Wer denkt jetzt noch an den Absturz der Concorde? Noch vor zwei Wochen stellte er von allen Katastrophen diejenige dar, die sich am besten symbolisch deuten ließ. Was der Auslöser des Untergangs der Kursk war, werden wir vielleicht nie erfahren. Aber das russische U-Boot hat nicht zufällig alle anderen Katastrophennachrichten in den Hintergrund gedrängt. So sinnlos der Tod der wohl über 130 Männer war, die Begleitumstände fordern zu Spekulationen heraus, die sich alle auf ein eigentlich aufgegeben geglaubtes Sinnsystem beziehen - das des Kalten Krieges.
Dass dieser in den Köpfen der russischen Militärs noch nicht überwunden ist, verwundert dabei noch am wenigsten, weil sich in jeder Armee überkommene Denkweisen am längsten konservieren. Viel erstaunlicher ist es, wie leidenschaftlich sich unsere Medien auf die alten Deutungsmuster stürzen. Die Behauptung, wie anders doch alles sei nach dem Ende des Kalten Krieges, dient meist nur dazu, implizit das Gegenteil zu bestätigen. Vor 10 Jahren noch hätten wir wohl kaum so mitgelitten um die Männer der Kursk, meint ein Nachrichtensprecher. Wir schon, aber das Fernsehen nicht, will man ihm entgegenhalten, wiederholt er damit doch einen Refrain aus alten Zeiten, von Sting vertont: The Russians love their children too, was man frei übersetzen kann mit »die Russen sind auch Menschen«. Eine Ansicht, die bei uns wohl immer noch als besonders progressiv gilt.
Die Norweger hätten in zwei Tagen geschafft, was den Russen in einer ganzen Woche nicht gelang - solche und ähnliche Bilanzen stehen im Zentrum des Medieninteresses, und an vielen technischen Details bekommen wir die Überlegenheit westlichen Know-hows vorgeführt. Drei Wochen vor den olympischen Spielen in Sydney fühlt man sich dabei an den alten Brauch des Medaillenspiegels erinnert, ein weiteres Schlachtfeld des symbolischen kalten Krieges. Es stehe 3:2, meint ein vor Kameras zu den Ereignissen Befragter -zwar kommt er nicht dazu, diesen Spielstand näher zu erläutern (welche Katastrophen gehen auf welches Konto?), macht aber klar, dass der Kampf der Zivilisationen sich in den Köpfen immer noch fortsetzt. Die diffuse Identifikation mit einer der gegnerischen Seiten, die unter den provisorischen Emblemen von »West« und »Ost« gegeneinander antreten, scheint so wirksam wie eh und je.
Wie häufig schon der Fall gewesen, hat im übrigen Hollywood die Ereignisse dieser Tage längst verfilmt. Clint Eastwood muß in Space Cowboys, der in drei Wochen bei uns in die Kinos kommt, einen russischen Satelliten retten. Ein ständig schwitzender (Hollywoods subtiler Hinweis auf Schurken) russischer General bittet die Nasa mit einer stereotypen Erpressung um Hilfe: Der Ausfall des Satelliten würde Rußland ins Chaos stürzen. Natürlich ist in Wirklichkeit die Welt bedroht, weil sich Atomsprengkörper darauf befinden. An keiner Stelle des Films wird erörtert, warum die Russen sich nicht selbst helfen können - erstens ist der marode Zustand ihres Landes quasi schon ein fiktionaler Archetyp, zweitens haben sie in Space cowboys die Technik sowieso bei den Amis wegspioniert!
Die empfindsame Seele der Russen führt ihrerseits - vollkommen unbemerkt vom Westen - schon länger Klage über ihre Darstellung in den Kassenhits Hollywoods. Mit welcher ganz unbritischen Respektlosigkeit Pierce Brosnan alias James Bond mit einem einzigen Panzer halb Sankt Petersburg abreißt, wurde genauso moniert wie die Marginalisierung in den grossen Weltrettungsfilmen Independence day und Armageddon, in denen Moskau allenfalls als zerstörte Kulisse auftaucht, aber von jeder aktiven Beteiligung, selbst als Bösewichte, ausgeschlossen bleibt.
Die Gegenprojektion, also die Darstellung des Westens in russischen Mainstreamfilmen, bekommen wir hier ja leider nie zu sehen. Im diesjährigen Kassenschlager Der Bruder 2, dessen erster Teil immerhin auf Arte gesendet wurde, räumt Jungstar Sergej Bodrov nämlich in Amerika auf. Er tut das mit leichter Hand, tiefer Stimme und heimatverbundener Schwermut, im Takt russischer Popmusik. Amerika erscheint in diesem zutiefst rassistischem Film als fest in der Hand von schwarzen Drogendealern und - der ukrainischen Mafia. Auf der Ebene der Fiktion zeigt sich deutlich, wie Feinde aus Projektionen verdrängten Begehrens entstehen. Begehren hat mit Liebe zu tun.
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