Frauen erobern den Mond

Streaming Barbara Schweizerhof sieht die neuen Apple+-Serien als Hoffnung. Spoiler-Anteil: 21%
Ausgabe 45/2019

Noch nie war eine Frau auf dem Mond, aber wieso? Hatte man bei der NASA die üblichen Bedenken, die damals gern mit dem Spruch „Frau am Steuer, ungeheuer!“ zusammengefasst wurden? Die Serie For All Mankind jedenfalls muss erst eine „alternative Realität“ begründen, um weibliche Astronautinnen zu zeigen. Roter Mond heißt die erste Folge der Show, die seit letzter Woche als eine der vier „Flaggschiff“-Produktionen verfügbar ist, mit denen die Firma Apple unter dem Signum Apple+ ins Streaminggeschäft einsteigt. Der Titel bezieht sich nicht auf eine Lippenstiftfarbe: Die vertrauten Bilder von Menschen überall, die sich in 60er-Jahre-Kleidung vor 60er-Jahre-Fernsehern versammeln, um den körnigen Schwarz-Weiß-Bildern der Liveübertragung der Mondlandung zu folgen, erweisen sich binnen Kurzem als ganz und gar nicht mehr vertraut. Statt Staunen zeichnet sich auf den Gesichtern Enttäuschung, ja sogar Trauer ab. Denn die, die da landen und Dinge über die „Menschheit“ sagen, sind nicht US-Amerikaner, sondern Sowjets.

Der Gedanke hat etwas spontan Fesselndes: Was wäre gewesen, wenn die UdSSR den „Wettlauf zum Mond“ gewonnen hätte? Hätte sich überhaupt etwas verändert in der Welt? So viel kann man nach den ersten drei Folgen jedenfalls feststellen: For All Mankind hat keine Eile bei der Beantwortung dieser Fragen. In den Bars sitzen die üblichen gekränkten Männerseelen, die mit dem Gesicht überm Whisky-Glas meinen, wenn man sie hätte machen lassen, wäre alles anders gekommen. Präsident Nixon schmiedet Rache-Intrigen. Im Kongress gibt es eine Anhörung. Und dann setzen die Sowjets doch tatsächlich noch einen drauf: Kaum dass die Amerikaner als Loser auch endlich ihre Flagge auf dem Erdtrabanten gehisst haben, landen die Sowjets ein zweites Mal – und wer lächelt da so nett vom Mond aus in die Kamera? Eine Kosmonautin! Das Frauen-Programm, das die NASA daraufhin in fieberhafter Eile an den Start bringt, ist der dringend nötige Energieschub in einer Serie, die für den Geschmack des mit dem Überangebot kämpfenden Zuschauers zu wenig aus seiner hochinteressanten Prämisse macht. Die Frauen holen also mal wieder den Karren aus dem Dreck ...

Genauso beschreibt übrigens Jennifer Aniston als Moderatorin des Frühstücksfernsehens in der Serie The Morning Show, dem zweiten Flaggschiff des Apple+-Angebots, ihre Rolle: Als ihr Co-Moderator, der von Steve Carell gespielte Mitch, entlassen wird, weil er sexueller Übergriffe am Arbeitsplatz beschuldigt wird, muss Anistons Figur Alex nach außen die Fassade wahren, während intern die Intrigen um eine Neubesetzung auch ihrer Stelle ausbrechen. Der Senderchef (Billy Crudup) will sie eigentlich loswerden und umgarnt als mögliche Nachfolge eine gerade erst durch ein virales Video zu Prominenz gekommene, jüngere Fernsehreporterin aus der Provinz, Bradley (Reese Witherspoon). Und gerade als der Zuschauer sicher ist, dass diese Serie sich in die vertrauten Bahnen eines „Zickenkriegs“ begeben wird, ändert Anistons Alex die Prämisse: Sie macht Bradley zu ihrer Co-Moderatorin, und die bis dahin dahinplätschernde Serie wird auf ganz neue Weise lebendig: Sollte es tatsächlich mal um eine komplizierte, professionelle Beziehung zwischen zwei Frauen gehen? Um ihre ganz speziellen Schwierigkeiten, sich im Business zu behaupten?

Wie schon For All Mankind erfindet auch The Morning Show das Rad der Qualitäts-serie nicht neu, sondern wirkt streckenweise zusammengebastelt aus lauter Elementen, die man von anderswoher kennt: ein bisschen „Walk & Talk“ à la Aaron Sorkin, viel Glamour-Ehrgeiz wie damals in Broadcast News – plus das gut geölte Getriebe eines typischen „Work Place“-Dramas. Das wirklich Neue, auch das wie in For All Mankind, wirkt zunächst nur wie eine Zugabe, könnte sich aber als das erweisen, was das Apple-Abo wert macht: der erkennbare Wille, sich auf die Perspektive von Frauen einzulassen, und zwar nicht als Genre „Frauenfernsehen“, sondern als Drama für alle Erwachsenen.

Für die Jugendlichen, die in dieser Hinsicht schon etwas weiter sind, hält Apple+ mit Dickinson ein echtes Schmankerl bereit. Emily, die große Dichterin, hier nicht als verhärmte alte Jungfer, sondern als rockende, crossdressende, Drogen probierende, Mädchen küssende Rapperin vor ihrer Zeit – so bilderstürmerisch und eigensinnig, wie Apple früher mal sein wollte.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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