Geschenk, Gedichte und Tänze

Was läuft Auf Perlensuche im Serien-Dschungel: über „Lovesick“ und die Erinnerung an die Stärken des Fernsehens. Spoiler-Anteil: 8 Prozent
Ausgabe 14/2017

Die nicht-repräsentative Umfrage unter Serien-Guckern meiner Umgebung ergibt derzeit ein besorgniserregendes Stimmungsbild: Erschöpfung und Ratlosigkeit. Frauen kennen es als Klamottensyndrom: „Voller Kleiderschrank, aber nichts zum Anziehen.“ Übertragen auf den Serienkonsumenten heißt das: Die Festplatte quillt über, Netflix und Amazon schmeißen wöchentlich ganze Staffeln auf den Markt, und man weiß immer weniger, was man jetzt angucken soll. Die Medienaufmerksamkeit wendet sich meist den schweren Stoffen zu, den Thrillern über Post-Apokalypse, Überwachungsstaat und was sonst noch nah an unserer Gegenwart scheint. Dabei gehen die Genres unter, die einst die Stärke des Fernsehens ausmachten: Serien, die mit Charme und Leichtigkeit von Freundeskreisen und Liebe erzählen, ganz ohne Mord und Totschlag. Aber es gibt sie noch, und die auf Netflix zugängliche britische Serie Lovesick ist sogar eine echte Perle ihres Standes.

Weshalb ihr größter Nachteil gleich benannt sei: Es gibt nur zwei Staffeln mit insgesamt 14 Folgen von 20- bis 30-minütiger Länge. Nach sechs schnell vergehenden Stunden ist man also durch. Auf die versprochene dritte Staffel wird man noch warten müssen. Lovesick hatte bei seiner Entstehung einen noch blöderen Titel (Scrotal Recall) und einen Aufhänger, der wie reines Kritiker-Futter klingt: Einem junger Mann wird eine Chlamydien-Infektion diagnostiziert und er soll seine bisherigen Geschlechtspartnerinnen benachrichtigen. „Alle?“, fragt Dylan (Johnny Flynn) die Ärztin entsetzt. „Nein, nur die, die Sie noch mögen“, antwortet sie mit ausgesuchter Freundlichkeit. Netter Gag, nicht wahr?

Der Satz danach war es, der mich augenblicklich süchtig machte. „Anders als man Ihnen im Medizinstudium beigebracht hat: Nicht jeder findet Sarkasmus tröstlich“, hält Dylan entgegen. „Er hilft mir durch den Tag“, lautet wiederum die schlagfertige Antwort. Lovesick ist voller Dialoge wie diesem: clever, scharfzüngig, geistvoll, aber im Gegensatz zum einstigen Titel ohne modische, pseudo-tabubrecherische Derbheit.

Die Episodenstruktur der Serie richtet sich an der Liste aus, die Dylan von seinen Exfreundinnen und One-Night-Stands der letzten Jahre erstellt. Was wie ein schnell ausleierndes Muster klingt, wird kontrapunktisch unterlaufen, denn im Kern geht es in Lovesick um ein Freundestrio: Dylan, Luke (Daniel Ings) und Evie (Antonia Thomas) kennen sich aus Uni-Zeiten und haben mal zusammen gewohnt. Dylan ist der Träumer, der sich nach einer festen Beziehung und einem Platz im Leben sehnt; Luke der Hallodri, auf der Jagd nach dem schnellen Vergnügen; Evie eine Pragmatikerin, der der eigene Skeptizismus manchmal im Wege steht. Die Frauennamen von Dylans Liste bilden nun den Vorwand, um in unregelmäßigen Zeitsprüngen – „Drei Jahre zuvor“, „vor fünf Monaten“ – aus dem Leben der Drei zu erzählen.

Auf den ersten Blick erscheint vieles vertraut: Evie und Dylan verbindet eine jener Will-they-won’t-they-Beziehungen, wie sie Friends und fast jede andere Sitcom hat; das Erzählen in Zeitsprüngen kennt man aus How I Met Your Mother. Aber Lovesick spielt in Glasgow, das mit seiner postindustriellen Mischung aus renoviertem Altbau und spektakulärer Neuarchitektur ein angenehm anderes, neues Setting bildet, und wird mit jeder Folge eigensinniger.

Anders als noch in How I Met Your Mother dienen die willkürlich erscheinenden Zeitsprünge weniger dem Gag-Aufbau als der tatsächlichen Vertiefung. Man versteht nach und nach, dass Dylan hinter seiner charmanten Träumerfassade die Anlage zum nervtötenden Zauderer verbirgt; man bekommt Einblicke in Evies Bitterkeit und Unsicherheiten; und Luke, den man als oberflächlichen Schürzenjäger abgeschrieben hat, wird zu einer interessanten, zwiespältigen Figur mit überraschender Einsichtigkeit ins eigene Zwangsverhalten.

Es gibt herrliche Slapstick-Folgen, etwa wenn Luke die Freunde überredet, zur Geburtstagsparty seiner umschwärmten Schulfreundin Ilona aufs Land zu fahren, weil er selbige endlich „rumkriegen“ will. Ein anderer Schulfreund hat aber denselben Plan und so kommt es zu einem veritablen Minnestreit, Geschenke, Gedichte und Schautänze mit eingeschlossen. Man merkt es wirklich erst mit der Zeit: Selten wurde in einer Serie der essenzielle Zusammenhang von Liebe und richtigem Timing so ernst genommen und in Nuancen ausgeleuchtet wie hier.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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