Nun klagen sie wieder. Über die Sender, die zu quotenhörig sind. Über das Fernsehpublikum, das Qualität nicht zu schätzen weiß. Denn mal wieder ist etwas schief gelaufen. Im Angesicht des Verbrechens, die zehnteilige Krimiserie von Dominik Graf (Regie) und Rolf Basedow (Drehbuch), eines der ehrgeizigsten Projekte der öffentlich-rechtlichen Fernsehproduktion der letzten Jahre, hat ihr Publikum nicht gefunden. Trotz sich im Lob überschlagender Kritik haben zu den Freitags um 21.45 ausgestrahlten Doppelfolgen im Durchschnitt nur zwei Millionen Zuschauer eingeschaltet. Das sind anderthalb bis zwei Millionen weniger als bei den sonst auf diesem Programmplatz gesendeten Tatort-Wiederholungen. Es wurde auch nicht besser, als an einem Abend nur eine Folge gesendet wurde. Nach dem Motto „lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ haben nun die Verantwortlichen der ARD verfügt, die letzten drei Folgen am kommenden Freitag am Stück zu versenden. Die Medienkritik legt das mehrheitlich als „Einknicken vor der Quote“ aus und beschuldigt das öffentlich-rechtliche Fernsehen, seinem Qualitätsauftrag nicht nachzukommen.
Das hat inzwischen Ritualcharakter: Turnusmäßig ringen sich die Fernsehanstalten zu einem „anspruchsvollen“ Projekt durch. Die Macher sind enthusiasmiert, die Presse angetan, allein die Zuschauer ziehen nicht mit. Womit sich alle Seiten gegenseitig einmal mehr bewiesen hätten, was eh alle glauben: Das deutsche Fernsehen hat wenig Niveau, weil es sich am Geschmack des Publikums ausrichten muss. Was soll man da machen? Einfach weiter wie bisher.
Man wünschte sich, die Beteiligten würden einmal aus diesen Reflexen herausfinden. Ja, Im Angesicht des Verbrechens ist eine sehenswerte Serie. Schade, dass nicht mehr Zuschauer eingeschaltet haben. Nein, das heißt nicht, dass das Fernsehpublikum blöd ist, denn schließlich gehören auch die Tatorte, die im Durchschnitt mehr Publikum finden, zur Qualitätsproduktion. Und nein, es ist nicht gleichbedeutend mit „Einknicken“, wenn man sich bei der ARD die Quoten anschaut und versucht, darauf zu reagieren. Niemandem wäre damit gedient, wenn die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf einmal ganz am Publikum vorbei sendeten.
Ein Hinweis auf die eigentliche Schieflage findet sich in den Lobeshymnen, die der Graf-Basedow-Serie zuteil wurden. Dort hieß es immer wieder, sie sei „besser als Fernsehen“. Ist Fernsehen also von vornherein immer das Schlechtere? Das Fernsehen ist das wichtigste Medium unserer Zeit, auch das dynamischste. Insbesondere das serielle Erzählen hat in den letzten Jahren international eine ungeahnte Revitalisierung erlebt. Allein die deutsche Serienproduktion scheint da nicht mitzukommen. Und nicht nur das: Auch beim Ausstrahlen der neuen amerikanischen „Qualitätsserien“ versagen die deutschen Sender; auch da bleibt die Quote immer wieder hinter den Erwartungen zurück. Auch bei den Privaten.
Vielleicht hat das deutsche Fernsehen ja mehr ein Struktur- als ein Qualitätsproblem. So ist die einstige Wiege der deutschen Serie, der Vorabend, auf eine Weise reformiert worden, die das Alte zerschlagen hat, ohne dem Neuen echte Chancen zu eröffnen. „Leuchtturmprojekte“ wie Im Angesicht des Verbrechens können an der Situation nichts verändern, dafür bedarf es eines längeren Atems. Mehr Geduld mit den Zuschauern, mehr Ausdauer, einen bestimmten Programmplatz aufzubauen und zu pflegen. In diesem Sinne hätte Graf keine zehn, sondern mindestens 20 Teile drehen sollen. Mit offenem Ende.
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