Getrennt fernsehen, vereinigt interpretieren

MEDIEN HEUTE Eine Tagung in Tutzing setzt sich mit der unterschiedlichen Mediennutzung in Ost und West und deren möglichen Ursachen auseinander

War das 'ne schöne Einigkeit, als wir noch nicht vereinigt war'n«, zitiert jemand am Ende der Tagung einen Kabarettistenspruch. Zuvor hatte man sich in der Tutzinger Evangelischen Akademie für politische Bildung unter der Frage »Deutschland - einig Medienland?« umfassend über die Unterschiede in Medienstruktur und -nutzung in Ost und West unterhalten, war auf große und kleine Abweichungen gestoßen und vor allem: auf gegensätzliche Interpretationsweisen dieser Verschiedenheiten. Die Sachlage und ihre Problematik standen deutlich vor aller Augen. Während draußen der letzte prächtige Sommerregen niederging, teilte man drinnen das Erlebnis, wie angenehm es sein kann, wenn vorhandene Differenzen weder geleugnet noch beschönigt werden. Und vielleicht ja gar nicht seltsamerweise ließ die Einsicht in die real existierenden Unterschiede ein besseres Verstehen zumindest erahnen.

Dass es Unterschiede gibt zwischen alten und neuen Bundesländern zehn Jahre nach der Wende oder der »friedlichen Revolution« (wie eine Teilnehmerin den westdeutschen »Wende«-Begriff korrigiert wissen wollte), ist für sich genommen eine Banalität. Im Gegensatz aber zur vielzitierten Arbeitslosenstatistik haben die Medienstatistiken den Vorteil, dass sich mit ihnen ein buntes Bild des Alltagslebens malen lässt. Dass die Ostdeutschen im Durchschnitt 24 Minuten länger fernsehen als die Westdeutschen, ist so ein Fakt, oder dass der Sender RTL im Osten den Marktführer stellt, gefolgt von den dritten Programmen. Ebenso wie die Tatsache, dass alle 10 Rundfunkintendanten Westdeutsche sind und von 14 Chefredakteuren, die während der Wende zur Umstrukturierung »ihrer« Blätter angetreten waren, mittlerweile nur noch drei selbst aus dem Osten kommen. Erbarmungsloser als die üblichen feuilletonistischen und literarischen Beschreibungen weisen die Medienstatistiken also aus, dass von kulturellem Zusammenwachsen nicht wirklich die Rede sein kann und die Machtstrukturen in Print- wie Funkmedien sogar eher an unschöne Begriffe wie »Kulturimperialismus« und »Hegemonialstreben« denken lassen.

Ganz so schlimm aber scheint es doch nicht zu sein. Oder anders ausgedrückt: das spezifische Kulturgefälle ist reich an widersprüchlichen Fakten, die in den Schlagworten von Westdominanz und Osteigensinn nicht unbedingt aufgehen und so manche Kuriosität in sich bergen. Die Traumquoten, die der MDR in seinem Sendegebiet erreicht, waren bereits Mitte des Jahres Gegenstand einer ausfälligen Polemik in einem einflussreichen Wochenmagazin. Der Sender mitsamt seinem Konzept wurde der aktiv betriebenen Ostalgie überführt und als grenzdebil abgewatscht. Auf der Wochen später einberufenen Podiumsdiskussion zum Thema in Leipzig meinte jemand, der Spiegel sei wahrscheinlich nur sauer, weil er in der Gegend so wenig gelesen würde. Ein nicht ganz unberechtigter Einwurf, denn die Pressestruktur im Osten weist wiederum so eigensinnige Daten auf, dass sich der westdeutsche Bildungsbürger zu großer Bedenklichkeit aufgerufen fühlt.

Die westdeutschen Eliteblätter wie Zeit, FAZ und Süddeutsche Zeitung nämlich werden im Osten so gut wie nicht gelesen. Selbst in den Parlamenten der neuen Länder bleiben die großen Überregionalen angeblich unberührt liegen, und die wenigen Abonnenten, die diese Zeitungen im Osten haben, muss man sich wahrscheinlich auch noch zum Teil als umgezogene Westdeutsche vorstellen. Keinesfalls jedoch wird im Osten generell weniger gelesen - es sind die alten oder auch ehemaligen »SED-Bezirkszeitungen« (wie sie auf der Tagung hartnäckig weiter benannt wurden), die hier für eine gewisse »Kontinuität im Wandel« sorgen. Die Treuhand hat die eingeführten Titel sinnigerweise (Arbeitsplatzsicherung!) sämtlich an westdeutsche Großverlage verkauft. Mit der Folge, dass die im Westen als gefährlich eingeschätzte Tendenz zur Konzentration des Pressewesens im Osten längst Wirklichkeit geworden ist. Die nachholende Modernisierung hat sich in diesem Fall also einmal als vorauseilende erwiesen.

Raffinierte Erhebungen zeigen jedoch auf, dass die Zeitungen mit Monopolstellung sich damit auf lange Sicht ins eigene Fleisch schneiden. Denn auch hier gilt, dass Konkurrenz das Geschäft belebt und die Zufriedenheit der Leser dort größer ist, wo diese zwischen verschiedenen Produkten auswählen können. Darüber hinaus attestierte ein Vortrag auf der Tagung den ostdeutschen Regionalblättern weitere unheilvolle Kontinuitäten wie Hörigkeit gegenüber den kommunalen Machtstrukturen, mangelnde Bereitschaft zur Vergangenheitsbewältigung und den Hang zum »Isolationismus«. Vor allem die letztgenannten Punkte werden wiederum für die Attraktivität der Zeitungen in ihren Regionen verantwortlich gemacht. Ein Mal mehr wurde die »Befindlichkeit« Ostdeutschlands zehn Jahre nach Ende des Kalten Kriegs mit derjenigen Westdeutschlands in den fünfziger Jahren verglichen. Vom Stichwort des »kommunikativen Schweigens« war die Rede, das schließlich erst die 68er aufgesprengt hätten. Im ganzen stellt sich also Medienland Ost aus Westsicht als Land der Fehlentwicklungen und Bedenklichkeiten dar, in deren Hintergrund stets die Gefahr des Rechtsradikalismus lauert.

Die Mediensoziologie aus Ostperspektive versucht dem etwas entgegenzusetzen und das Bild des Ostlers als schlecht verarzteter und dazu noch störrischer Patient, der sich der westdeutschen Normalität verweigert, zu widerlegen. Mit der sogenannten »Sozialisationshypothese« bemühte sich ein Vortrag, vorurteilsfrei die Unterschiedlichkeit der Milieus und Lebenslagen in den Blick zu kriegen, die für die abweichende Mediennutzung verantwortlich sein könnte. So stellte sich heraus, dass nicht der ostdeutsche Leser die Zeit nicht liest, sondern dass es den Leser der Zeit im Osten gar nicht gibt. Auch die Vorliebe für die Privatsender lässt sich anders darstellen als in der Version »im Westen informiert man sich öffentlich-rechtlich / im Osten bei ›Explosiv‹«: Lediglich die halbe Stunde, die man im Osten mehr guckt, werde mehr RTL geguckt. Nicht zuletzt stehe man im Osten früher auf und schalte den Fernseher auch früher am Nachmittag schon ein.

So kleinlich diese Differenzierungen auf den ersten Blick anmuten, weisen sie doch in eine viel interessantere Richtung als das übliche Stirnrunzeln über das Sorgenkind »Ost«. Nicht nur, dass die Traditionen im Freizeit- und Alltagsverhalten andere sind, überhaupt scheint das Verhältnis von Tradition und Moderne im Osten grundsätzlich ein anderes zu sein. Deutlich wird dies vor allem im unterschiedlichen Verständnis von Hoch- und Populärkultur. Wo die Elite der Altbundesländer noch Distinktionsgewinne aus TV-Abstinenz und Ekel vor »Boulevardisierung« zieht, gilt solches Verhalten in den neuen Ländern als weltfremd.

Wie überhaupt die Einigkeit der bundesdeutschen Länder vor allem dadurch auf Dauer gefährdet erscheint, dass die Abgrenzungen zum jeweils anderen Teil Deutschlands immer mehr integraler Bestandteil der eigenen Identität zu werden verspricht. Die Gewissheit, nicht westdeutsch zu sein, macht den Ostdeutschen zum Ostdeutschen, und umgekehrt. Damit einher geht ein Fundus an Wissen und Erfahrung, der getrennt gepflegt werden muss und deshalb geradezu auf Beibehaltung der geteilten Medien angewiesen ist. Sonst könnte man sich ja bald nicht mehr ergötzen an Geschichten wie jener vom West-Redakteur, der im Stadtwappen von Halle den Sowjetstern zu erkennen glaubte, oder jener vom Reporter aus Berlin, der Cottbus so weit im Osten vermutete, dass er glaubte, die Straßenschilder seien bereits polnisch - er hatte eben noch nie etwas von Deutschlands slawischer Minderheit, den Sorben gehört. Wahrscheinlich ja nur, weil für diese keine gesonderten Mediadaten erhoben werden.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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