Gefühlsstark

Im Kino James Mangold verfilmt mit "Walk the Line" das Leben von Johnny Cash

Johnny Cash war wirklich anders. Was ihn unterschied von den Musikstars seiner Zeit und vor allem von seinen Country Music-Kollegen war die Aura von Gefährlichkeit. Die schwarze Kleidung, die raue Stimme, die Schwerfälligkeit, mit der er sich bewegte, das alles trug zu seinem Image bei, und es ist kein Wunder, dass ihn Zeit seines Lebens das Gerücht umwehte, er sei selbst im Gefängnis gewesen. Schließlich war er das auch - allerdings um ein Konzert zu geben. Das dann sein berühmtestes Live-Album werden sollte: At Folsom Prison.

Joaquin Phoenix ist mit Bösewicht-Rollen wie der des Commodus in Gladiator bekannt geworden. Man könnte durchaus sagen, dass auch seine Aura von der Farbe schwarz und den entsprechenden Assoziationen geprägt ist. Ihn als Johnny Cash zu besetzen, scheint deshalb keine schlechte Wahl. Allerdings haftet sämtlichen Biopics im Grunde etwas Peinliches an: Das Leben der Popkultur-Helden wird moritatsmäßig auf die Leinwand gebracht, indem bekannte Menschen andere bekannte Menschen nachahmen. Man muss sich über die unangenehmen Gefühle, die solche Konstruktionen auslösen, erst mal hinwegsetzen, um zu sehen, dass Film auch ein sehr geeignetes Medium dafür sein kein, die Image-Konstruktionen des Pop zu durchleuchten. Bei Johnny Cash lag das Wunder in der Stimme, in der sich so viel Erfahrung konzentrierte, dass man diesem Menschen fast alles zutraute. Walk the line findet auf die Frage nach der Geschichte dieser Stimme eine einfache Antwort: Der dramatische Verlauf einer großen Liebe. Für viele Fans mag das eine Enttäuschung sein.

Ansonsten weicht Walk the Line vom Muster der Biopics der letzten Jahre kaum ab. Der Film steigt ein mit einer Szene kurz vor Cashs Auftritt im Folsom-Gefängnis. Im Saal toben die Männer in Häftlingskleidung, während in einem Nebenraum Phoenix-Cash beim Anblick einer Kreissäge in Erinnerung versinkt. Es folgt ein Flashback, der von einer entbehrungsreichen Kindheit erzählt, vom überstrengen Vater und dem Unfalltod des Bruders. Dann kommt die Zeit als Besatzungssoldat in Germany, eine frühe Heirat und unglückliche Erfahrungen im herkömmlichen Berufsleben. Nicht zu vergessen natürlich die Liebe zur Musik, die ihn schon als Junge begleitet. Ihr wirklich zu folgen, gestattet sich aber nach und nach erst der erwachsene Johnny. Auf die mühsamen Anfänge folgt das Leben als Tourmusiker, das ihn unter anderem mit Elvis zusammenbringt. Diese Szenen gehören zu den schönsten des Films, weil in ihnen die Atmosphäre einer Zeit evoziert wird, in der das Popmusik-Geschäft noch etwas im buchstäblichen Sinne "Unanständiges" war: absolut unbürgerlich und ganz bestimmt nichts für kleine Mädchen.

Die Dualität der Western-Männlichkeit von harter Schale und weichem Kern, die Cash sozusagen emblematisch vertrat, dreht Joaquin Phoenix in seiner Darstellung nicht einfach um, indem er Cash eine Innerlichkeit andichtet, nein, ihm gelingt etwas viel Raffinierteres und Anrührendes. Er macht die harte Schale gleichsam durchsichtig, so dass man dahinter die Verletzlichkeit und Unsicherheit agieren sieht. Das verleiht den überlieferten Anekdoten oft den Anstrich von Peinlichkeit und von, ja nun, wahrem Leben: wie er den ersten Plattenvertrag mehr herbeizwingt als für sich erobert, wie "peinlich", weil ungeschützt ehrlich und dementsprechend ungelenk, seine ersten Songs daherkommen ...

Die Liebesgeschichte, die den roten Faden bildet, hat Telenovela-Qualität. Da ist der kleine Johny Cash, der die kleine June Carter im Radio hört. Jahre später begegnen sie sich, aber da sind beide verheiratet und viel zu religiös, um einfach eine Affäre miteinander anzufangen. So wird daraus über die Jahre eine tiefe Beziehung, die erst durchs Höllenbad mehrfacher Trennungen muss, bevor endlich, endlich, zusammengelebt werden kann. Reese Witherspoon hat für ihre Interpretation der June Carter bereits den Golden Globe bekommen und entfaltet als Nichtblondine eine wirklich bestrickende, weiblich-taffe Ausstrahlung.

Bei so viel Gefühl bleibt von der Aura der Gefahr am Ende natürlich kaum etwas übrig. Eine Antwort auf die interessante Frage, wie jemand so Harmloses so erfolgreich das hocherotische Image des resozialisierten Verbrechers für sich kultivieren konnte, versucht der Film erst gar nicht. Das bleibt dann doch das Geheimnis der Originalstimme - und irgendwie ist das gut so.


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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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