Noch nie war eine Frau auf dem Mond, aber wieso? Hatte man bei der NASA die üblichen Bedenken, die damals gern mit dem Spruch „Frau am Steuer, ungeheuer!“ zusammengefasst wurden? Die Serie For All Mankind jedenfalls muss erst eine „alternative Realität“ begründen, um weibliche Astronautinnen zu zeigen. Roter Mond heißt die erste Folge der Show, die seit letzter Woche als eine der vier „Flaggschiff“-Produktionen verfügbar ist, mit denen die Firma Apple unter dem Signum Apple+ ins Streaminggeschäft einsteigt. Der Titel bezieht sich nicht auf eine Lippenstiftfarbe: Die vertrauten Bilder von Menschen überall, die sich in 60er-Jahre-Kleidung vor 60er-Jahre-Fernsehern versammeln, um den körnigen Schwarz-Weiß-Bildern der Liveübertragung der Mondlandung zu folgen, erweisen sich binnen Kurzem als ganz und gar nicht mehr vertraut. Statt Staunen zeichnet sich auf den Gesichtern Enttäuschung, ja sogar Trauer ab. Denn die, die da landen und Dinge über die „Menschheit“ sagen, sind nicht US-Amerikaner, sondern Sowjets.
Der Gedanke hat etwas spontan Fesselndes: Was wäre gewesen, wenn die UdSSR den „Wettlauf zum Mond“ gewonnen hätte? Hätte sich überhaupt etwas verändert in der Welt? So viel kann man nach den ersten drei Folgen jedenfalls feststellen: For All Mankind hat keine Eile bei der Beantwortung dieser Fragen. In den Bars sitzen die üblichen gekränkten Männerseelen, die mit dem Gesicht überm Whisky-Glas meinen, wenn man sie hätte machen lassen, wäre alles anders gekommen. Präsident Nixon schmiedet Rache-Intrigen. Im Kongress gibt es eine Anhörung. Und dann setzen die Sowjets doch tatsächlich noch einen drauf: Kaum dass die Amerikaner als Loser auch endlich ihre Flagge auf dem Erdtrabanten gehisst haben, landen die Sowjets ein zweites Mal – und wer lächelt da so nett vom Mond aus in die Kamera? Eine Kosmonautin! Das Frauen-Programm, das die NASA daraufhin in fieberhafter Eile an den Start bringt, ist der dringend nötige Energieschub in einer Serie, die für den Geschmack des mit dem Überangebot kämpfenden Zuschauers zu wenig aus seiner hochinteressanten Prämisse macht. Die Frauen holen also mal wieder den Karren aus dem Dreck ...
Genauso beschreibt übrigens Jennifer Aniston als Moderatorin des Frühstücksfernsehens in der Serie The Morning Show, dem zweiten Flaggschiff des Apple+-Angebots, ihre Rolle: Als ihr Co-Moderator, der von Steve Carell gespielte Mitch, entlassen wird, weil er sexueller Übergriffe am Arbeitsplatz beschuldigt wird, muss Anistons Figur Alex nach außen die Fassade wahren, während intern die Intrigen um eine Neubesetzung auch ihrer Stelle ausbrechen. Der Senderchef (Billy Crudup) will sie eigentlich loswerden und umgarnt als mögliche Nachfolge eine gerade erst durch ein virales Video zu Prominenz gekommene, jüngere Fernsehreporterin aus der Provinz, Bradley (Reese Witherspoon). Und gerade als der Zuschauer sicher ist, dass diese Serie sich in die vertrauten Bahnen eines „Zickenkriegs“ begeben wird, ändert Anistons Alex die Prämisse: Sie macht Bradley zu ihrer Co-Moderatorin, und die bis dahin dahinplätschernde Serie wird auf ganz neue Weise lebendig: Sollte es tatsächlich mal um eine komplizierte, professionelle Beziehung zwischen zwei Frauen gehen? Um ihre ganz speziellen Schwierigkeiten, sich im Business zu behaupten?
Wie schon For All Mankind erfindet auch The Morning Show das Rad der Qualitäts-serie nicht neu, sondern wirkt streckenweise zusammengebastelt aus lauter Elementen, die man von anderswoher kennt: ein bisschen „Walk & Talk“ à la Aaron Sorkin, viel Glamour-Ehrgeiz wie damals in Broadcast News – plus das gut geölte Getriebe eines typischen „Work Place“-Dramas. Das wirklich Neue, auch das wie in For All Mankind, wirkt zunächst nur wie eine Zugabe, könnte sich aber als das erweisen, was das Apple-Abo wert macht: der erkennbare Wille, sich auf die Perspektive von Frauen einzulassen, und zwar nicht als Genre „Frauenfernsehen“, sondern als Drama für alle Erwachsenen.
Für die Jugendlichen, die in dieser Hinsicht schon etwas weiter sind, hält Apple+ mit Dickinson ein echtes Schmankerl bereit. Emily, die große Dichterin, hier nicht als verhärmte alte Jungfer, sondern als rockende, crossdressende, Drogen probierende, Mädchen küssende Rapperin vor ihrer Zeit – so bilderstürmerisch und eigensinnig, wie Apple früher mal sein wollte.
Kommentare 3
Und das Bild zeigt relativ junge, relativ hübsche weiße Frauen und eine schwarzhäutige Quotenfrau^^ ansonsten die normale Mischung von Projektionen und Wunschvorstellungen ... das übliche Angebot, sein Selbstwertgefühl auf die Grundlage wohlfeiler Projektionen zu stellen
Ich kann die neuen Apple-Serien NICHT so recht als lichten Schein am Unterhaltungs-Horizont betrachten. Mit Apple steht neben Disney nunmehr ein weiterer Anbieter in den Startlöchern, dessen Programm explizit auf »Family Values« hin ausgerichtet ist. Selbst BILD, sonst eher wenig berührungsängstlich mit großen Konzernen, titelt da mit der Befürchtung: »Familienfreundliche Inhalte: Wird Apples TV+ ein Langweiler?«
Fazit so: Man sollte zwar nicht immer nach dem Massenblatt mit der vielen Bildung gehen. Eine kulturell konservativ ausgerichtete Plattform ist allerdings das Letzte, was der eh schon ziemlich gleichgeschaltete Markt für Serien und Filme braucht – zumal es vorzugsweise die Independents der amerikanischen Festivals sind (von den europäischen erst gar nicht zu reden), die bei dieser Form von »Kulturverständnis« als erste kielunter gehen.
Also – nett »gespoilert«. Aber die offerierten News sind weniger Good News als vielmehr das Gegenteil.
Dem kann ich nur zustimmen: Netflix ist das neue RTL2 und Apple TV dessen Abklatsch.Ergänzen möchte ich aber, dass Inhalte im Netz schwer monetarisierbar sind, wahrscheinlich noch nichtmal mit Abo-Angeboten. Von daher finden wir im Netz bislang keine Hochkultur, nichtmal ambitionierte und frische Popkultur, sondern nur eine risikoarme Anbiederung an den mittlersten Mainstream. Eine Seifenoper, deren Grundaussage "Frauen sind toll" lautet, ist das exakte kulturelle Mittelmaß, das kein braucht, aber trotzdem geschaut wird. Etwas besseres dürfen wir von unserem neuen Universalmedium vorerst nicht erwarten. Ich freue mich daher auf ein zukünftiges öffentlich-rechtliches Internetangebot, idealerweise ein internationales!