Bei der Buchlektüre wird oft empfohlen, einem Roman mindestens 30 Seiten zu geben. Manchmal müssen es auch 70 sein, dann aber kann sich, was eben noch bemühte Ausdauer war, in Gefolgschaft umwandeln, oder sogar in Sucht. Womit wir beim Thema wären: der neuen Staffel von True Detective.
Schon die erste Staffel der Serie protzte mit ihrer Literarizität. Jede Folge fühlte sich wie ein abgeschlossenes Kapitel an, in dem das zentrale Rätsel immer enger umzingelt wurde, dabei aber hartnäckig Widerstand leistete. Matthew McConaughey gab Sätze von sich, die umso zitierfähiger waren, je nebulös-düsterer das Denken dahinter schien: „Die Zeit ist ein flacher Kreis.“ Wem das nicht genug Stoff bot, um die Woche bis zur nächsten Folge zu überbrücken, der konnte sich der verstreuten obskuren Buchreferenzen annehmen und etwa in Robert W. Chambers’ The King in Yellow nach Antworten suchen.
Fast alles ist nun neu in der zweiten Staffel, deren erste Episode am Sonntag Premiere hatte: der Ort, die Zeit, alle Figuren, alle Schauspieler. Statt der Sümpfe von Louisiana also der Asphalt in und rund um Los Angeles. Statt eines Hin und Her zwischen Vergangenheit und Gegenwart eine vergleichsweise gerade Chronologie. Statt Woody Harrelsons und Matthew McConaugheys Pat-und-Patachon-Polizisten-Nummer nun vier Hauptfiguren, die ihre gemeinsame Verstrickung erst noch entdecken müssen. Für Serien, die sich auf solche Weise von Staffel zu Staffel rundum erneuern, gibt es einen – natürlich – aus der Literatur entlehnten Begriff: Anthology.
Mit den verbindenden Elementen, die ein solches Format braucht, geht die erste Episode sparsam um. Das Offensichtlichste ist das Intro: Diesmal singt, nein spricht Leonard Cohen bedeutsam klingende Sätze wie „I was not caught, though many tried / I live among you, well disguised“ über einer suggestiven Collage von Figuren und Straßenkreuzungen und entwickelt dabei fast noch mehr Sogkraft als zuvor der Gothic-Folk-Song Far From Any Road von The Handsome Family. Braucht es mehr Überredung, um erst mal dabeizubleiben?
Lächerliche Berufswahl
Dann aber sucht man besser nicht mehr nach Gemeinsamkeiten, es könnte sich sonst voreilig Enttäuschung einstellen. The Western Book of the Dead betitelt, ist die erste Folge eher eine Einführung, deren Verständlichkeit kunstvoll gedeckelt wird. Man erfährt wenig mehr, als dass sämtliche Hauptfiguren mit schweren Problemen kämpfen. Bei Polizist Ray (Colin Farrell) sind es der Alkohol und die Tatsache, dass seine Frau vor Jahren vergewaltigt wurde. Der Wunsch nach Rache brachte ihn mit dem Ex-Ganoven und heutigen Bauentwickler Frank (Vince Vaughn) zusammen, woraus sich offenbar eine andauernde Ko-Abhängigkeit entwickelte. Die Polizistin Ani (Rachel McAdams) hat es kaum besser: Ihr linksliberaler Guru-Vater (David Morse) belächelt ihre Berufswahl, eine im Onlinepornobusiness tätige Schwester und eine tote Mutter runden das Bild einer recht verhängnisvollen Familie ab. Und dann ist da noch Verkehrspolizist und Kriegsveteran Paul (Taylor Kitsch), dessen narbenübersäter Körper quasi das Wort Trauma schon buchstabiert. Ein dann doch wieder recht gruslig ausgeführter Mordfall bringt diese Figuren erst in der letzten Einstellung der Folge zusammen. Dann erklingt Nick Cave, und es ist immer noch zu früh, um abzusehen, ob sich das Weitergucken lohnen wird. Frei nach Rumsfeld gibt es einfach zu viel, wovon wir noch gar nicht wissen, dass wir es nicht wissen.
Kommentare 5
True Detective 2 wird – so viel läßt sich jetzt schon sagen – vollkommen anders werden als die erste Staffel. Lediglich die Rahmenparameter bleiben: eine düstere, in sich abgeschlossene Noir-Geschichte, die sich wie ein Bolero langsam in die Geschichte hineinsteigert, Schuld und Verstrickung, abgerippte Landschaften – kurzum: Chinatown, in die Jetztzeit gebeamt und präsentiert in einem langen, achtstündigen Format.
Problematisch – und das nicht nur bei dieser speziellen Serie – finde ich die Warterei. Die Originalfassung ist relativ zeitnah bei Sky angelaufen, der Start der deutschen Fassung – so aktuell vorliegende Infoschnipsel – für Mitte September geplant. Fazit: Es dauert; und insbesondere, wenn man die ungewöhnlich lange Vorlaufzeit mit berücksichtigt, ist vor allem Geduld gefragt. Dass eine Am-Stück-Zuverfügungstellung dem Inhalt einiger Serien weitaus gerechter wird, zeigt die Dramedyserie Orange Is The New Black(dFC-Rezension hier), deren dritte Staffel Netflix kürzlich am Stück offerierte.
Ob der Cohen-Song (ohne Serien-Background finde ich ihn eher mittelprächtig) besser »passt« als der im Vorfeld hochgehypte Track von Lera Lynn, wird sich zeigen. Fazit: Man wartet eben, so gut man kann.
Die Figurenbeschreibung der zweiten Staffel - oha, welch eine Ansammlung von Klischees (äh, also gemeint sind die Figuren, ist nicht die Beschreibung)! Scheint so, als würde die 2. Staffel noch mehr, was die erste schon war: Kitsch für gehobene Stände!
Auch wenn eine Entgegnung auf nichts als eine andere Meinung (oder anderen Geschmack?) vielleicht etwas kleinkarriert rüberkommt: Ich persönlich halte die von einigen A-Liga-Serien umgesetzte Dramaturgie für die große, zeitgerechte Form des filmischen Erzählens. Die Argumente, die dafür sprechen (freiere Form, Aufhebung der klassischen Filmbegrenzung, Auswahl der Stoffe) will ich an der Stelle nicht erneut ausführen. Alles in allem würde ich TD und ähnliche Serien eher unter die Rubrik »Popkultur Next Step« subsummieren. Sicher hat das Nebenwirkungen – nicht nur aufgrund der kommerziellen Vermarktung und des sicher mit intendierten Abhängigkeitsfaktors. Umgekehrt denke ich, dass Serien durchaus das Potenzial haben, die großen Themen unserer Zeit kulturell aufzuarbeiten – in massenkompatibler Form, auf eine Weise, die Blogbeiträge oder allgemein die Kommunikationsformen des WWW nicht vermögen.
Zur konkreten Kritik: Jedes kulturelle Format simplifiziert – schon von Natur aus. »Gehobene Stände« – die finden Pop schon seit je her Igitt. Eher würde ich sagen: das natürliche Format des neuen Prekariats (oder zumindest eines Teils dessen).
Ist schon okay.
Pop ist schon lange ein "must have", genau da liegt der Hund begraben. Ich hab mir die erste Staffel mal an einem WE angesehen, und hätte zwischendurch abgebrochen, wenn sie mich nicht gefesselt hätte. Im Nachhinein nüchtern betrachtet, finde ich sie "over-designt", sie soll so sehr für den gebildeten Popkultur-Bildungsbürger sein, dass es schon wieder nervt. Wenn man einem Produkt das ansieht, bin ich ernüchtert. Die acht (?) Teile waren ganz nett, aber mehr vom selben brauche ich dann nicht.
Prinzipiell finde ich aber die weiterentwickelten Möglichkeiten seriellen Erzählenswert auch interessant.
Sicher: Die scharfe Noir-Sauce – mitsamt all den Archetypen, die da typischerweise mit drin sind (Ehe im Arsch, 2 Typen, 1 Frau, stark dissoziales Verhalten plus moralischer Relativismus, disparates Milieu plus Korruption und Verstrickung) – ist bei TD schon recht üppig drübergekippt. Ist halt wie überall: Entweder man findet die Kombination lecker (in dem Bewußtsein, dass es letzten Endes nur Pop-Fastfood ist respektive die Welt nicht rettet), oder man schaltet um. Das Dilemma: Arte etwa hat zwar ebenfalls den ein oder anderen guten Serienstoff mit an Bord. Allerdings läuft das Ganze im Anspruchsprogramm doch noch immer mit angezogener Bremse.