Konfektionsware prägt in Wiederholungen des Immergleichen eine höhepunktlose, aber umsatzstarke Produktion.

Der Begriff des Franchising mag aufs Kino bezogen neu sein, das Phänomen selbst ist es nicht. Schon immer träumten die Studiobosse davon, den Erfolg eines Films einfach kopieren zu können. Das Kinogeschäft ist schließlich ein oft schwer kalkulierbares, bei dem auch die großen Studios mit ihren erfahrenen Kräften vor üblen Reinfällen nicht gefeit sind. Da Hollywoodfilme aber nicht billig sind und es nie waren, scheint es selbstverständlich, dass man hier mit Vorliebe Risikominimierung betreibt, indem man auf einmal bewährte Figuren und Handlungsmuster gerne mehrfach zurückgreift.

Am einfachsten geht das mit einem zentralen Helden, den man in immer wieder neue Abenteuer schicken kann. Weshalb alle, die nicht mitverdienen, blass vor Neid auf das James Bond-Franchise schauen. Von außen sieht es so simpel aus: Man muss nur die Länder, die Gegner, die Waffen und die Frauen austauschen und schon hat man eine neue Folge beisammen.

Ob Django, Nobody oder Dirty Harry - Helden mit entsprechendem Charisma werden schon lange wie selbstverständlich in Serie geschickt, zeigt sich daran doch noch die enge Verbindung von Kino mit den Traditionen der Trivialkultur. Dass es aber zu Erfolgsfilmen wie Vom Winde verweht oder Casablanca seinerzeit keine Fortsetzungen gab, scheint im heutigen Kontext nahezu unvorstellbar. Wer weiß, vielleicht wäre Rio Bravo 2 ein echter Renner und großer Klassiker seines Genres geworden.

Seinerzeit mag noch das Vorurteil gegolten haben, dass Sequels generell dem Original unterlegen seien, weil sie doch nur einmal Geschaffenes auf möglichst gefällige Weise wiederholen wollen. Titel, die Die Rache des ... oder Die Rückkehr des ... beinhalten, galten als Signal für gewollte Zweitklassigkeit, die manchmal nur mit Ironie zu genießen war. Doch spätestens mit George Lucas´ Star Wars bildete sich eine neue Auffassung darüber, wie Sequels zu bewerten seien. Oft nämlich gab es für die Fortsetzung eines Erfolgsfilms nun mehr Geld und auch mehr artistische Freiheiten. Regisseure und Autoren sahen sich in der Lage, Unzulänglichkeiten des "ersten Versuchs" auszumerzen und die Stärken besser zur Geltung zu bringen. Seither haben sich unter den Film-Fans leidenschaftliche Diskussionen darüber etabliert, welches nun der beste Star Wars, der beste Stirb langsam oder der beste Alien-Film sei. Und oft genug schneidet der zweite Teil nicht mehr automatisch schlechter als das "Original" ab.

Inzwischen ist es zum Muster geworden: Mit jeder Folge werden die Filme teurer, es wird aber auch entsprechend mehr Geld mit ihnen verdient. Völlig unabhängig davon, wie die Filme bei der Kritik ankommen. Bei Francis Coppolas Paten-Trilogie (1972, 1974, 1990) übertrafen die Einnahmen des ersten Films noch die der Nachfolger. Doch Ende der achtziger Jahre hat sich das Modell umgedreht: Vom Terminator über Stirb langsam bis zu Matrix gilt nun, dass das richtige Geld mit der Fortsetzung erst kommt. Wie in der übrigen Waren-Welt: Wenn die Marke gut eingeführt ist und man das Zielpublikum genauer kennt, können die Marketingstrategien erst so richtig zur Wirkung gebracht und entsprechende Verdienste eingefahren werden.

Zwischenzeitlich musste aus Fehlern gelernt werden, etwa dem von Matrix 3, der zu schnell nach Matrix 2 in die Kinos kam und ein Riesenflop war. Den Raubkopierern begegnet man, indem man die Filme in bisher nie gekannter hoher Kopienzahl auf der ganzen Welt fast gleichzeitig in die Kinos bringt. Die auf diese Weise kreierten Rekorde wie "bestes Startwochenende" fließen in die Werbestrategie mit ein und unterbinden den Einfluss von Kritik und Mundpropaganda weiter. Wie überhaupt der Event-Charakter solcher Weltstarts die Aufmerksamkeit weg von der Qualität des Films selbst hin auf das glamouröse Ereignis als solches lenkt. Zusätzlich werden mit den Franchises weitere Riesensummen verdient, weil sie sich als Sammelobjekte auch noch ausgezeichnet auf DVD verkaufen lassen. Die Produktionsfirmen rücken deshalb der Idee immer näher, die DVDs gleichzeitig mit den Kinostarts herauszubringen, weil so noch mehr Marketingstrategie gebündelt werden kann. Die Zukunft gehört also Fluch der Karibik 8 und Harry Potter 11 auf allen Kanälen. Mit der Folge, dass wenn auch noch in den verschiedenen Vertriebswegen das immer gleiche Material verkauft wird, mitten in der Fülle die absolute Verödung einzieht.

Denn was die gegenwärtige Kinolandschaft trotz der satten Einnahmen verarmt aussehen lässt, ist die verräterische Tatsache, dass es sich bei keinem der aktuellen Franchises um einen Originalstoff handelt. Allesamt verwerten die Filme bereits in zweitem oder dritten Anlauf vorhandenes pop-kulturelles Material. Spiderman geht auf den Comic aus den frühen sechziger Jahren zurück; Fluch der Karibik verdankt seine Inspiration einem Vergnügungspark, der seinerseits Figuren und Motive aus Film und Folklore verwurstet hat, Shrek spielt liebevoll-ironisch mit dem Gesamt-Arsenal der populären Märchenfiguren und dem, was Disney in seinen Zeichentrickfilmen daraus gemacht hat; Ocean´s 13 schließlich begann als Ocean´s 11 in der Form eines simplen Remakes.

Dass die genannten Filme ohne Ausnahme in ihrer dritten Ausführung ihr durchaus erwartungsfrohes Publikum enttäuschten, mag auch darauf zurückzuführen sein, dass sich selbst die Popkultur nicht endlos aufbereiten lässt. Irgendwann braucht es mal wieder eine Originalidee, die frisch und unverbraucht erscheint. Paradoxerweise sind Spuren davon einzig in Steven Soderberghs und George Clooneys gemeinschaftlichem Männerprojekt Ocean´s 13 zu entdecken. Obwohl die smarten Herren dem Filmgenre als solches nichts Neues hinzuzufügen wissen, zeichnet sich ihr Film gegenüber den rein kommerziellen Unternehmungen wie Fluch der Karibik 3 und Shrek 3 durch einen sympathischen Idealismus aus. Der findet seinen Vorgeschmack zum einen darin, dass sie ihre Ocean´s-Filme als kommerzielle Projekte ausgeben, die für ihre anspruchsvolleren Filme die nötige finanzielle Sicherheit schaffen. Und zum anderen darin, dass sie in Styling und Umgang miteinander einen ganzen Satz an kulturellen Werten propagieren, der Humor, Ernsthaftigkeit, Solidarität und solch altmodische Dinge wie Fürsorglichkeit mit Älteren und Schwächeren einschließt.

Dennoch ist auch Ocean´s 13 Teil des Globalisierungs-Phänomens im Weltkino: Die großen Filme drängen mit ihrem Event-Charakter und der hohen Kopienanzahl die "kleinen" Filme aus der Aufmerksamkeit der Zuschauer und letztlich aus den Kinos. Während die Franchise-Verwalter Rekord über Rekord vermelden, sieht das europäische Arthouse-Kino seine Felle davonschwimmen: Die aggressiven Marketingstrategien der "Großen" und die Wiederholung der immergleichen Erfolgsrezepte tragen zur weltweiten Geschmacksangleichung bei. Das große Geld, das hier verdient wird, hat einen unmittelbaren Mangel zur Folge: Die kleine, lokale Filmvielfalt ist zunehmend bedroht.


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